# taz.de -- Proteste gegen G 20: Schlauchboot oder Schwarzer Block? | |
> Zum Gipfel gibt es vielfältige Aktionsformen. Christoph Kleine | |
> (Interventionistische Linke) und Christoph Bautz (Campact) streiten über | |
> den richtigen Protest. | |
Bild: Teil einer Bootsdemo auf der Innenalster | |
taz: Herr Bautz, Herr Kleine, wie radikal muss Protest sein? | |
Christoph Kleine: So radikal wie die Wirklichkeit: Die Verhältnisse sind | |
zugespitzt. Der Kapitalismus ist dabei, den Planeten an die Wand zu fahren. | |
Er kommt an die Grenze seiner ökologischen Tragfähigkeit. Wir haben Kriege, | |
Hunger, Unterdrückung, eine Zunahme von autoritären und rechten Regimen. | |
Christoph Bautz: Natürlich braucht es eine breit getragene Protestbewegung, | |
die grundlegende Veränderungen einfordert. Wir wünschen uns etwa eine | |
schnelle Energiewende und eine ganz andere Handelspolitik. Trotzdem ist es | |
auch wichtig, Schritte hin zu der Veränderung zu zeigen – das machen wir | |
mit den Bürgern gemeinsam. Dafür steht Campact. | |
Ist es ein Armutszeugnis für die Linke, [1][nicht mal auf einer gemeinsamen | |
Demo gegen G 20] protestieren zu können? | |
Kleine: Ich finde es sehr bedauerlich. Wir wollten gemeinsam demonstrieren. | |
Es gab aber bei einigen Angst, sich in die Bedingungen des | |
Ausnahmezustands hineinzubegeben. Aber wenn für den G-20-Gipfel Grundrechte | |
außer Kraft gesetzt werden, dann dürfen wir dem nicht ausweichen, sondern | |
können die Versammlungsfreiheit nur dadurch verteidigen, dass wir genau an | |
diesen Tagen auf die Straße gehen. Deswegen war für uns nicht verhandelbar, | |
dass die Demonstration an einem Gipfeltag stattfinden muss. | |
Bautz: Wenn man ein Bündnis will, muss man aber miteinander verhandeln. | |
Wir wollen Leute auf die Straße kriegen, die noch nie auf einer Demo waren, | |
wie es auch bei den großen Anti-TTIP-Demos war. Da braucht es einen Rahmen, | |
der entsprechend sicher ist. | |
Campact demonstriert nun in einem Bündnis bereits am Sonntag, dem 2. Juli. | |
Die Interventionistische Linke ruft zu Blockaden am 7. Juli und einer | |
Großdemonstration am 8. Juli auf. Worin unterscheiden sich Ihre Positionen? | |
Bautz: Die G 20 sind für uns Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung. | |
Deswegen wollen wir die Staatschefs adressieren und das geht nicht, wenn | |
sie schon wieder in den Flieger steigen. Außerdem ist die G 20 gegenüber | |
der G 7 und G 8 ein großer Fortschritt, denn große Staaten wie Brasilien, | |
China, Indien und Südafrika sind jetzt daran beteiligt. Sie vertreten | |
mittlerweile einen großen Teil der Weltbevölkerung. Gleichzeitig muss man | |
die neoliberale Politik der G 20 hart kritisieren. | |
Kleine: Natürlich ist es richtig, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung | |
in den G-20-Ländern lebt. Aber das sind viele Staaten, die nicht einmal | |
nach bürgerlichen Maßstäben irgendwie demokratisch sind. Zum Beispiel der | |
König von Saudi-Arabien, einem Land, in dem öffentlich Leute enthauptet | |
werden und Frauen kein Auto fahren dürfen – an dem Mann ist gar nichts | |
legitim. Das gilt auch für Erdoğan und den chinesischen Präsidenten, um mal | |
nicht gleich mit Trump anzufangen. Diese Versammlung hat zur Lösung der | |
Probleme der Welt nichts anzubieten. | |
Bautz: Es ist mir zu einfach, alle für illegitim zu erklären. Dafür sind | |
