| # taz.de -- Silvio Berlusconi wird 80: Meister der einfachen Erzählungen | |
| > Es gab einen Trump vor Trump: Silvio Berlusconi. Er erkannte die Macht | |
| > des Privatfernsehens – und wurde dreimal Ministerpräsident. | |
| Bild: Der Schönwetterpopulist: Silvio Berlusconi | |
| Rom taz | Eigentlich ist er eine Witzfigur. Ganz offensichtlich sind seine | |
| Frisurprobleme, und ebenso deutlich ist sein gestörtes Verhältnis zur | |
| Wahrheit. Wann immer der notorische Lügner den Mund aufmacht, entstellt er | |
| Fakten, betätigt er sich als Märchenerzähler, verbreitete er über Gegner | |
| und Kritiker wüste Geschichten, die ebenso ehrabschneidend wie frei | |
| erfunden sind. | |
| Seine Milliarden hat er als Bauunternehmer gemacht, deshalb braucht er | |
| keine Partei, als er beschließt, sich in die Politik zu stürzen und nach | |
| der Macht zu greifen. | |
| Das kann nur schiefgehen, meinen seine Feinde, schließlich ist ihr neuer | |
| Herausforderer doch eine Lachnummer, die nie in der Lage sein wird, in | |
| einer reifen Demokratie Mehrheiten zu erobern. Doch der Mann weiß um die | |
| Macht des Fernsehens, und er setzt auf die enorme Durchschlagskraft | |
| einfacher Erzählungen, angefangen bei der Selbstinszenierung als immer | |
| potenter Macho, der sich gern mit deutlich jüngeren Frauen umgibt. | |
| Nein, nicht von Donald Trump ist hier die Rede, sondern von einem, der | |
| schon vor gut 20 Jahren seine populistische One-Man-Show höchst erfolgreich | |
| zur Aufführung brachte: Silvio Berlusconi. Dabei wollte der Mann damals, | |
| 1994, eigentlich gar nicht in die Politik – und heute bilanziert er denn | |
| auch, die Politik habe „nie Leidenschaft in mir geweckt, sie hat mich bloß | |
| Zeit und Energien gekostet“. | |
| ## Der Aufstieg | |
| Doch dem Milliardär blieb seinerzeit keine Wahl, schließlich galt es, sein | |
| Firmenimperium vor dem Bankrott und sich selbst vor dem Knast zu retten. | |
| Begonnen hatte Berlusconi seinen Aufstieg in den 60er Jahren mit großen | |
| Bauprojekten in Mailand. Bei Trump wenigstens weiß man, dass das | |
| Startkapital von dessen Vater stammte, bei Berlusconi hingegen liegen die | |
| Anfänge in dichtem Nebel. | |
| Unbekannte Investoren stellten Unsummen zur Verfügung, gesichert sind beste | |
| Kontakte seines engsten Mitarbeiters Marcello Dell’Utri zur | |
| palermitanischen Mafia – Dell’Utri sitzt deshalb gerade eine siebenjährige | |
| Haftstrafe ab –, gesichert ist auch, dass Berlusconi in den 70er Jahren | |
| einen Mafiaboss als „Stallknecht“ auf seinem Anwesen beschäftigte, doch die | |
| Anschuldigen gegen ihn führten nie zu Verurteilungen. | |
| 1980 dann entdeckte der Bauunternehmer das Privatfernsehen und mutierte, | |
| als Eigner von schließlich drei TV-Kanälen, zum größten Medientycoon des | |
| Landes. Hilfreich war ihm dabei die politische Protektion, die er genoss, | |
| durch die damals regierenden Christdemokraten um Giulio Andreotti und erst | |
| recht durch die Sozialisten unter Berlusconis Busenfreund Bettino Craxi, | |
| hilfreich auch das Netz der Kontakte, das er als Mitglied der Geheimloge P2 | |
| gesponnen hatte. | |
| Doch 1994 stand Berlusconi scheinbar vor dem Aus. Große Korruptionsskandale | |
| erschütterten Italien, unter dem Druck der staatsanwaltschaftlichen | |
| Ermittlungen waren die Democrazia Cristiana und die Sozialistische Partei | |
| auseinandergebrochen, Craxi und Andreotti standen wegen Bestechung und | |
| Mafiaverbindungen vor Gericht, und Silvio war plötzlich allein zu Haus, | |
| ohne politische Protektion, mit einem überschuldeten Unternehmen und | |
| diversen Ermittlungsverfahren an der Backe. | |
| Ihm drohte das Schicksal, „unter Brücken zu schlafen oder gar im Knast zu | |
| landen“, so beschrieb ein enger Freund Berlusconis Situation. | |
| ## Der Einstieg | |
| Doch der machte aus der Not eine Tugend. Im Januar 1994 wandte er sich in | |
| einer Fernsehansprache ans Volk und erklärte seinen Eintritt in die | |
| Politik, mit eben jener Anti-Establishment-Rhetorik, die heute bei Trump, | |
| Wilders, Le Pen oder Petry en vogue ist. Seine Feinde: die „Politikaster“, | |
| die in ihrem Leben nie gearbeitet hätten. Er selbst: dem „Schützengraben | |
| der Arbeit“ entstiegen, um es denen zu zeigen, vor allem um eine Übernahme | |
| der Macht durch die Linke, eine „kommunistische Diktatur“ zu verhindern. | |
