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# taz.de -- Italiens Dauerbrenner Berlusconi: Er ist mal wieder da
> Bei der Neuwahl in Italien führt mal wieder kein Weg vorbei an
> Berlusconi. Trotz verfehlter Politik, Skandalen, Mafiaverbindungen.
> Warum?
Bild: Mafiakontakte, Korruption, Sex mit Minderjährigen? Berlusconi kommt mit …
Rom taz | Still geworden war es um [1][Silvio Berlusconi]. Er, der mehr als
20 Jahre lang für Schlagzeilen in der internationalen Presse sorgte, war
einfach vom Radar verschwunden. Kein Wunder, möchte man meinen. So geht es
halt Politikern, wenn sie gescheitert sind, raus aus allen Ämtern,
davongejagt in Schimpf und Schande, ohne Chance auf Wiederkehr und dazu
noch [2][80 Jahre alt]. Nur Narren könnten da von einem Comeback träumen.
Eben ein solcher Narr ist Berlusconi.
Der Korrespondent der taz in Rom – und Autor dieses Textes – gehörte immer
zu jenen, die nichts hielten von den vorschnellen Abgesängen auf den
politisierenden Medien-Tycoon, die über die Jahre immer wieder angestimmt
wurden, doch auch er vermeldete im Oktober 2013: „Silvio ist wohl
erledigt.“ Und er legte im November nach, berichtete vom „Ende einer Ära“
mit dem mehr als eindeutigen Urteil: „Jetzt ist Schluss.“
Schluss war ja auch, wenigstens dem Anschein nach. Gerade, am 1. August
2013, hatte Berlusconi eine letztinstanzliche Verurteilung zu vier Jahren
Haft kassiert, wegen Steuerhinterziehung im großen Stil, gerade hatte er
daraufhin seinen Sitz im Senat verloren, gerade war ihm von der Justiz
bescheinigt worden, er habe auch für die folgenden Jahre das passive
Wahlrecht verloren, sprich: er könne nicht mehr bei Wahlen kandidieren.
Zwar musste er die Haftstrafe nie antreten; drei der vier Jahre wurden ihm
aufgrund einer Generalamnestie erlassen, das vierte durfte er mit
Sozialstunden in einem Altenheim verbüßen. Doch der Milliardär und frühere
Ministerpräsident Italiens, der Alzheimerkranken in einem Hospiz vor den
Toren Mailands Breichen löffeln musste: Er wurde zum Sinnbild des komplett
Gescheiterten.
## Schlaff gewordenes Stehaufmännchen
Dabei hatte er sich doch über die Jahre den Ruf des Stehaufmännchens
erworben, dem seine Skandale, seine juristischen Wirrungen sowie sein
miserabler Ruf im Ausland nie etwas anhaben konnten. Zum ersten Mal war er
im Jahr 1994 als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen – und wurde nach bloß
sieben Monaten gestürzt. Doch im Jahr 2001 hatte er ein glänzendes
Comeback, eroberte er für die folgenden fünf Jahre die Macht.
Der rechtskonservative Journalist Indro Montanelli dekretierte seinerzeit,
das sei wohl gut so – die Italiener müssten ihre Erfahrungen mit diesem
Polit-Hallodri, der vor allem seine eigenen Interessen auf dem Schirm
hatte, sammeln, um gegen ihn gefeit zu sein: „Berlusconi ist eine jener
Krankheiten, die man per Impfung kuriert“, befand Montanelli, „und um von
ihm zu genesen, bedarf es einer hohen Impfdosis.“
Man mochte glauben, Montanelli habe recht, auch wenn das Impfprogramm sich
recht lange hinzog. In den gut zehn Jahren vom Mai 2001 bis zum November
2011 regierte Berlusconi mit einer 18-monatigen Unterbrechung praktisch
ununterbrochen.
Ununterbrochen aber auch protestierte Italiens Zivilgesellschaft, brachte
der Gewerkschaftsbund CGIL zum Beispiel im Jahr 2002 drei Millionen
Menschen auf die Straße, um gegen die (am Ende gescheiterte)
Arbeitsmarktreform zu protestieren, demonstrierten Massen gegen den
Irakkrieg, gegen Justiz- und Medien-„Reformen“. In jenen Jahren war Italien
„Berlusconiland“ – war aber zugleich Heimstatt all derer, die ihm
Widerstand entgegensetzten, ihn aufhielten, seine Projekte stoppten.
## Über Europa gestolpert
Und am Ende schien ja auch alles gut zu werden. Im Jahr 2008 hatte
Berlusconi erneut einen triumphalen Wahlsieg davongetragen, doch nur ein
Jahr später flogen ihm [3][seine Sexskandale], erst mit der minderjährigen
Noemi aus Neapel, dann mit der ebenfalls minderjährigen Karima El Marough
und den vielen anderen jungen Frauen, die ihm und ausgewählten Gästen auf
seinen Partys zu Verfügung standen, um die Ohren.