die Probleme der Welt zu groß. | |
Herr Bautz, ist es nicht naiv, zu glauben, dass sich die Staats- und | |
Regierungschefs für Ihre Forderungen interessieren? | |
Bautz: Es ist ein Fortschritt, wenn wir ein Pariser Klimaabkommen haben. | |
Darauf kann man Regierungen festnageln. Beim G-20-Gipfel wird sich | |
entscheiden, ob es neben Trump noch mehr Staaten gibt, die davon abweichen. | |
Kleine: Aber was ist dieser Gipfel außer einem großen Fototermin? Es ist | |
eine riesige Schaufensterveranstaltung – für auf 400 Millionen Euro | |
geschätzte Kosten. Dabei sind die Staatenlenker verantwortlich für alles, | |
was falsch läuft. Man muss Donald Trump ja fast dankbar dafür sein, dass er | |
ehrlicherweise sagt, er hält sich nicht an das Pariser Klimaabkommen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Kleine: Angela Merkel lässt die Braunkohlegruben volle Pulle weiterlaufen | |
und die Fließbänder der Autoindustrie ebenfalls. Es ist wichtig, die | |
Verlogenheit und Doppelzüngigkeit deutlich zu machen. | |
Das heißt, Sie haben die G 20 abgeschrieben? | |
Kleine: Für diesen Gipfel habe ich keine Hoffnung, dass da irgendetwas | |
herauskommt. Wir waren 2007 schon in Heiligendamm. Wer erinnert sich noch, | |
was da beschlossen worden ist? Es war irgendwas mit Klimaschutz und Hilfe | |
für Afrika. Wahrscheinlich werden sie jetzt noch mal das Gleiche | |
beschließen, und es wird wieder nichts bringen. | |
Herr Bautz, bei Ihrer „Protestwelle“ setzen Sie auf Gummiboote auf der | |
Alster. Das soll überzeugen? | |
Bautz: Wenn ich an die 300.000 Demonstranten denke, die bundesweit gegen | |
TTIP und CETA protestiert haben, war das eine breite Zivilgesellschaft, die | |
ungeheuer kreativ war. Das hat diese Abkommen ins Wanken gebracht. | |
Wer ist denn am 2. Juli dabei? | |
Bautz: Wir haben ein breites Bündnis, das von Gewerkschaften über | |
Umweltverbände bis zu Eine-Welt- und Demokratieorganisationen reicht. | |
Kleine: Es ist eine Legende, dass man am 2. Juli mehr Leute auf die Straße | |
bringen kann als am 8. Juli zur Großdemonstration. Die Menschen wissen | |
doch, dass es die Gipfeltage sind, an denen es um etwas geht. Ich finde es | |
irritierend, einen Protest so kompatibel zu machen, dass ihn am Schluss | |
sogar die SPD gut finden kann, die hier ein paar Tage später für den | |
Ausnahmezustand verantwortlich ist. | |
Bautz: Wenn sich die SPD entscheidet, ihre Mitglieder zur Teilnahme an der | |
Demonstration am 2. Juli aufzurufen, können sie das gerne tun – das ändert | |
nichts an unseren Forderungen. | |
Werden Sie wirklich vor dem Gipfel abreisen, Herr Bautz? | |
Bautz: Ich werde nur am 2. Juli da sein. | |
Kleine: Das ist bedauerlich. Ihr seid bei den Aktionen am 7. und 8. Juli | |
willkommen. Ich würde mir mehr Solidarität im Protest gegen die | |
Versammlungsverbote wünschen. Die Demokratiefrage stellt sich nicht nur in | |
der Türkei und in Washington, sondern auch in Hamburg am 7. und 8. Juli. | |
Kritisieren Sie die Versammlungsverbote, Herr Bautz? | |
Bautz: Für mich ist es ein Unding, eine Sicherheitszone von 38 | |
Quadratkilometern zu errichten und de facto große Teile der Stadt | |
unter Demonstrationsverbot zu stellen. Wenn man die Welt nach Hamburg | |
einlädt, wäre es auch die Chance, zu zeigen, dass in einer Demokratie | |