| Was haben seine Gegner damals gelacht, was haben sie gelästert über die | |
| dick aufgetragene Schminke, über die gefärbten Haare, die wie asphaltiert | |
| am Kopf klebten. Doch nur zwei Monate später gewann Berlusconi die Wahlen, | |
| im Verein mit den frisch gewendeten Postfaschisten und der | |
| sezessionistisch-fremdenfeindlichen Lega Nord. | |
| Nur wenige Monate später scheiterte die Koalition an ihren inneren | |
| Konflikten, musste Berlusconi als Ministerpräsident zurücktreten, schien er | |
| sich als pure Episode, als kurzer, schlechter Traum entpuppt zu haben. Doch | |
| Berlusconi war in die Politik gekommen, um zu bleiben. 2001 eroberte er mit | |
| seiner Forza Italia die Mehrheit im Parlament zurück. Den Wohlhabenderen | |
| versprach er „weniger Steuern für alle“ (inklusive des Menschenrechts, | |
| Steuern zu hinterziehen, da mehr als 33 Prozent Abgaben „unmoralisch“ | |
| seien), den Ärmeren „eine Million Arbeitsplätze“. Im Versprechen war er | |
| immer gut: 2008, als er erneut die Wahlen für sich entschied, verhieß er | |
| den Italienern gar, „innerhalb von drei Jahren“ werde unter seiner Ägide | |
| der Krebs besiegt sein. | |
| So drückte er zwar einer ganzen Epoche seinen Stempel auf – bewegte am Ende | |
| jedoch wenig. Vor allem Stillstand charakterisierte Italien in jenen | |
| Jahren, Stagnation der Wirtschaft, Stillstand bei den Bürgerrechten (von | |
| der Homo-Ehe bis zur künstlichen Befruchtung). Verschärft wurden das | |
| Ausländerrecht und die Drogengesetzgebung, doch das lag mehr an den | |
| Koalitionspartnern, der Lega Nord und den Postfaschisten, denn an | |
| Berlusconi. Der übte sich lieber – anders als seine heute quer durch Europa | |
| und die USA erfolgreichen Epigonen – als Schönwetterpopulist, der dem | |
| ganzen Volk viele schöne Dinge verhieß, dem als Feinde aber die | |
| „Kommunisten“ und die „roten Staatsanwälte“ ausreichten. | |
| Denn die Justiz blieb ihm weiter auf den Fersen, immer wieder musste er | |
| neue Prozesse durchstehen, und seinerseits reagierte er mit immer neuen | |
| „Justizreformen“. Er konnte das. Denn seinem Ansehen schadeten die | |
| Verfahren keineswegs: Im Jahr 2009, ein Jahr nach seinem letzten Wahlsieg, | |
| war Silvio Berlusconi auf dem Höhepunkt der Popularität. | |
| ## Der Ausstieg | |
| Zur Strecke brachten ihn schließlich nicht die Staatsanwälte, sondern seine | |
| Sexskandale und die Eurokrise. Er, der noch als 70-Jähriger damit prahlte, | |
| er habe „die Physis eines 30-Jährigen, ja, auch auf jenem Feld, Sie wissen | |
| schon, was ich meine“, stolperte schließlich über die „eleganten | |
| Abendessen“, die in seiner Villa stattfanden, mit Dutzenden schöner, junger | |
| Frauen, unter ihnen auch die bald berühmt gewordene „Ruby“, die damals | |
| minderjährig war. | |
| 2011 dann schlug die Eurokrise zu. Krise? „Die Restaurants sind voll, die | |
| Flugzeuge ausgebucht“, hielt Berlusconi gewohnt optimistisch dagegen. Doch | |
| sein Schönwetterpopulismus hatte sich überlebt, das Land rutschte in die | |
| tiefste Krise seit Jahrzehnten, von der es sich bis heute nicht erholt hat, | |
| im November 2011 musste Berlusconi als Ministerpräsident zurücktreten. 2013 | |
| dann flog er aus dem Senat, nach einer Verurteilung zu vier Jahren Haft | |
| wegen Steuerbetrugs, die er allerdings mit ein paar Sozialstunden in einem | |
| Altenheim abbüßte. | |
| Politisch war Berlusconi damit endgültig erledigt, und auch menschlich ist | |
| er nicht mehr der alte, sprich der ewig junge. „Wie ein 80-Jähriger“ fühle | |
| er sich nach seiner im letzten Sommer erfolgten Herzoperation, bekannte er | |
| wehmütig zum Geburtstag, nun wolle er nur noch „viel Zeit mit den Kindern | |
| und Enkeln verbringen“. | |
| Die Szene hat er zwei neuen Protagonisten überlassen: Ministerpräsident | |
| Matteo Renzi und Beppe Grillo, dem Chef der Fünf-Sterne-Bewegung. So | |
| mancher sieht in ihnen Berlusconis würdige Nachfolger, mit ihrem Hang zu | |
| großen Versprechen, zu einfachen Rezepten, mit ihrem Willen, vor allem die | |
| alte politische Klasse zu „verschrotten“ (Renzi), ja zu einer | |
| „französischen Revolution, wenn auch ohne Guillotine“ zu schreiten | |
| (Grillo). | |
| Berlusconi selbst bleibt in diesem Stück nur noch die Rolle des neidvollen | |
| Zuschauers. | |
| 29 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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