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# taz.de -- Geschichte der Globalisierungsproteste: Die linke Sehnsucht nach de…
> Diverser – und erfolgreicher? Nach Heiligendamm könnte Hamburg ein neuer
> Meilenstein der linken Bewegung werden.
Bild: Anti-G 8-ProtestlerInnen in einem Feld nahe Heiligendamm im Juni 2007
Tausende sommerlich gekleidete Menschen laufen durch ein wogendes Rapsfeld.
Die Menge teilt sich, die einen schwärmen nach links aus, die anderen
nehmen den Weg über die Hügel. Diese Taktik geht auf: Desorientiert
wirkende Polizeitruppen wissen nicht, wie sie die Menschen aufhalten
sollen. Selbst mit Pfefferspray und Schlagstöcken können sie nichts
ausrichten gegen die DemonstrantInnen, die gut organisiert und fest
entschlossen einfach weiter ihren Weg über die Felder nehmen.
Die eindrücklichen Bilder gingen um die Welt. Von „Generation Heiligendamm“
sprechen manche, die bei den Aktionen des zivilen Ungehorsams und
Blockaden des G-8-Gipfels 2007 an der Ostsee dabei waren. Die Proteste
waren ein Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung und ein
wichtiges Ereignis für die Geschichte der deutschen Linken: Von Autonomen
bis Gewerkschaften machten alle mit – und das Bündnis hielt, obwohl die
Lage schon bei der Auftaktdemo in Rostock eskalierte.
Ihren Anfang genommen hatte die globalisierungskritische Bewegung in den
1990er Jahren. Mit dem letzten Aufbäumen von Heiligendamm jedoch neigte sie
sich genau wie der Zyklus der Gipfelproteste ihrem Ende zu. Die
Demonstrationen gegen den G-7-Gipfel auf dem bayerischen Schloss Elmau
2015 etwa erreichten nicht annähernd die Dimensionen von Heiligendamm. Nun
jedoch, zehn Jahre danach, scheint der Protest gegen den G-20-Gipfel eine
Wende zu markieren. Seit Monaten zeichnet sich ab, dass plötzlich wieder
ein Gipfel im Fokus der linken Bewegung steht, dass Hamburg ein
Großereignis wird.
Doch was bedeutet das? Ist der Protest Ausdruck einer erneuerten
Globalisierungskritik angesichts der turboneoliberalen, krisengebeutelten
und in vielen Ländern nach rechts driftenden Politik? Oder geht es hier vor
allem um den Widerstand gegen Hassfiguren wie Donald Trump, Recep Tayyip
Erdoğan und Wladimir Putin, der mit der Abreise dieser Männer aus Hamburg
auch wieder vorbei ist? Werden die Proteste Impulse geben für neue
Bündnisse und Allianzen, oder werden in ihnen die Spaltungslinien in der
Linken unübersehbar?
## „Jetzt werden mehr Gruppen sichtbar“
„Die eine globalisierungskritische Bewegung, wie in Seattle 1999 oder
Genua 2001, gibt es so nicht mehr“, sagt Christoph Kleine von der
Interventionistischen Linken (IL), der bundesweiten linksradikalen
Organisation, für die die Heiligendamm-Proteste ein wichtiges
Gründungsmoment waren. Diesmal gebe es eher Aktivitäten in vielen einzelnen
Bereichen, die international miteinander in Kommunikation stünden: fürs
Klima, für Solidarität mit Rojava, gegen Austerität. „Hamburg“, sagt
Kleine, „wird ein Kristallisationspunkt für alle diese Bewegungen: Viele
können sich treffen, ohne gleich eins werden zu müssen.“
Ähnlich sieht das der Berliner Protestforscher Dieter Rucht: „Die frühere
Strategie, alle unter einem Dach zu versammeln und auf gemeinsame Parolen
zu verpflichten, hat ausgedient“, sagt er. Es gebe ein lockeres Gefüge,
innerhalb dessen einzelne Bündnisse und Gruppen ihr Ding machten. „Diesmal
haben sich die Gruppen schon vorher sortiert“, sagt Rucht. Das sei zwar
kritisiert worden, habe die Lage aber auch entspannt, weil Grabenkämpfe,
etwa um einen Aktionskonsens, damit ausgeblieben sind.