Bürger auf die Straße gehen. Deshalb finden ich es problematisch, dass | |
rechtsstaatliche Grundsätze ausgehebelt werden. | |
In der Hamburger Morgenpost sagen Sie aber, Sitzblockaden seien das falsche | |
Signal. Wäre das nicht eine angemessene Antwort des zivilen Ungehorsams? | |
Bautz: Wenn Castor-Transporte nach Gorleben unterwegs waren und Tausende | |
sie friedlich blockierten, dann finde ich dies völlig legitim. Ohne | |
Großdemos und zivilen Ungehorsam hätten wir keinen Atomausstieg | |
durchgesetzt. Genauso ist es beim klimaschädlichen Kohleabbau im Rheinland | |
und der Lausitz. Doch bei G 20 verhält es sich anders: Dass sich | |
Staatschefs zusammensetzen, finde ich erst mal legitim, und das sollte man | |
nicht blockieren – wohl aber ihre Politik scharf kritisieren. | |
Kleine: Trump wirft die „Mutter aller Bomben“, Merkel und ihre europäischen | |
Komplizen lassen Tausende im Mittelmeer ertrinken – aber Blockaden sind | |
unangemessen? Ja, die Frage könnten wir uns stellen, ob unsere Aktionen | |
nicht zu harmlos sind, um den Wahnsinn der Welt zu stoppen. Aber wir fangen | |
da an, wo viele einen Schritt zum Widerstand mitgehen werden. | |
Macht es Campact dem Hamburger Senat leicht, den Protest zu spalten – in | |
friedliche Demonstranten und die bösen Linksradikalen? | |
Bautz: Na ja, wir wollten uns ja sogar einigen. Wir wollen den sicheren | |
Rahmen, aber dafür fehlte die Beweglichkeit. Die hat es nicht gegeben, und | |
so haben wir nun zwei Ereignisse. | |
Für konkrete Forderungen an die G 20 gibt es schon das Forum Civil20. Warum | |
engagiert sich Campact nicht dort? | |
Bautz: Viele unserer Partnerorganisatoren wollen auch durch Lobbyarbeit | |
Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen – und das ist eine wichtige | |
Arbeit. Uns geht’s eher darum, die Stimmen der Bürger auf die Straße zu | |
bringen. | |
Interessiert sich die Interventionistische Linke für Civil20? | |
Kleine: Nein. Der Gipfel ist mit einer Menge von Alibiveranstaltungen | |
umrahmt. Überall sollen Leute an den Katzentisch der Macht gesetzt werden, | |
aber zu sagen haben sie nichts. Das sind alles Legitimierungsstrategien. | |
Ist der Schwarze Block auf Ihrer Demo willkommen, Herr Kleine? | |
Kleine: Wir wollen eine bunte Veranstaltung. Schwarz gehört zu bunt. Das | |
Auseinanderdividieren führt zu gar nichts, wir müssen in einer | |
solidarischen Form miteinander auf die Straße gehen. | |
Können Sie das verantworten? | |
Kleine: Ja, alle können und sollen kommen. Nach dem Krawall sollten Sie | |
lieber Herrn Dudde fragen … | |
… den Einsatzleiter der Polizei? | |
Kleine: Ob es knallt oder nicht, liegt in seiner Verantwortung. Wir wollen | |
es bei der Großdemo nicht. | |
Bautz: Für Campact kann ich ganz klar sagen, dass das nicht die Form der | |
Auseinandersetzung ist, wie wir sie führen. Wir wollen eine klare Kritik | |
sowohl an den Autokraten als auch an Merkel formulieren, die für eine | |
neoliberale Handelspolitik und eine Austeritätspolitik gegenüber den | |
südlichen Ländern in Europa steht. Wenn am Ende nur über Straßenschlachten | |
geredet wird, können wir diese Kritik nicht anbringen. | |
1 Jul 2017 | |
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## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
Katharina Schipkowski | |
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