Den Rest besorgte dann die Eurokrise im Herbst 2011: Als Italiens Spread
Richtung 6 Prozent marschierte, kam das Aus für den Schönwetterpolitiker,
der zur Wirtschaftslage nur zu sagen hatte, es gebe keine Krise, „die
Restaurants sind voll, und die Flugzeuge sind immer ausgebucht“.
Schnee von gestern. Der Rücktritt im November 2011, dann die Verurteilung
im August 2013, zwischendrein dauernd die Negativschlagzeilen über die
nicht enden wollenden Sexskandale: Berlusconis Ruf war so gründlich
ruiniert, wie es eben nur geht. Montanelli schien recht behalten zu haben,
Italien – und damit Europa – endlich zur Berlusconi-freien Zone geworden zu
sein.
Wahr ist nun das Gegenteil. Am 29. und 30. März 2017 tagte auf Malta die
Europäische Volkspartei, in der sich die Christdemokraten und Konservativen
des Kontinents versammeln. Und wer darf sich über ein Tête-à-tête mit
Kanzlerin Merkel freuen? Niemand anderer als der Vorbestrafte aus Italien,
Silvio Berlusconi, der die „Signora Merkel“ als „europäischen Leader mit
der höchsten Autorität unter allen“ abfeiert – und der sich gleich auch
noch selbst als Garanten dafür anpreist, dass „Italien nicht populistische
Wege geht“.
## Keinen juckt's
Dabei hätte die Kanzlerin weiterhin gute Motive gehabt, Abstand zu halten.
Nur ein paar Tage später wurde gegen Berlusconi ein neuer Prozess eröffnet,
diesmal [4][wegen Zeugenbestechung]: Rund um seine Sexpartys mit „Ruby“,
der Marokkanerin Karima El Marough, soll er drei jungen Frauen reichlich
Bares zukommen lassen haben, um ihm genehme Aussagen zu erreichen. Doch
keinen juckt es, keiner meldet es, keiner auch im römischen Politikbetrieb
findet den x-ten Prozess gegen Berlusconi noch weiter der Aufregung wert.
Im Gegenteil: Auch wenn seine Partei Forza Italia mittlerweile in den
Umfragen auf 12-13 Prozent abgestürzt ist, und er selbst gegenwärtig keine
eigene Machtperspektive hat, bleibt er doch weiter heiß umworben. Matteo
Renzi, Chef der gemäßigt linken Partito Democratico (PD) mit Hoffnungen,
nach den nächsten Wahlen wieder Ministerpräsident zu werden, mag auf den
Dialog mit Berlusconi einfach nicht verzichten.
Angeblich geht es nur um das neue Wahlrecht für die nächsten Wahlen – doch
im Gespräch ist mehr. Auch über eine Große Koalition zwischen PD und Forza
Italia, zwischen Renzi und Berlusconi nach dem spätestens im Frühjahr 2018
anstehenden nächsten Urnengang wird in Rom mittlerweile ganz
selbstverständlich diskutiert. Ganz selbstverständlich auch lesen die
Italiener, im Juni 2017, von den mitgeschnittenen Gesprächen des
Mafiabosses Giuseppe Graviano, der sich in den letzten Monaten im Knast
beim Hofgang immer wieder über Berlusconi beschwerte.
Einen „Gefallen“ habe Cosa Nostra dem „Gehörnten“ in den Jahren 1992�…
getan, mit den blutigen Anschlägen erst auf die Staatsanwälte Giovanni
Falcone und Paolo Borsellino, dann mit den 1993 gezündeten Bomben in Rom,
Florenz und Mailand. Doch Berlusconi habe sich dann an der Macht kein Stück
dankbar gezeigt, und er, Graviano, versauere seit nunmehr 23 Jahren in
Haft, während „der Gehörnte seine Huren bezahlt“.
## Zu Gast: die Mafia
Völlig ausgedacht klingt das nicht – immerhin sitzt einer der engsten
Mitarbeiter Berlusconis, Marcello Dell’Utri, eine siebenjährige Haftstrafe
als Verbindungsmann der Mafia ab.
Und immerhin ist bei den Gerichten aktenkundig, dass Berlusconi 30 Jahre
lang die Mafia bezahlte, um mit seinen Unternehmen Ruhe zu haben; dass er
sogar einen Mafiaboss auf seinem Anwesen beherbergte und beschäftigte. Doch
als die ungeheuerlichen Abhörprotokolle – die immerhin nahelegen,
Berlusconi habe eine Serie blutiger Attentate in Auftrag gegeben – jetzt
bekannt wurden, geschah: nichts.
Das ist die schlechte, auf ihre Weise ein wenig kränkende Nachricht für
Berlusconi. Auch übelste Anschuldigungen gegen seine Person produzieren
schier kein Echo mehr: keinen Aufschrei der Medien, keine Kontroversen,
kein Proteste.
Doch es ist zugleich die gute Nachricht: Mittlerweile fliegt er einfach
unter dem Radar durch, was immer auch geschieht. Um Italiens Immunstatus
ist es schlechter bestellt denn je in den letzten 25 Jahren.
22 Jun 2017
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## AUTOREN
Michael Braun
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