Jetzt verteilen sich verschiedene Protestformen über eine ganze Woche, für
jedes Spektrum ist etwas dabei. Das, so Rucht, könnte für die öffentliche
Wirkung der Proteste vielleicht sogar vorteilhaft sein: „Jetzt werden mehr
Gruppen sichtbar, die den Abstimmungsprozess sonst vielleicht irgendwann
verlassen hätten.“
## Was bleibt bei den jungen Teilnehmenden hängen?
Die öffentliche Wirkung wird aber nicht nur von der Vielfalt der Gruppen
bestimmt, sondern auch durch den Ort der Proteste. Nach dem brutalen
Polizeieinsatz während des Gipfels in Genua 2001, bei dem der Demonstrant
Carlo Giuliani getötet wurde, wurden die Tagungen und Proteste zunehmend
aufs Land verlegt. Nun, in Hamburg, steht wieder eine Stadt im Fokus.
Ausgerechnet in der früheren Autonomenhochburg wollen sich die Staats- und
Regierungschefs der G-20-Staaten treffen, einen buchstäblichen Steinwurf
vom Karo- und Schanzenviertel entfernt – ein Heimspiel für die linke Szene
und ein nicht zu unterschätzender Mobilisierungsfaktor.
„Wenn eine bestimmte Größenordnung erreicht wird, die allein schon wegen
Hamburg wahrscheinlich ist, dann entsteht auch das Gefühl: Wir sind stark“,
sagt Protestforscher Rucht. Eine Hoffnung für Hamburg sei, sagt Kleine, die
Entstehung einer „Generation Hamburg“: „Dass viele junge AktivistInnen
zusammenkommen und mit einer Erfahrung von Selbstermächtigung und neuen
Impulsen wieder rausgehen.“
Das könne allerdings auch schiefgehen: „Wenn es eine desolate Situation
gibt, in der Unschuldige zu Schaden kommen, kann das der Bewegung auch
insgesamt schaden“, sagt Rucht. Denn die Befürchtungen gibt es: Dass bei
vielen Teilnehmenden statt einer ermächtigenden Erfahrung eine von Gewalt
und Repression haften bleiben könnte.
## Wird die inhaltliche Kritik überlagert?
Die Mobilisierung für Hamburg jedenfalls kommt zum Teil weit martialischer
daher, als es vor Heiligendamm der Fall war. Kaum ein Video kommt ohne
Bilder brennender Barrikaden aus. Dem gegenüber steht ein gewaltiges
Sicherheitsaufgebot. Haben sich die Veranstalter bei der Entscheidung
verschätzt, den Gipfel ausgerechnet nach Hamburg zu holen?
„Die Anspannung spüren wir“, sagt Kleine. „Aber die Alternative kann nie
sein, nicht auf die Straße zu gehen. Wirklich Angst haben sollten wir vor
einer Welt, in der sich niemand mehr traut, den Mund aufzumachen.“ Gut
möglich jedenfalls, dass die Themen Gewalt und Repression am Ende die
Berichterstattung über die Proteste bestimmen, dass das Aufbegehren gegen
die massive Einschränkung der Demonstrationsfreiheit, wie sie sich in
Hamburg abzeichnet, die inhaltliche Kritik an den G 20 überlagern wird.
## „Eine linke Hoffnung“
Um das zu verhindern, wäre es wichtig, eine klare Botschaft zu formulieren,
die ihren Weg in die Öffentlichkeit findet. Ob das gelingt, ist bislang
aber unklar. Ob den G 20 etwa genau so sehr die Legitimität abgesprochen
werden kann wie den G 7, obwohl sie doch zumindest formal einen viel
größeren Teil der Weltbevölkerung vertreten, darüber gibt es unter den
Protestierenden Uneinigkeit. Auch die Frage, ob der Protest gegen Trump,
Erdoğan & Co nicht von der aus linker Sicht nötigen Kritik an der deutschen
Regierung ablenkt, ist umstritten.
Kleine glaubt, dieses Dilemma auflösen zu können: „In Hamburg wollen wir
ein Zeichen setzen, dass es neben den beiden Spielarten des Kapitalismus,
die sich etwa in Trump und Merkel als nur scheinbaren Gegensätzen
ausdrücken, einen dritten Pol gibt, eine linke Hoffnung.“ Ein
ambitioniertes Unterfangen – gelingt es, könnte Hamburg 2017 zu einem neuen
linken Meilenstein werden.
2 Jul 2017
## AUTOREN
Malene Gürgen
Patricia Hecht
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Heiligendamm
Globalisierungskritik
Protestbewegung
Donald Trump
G20-Gipfel
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