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# taz.de -- Politiknachrichten zur Bundestagswahl: Deutsche Sprache, Leichte Sp…
> Viele Deutsche brauchen Leichte Sprache, um sich politisch zu
> informieren. Aber wie lassen sich komplexe Themen in kurzen Worten
> erklären?
Bild: Leichte Sprache entwickelt sich ständig weiter – wie jede andere Sprac…
Noch drei Monate, dann ist Bundestagswahl. Wer über Merkel und Schulz
mitreden und eine informierte Wahlentscheidung treffen will, schaut in die
Zeitung oder auf das Smartphone. Politische Teilhabe ist ein wesentliches
Merkmal einer Demokratie. Aber wie demokratisch ist es, wenn diese Art der
Teilhabe nicht für alle selbstverständlich funktioniert?
Zwar ist die Medienlandschaft in Deutschland divers – gemeinsam haben
Journalisten aber in der Regel eines: Sie schreiben in schwerer Sprache.
Also in verschachtelten Sätzen. Mit langen Wörtern wie
„Staatshaushaltsdefizit“, Abkürzungen wie „R2G“ oder Wortneuschöpfung…
„Schulzzug“. Viele Menschen können das nur schwer einordnen und verstehen.
Menschen mit Lernschwierigkeiten, aber auch einige Analphabeten, Senioren,
gehörlose Leser oder Nicht-Muttersprachler können aus unterschiedlchen
Gründen auf Leichte Sprache angewiesen sein.
Gabi Gerwins liest zwar auch in schwerer Sprache, lieber aber in leichter.
Die 49-jährige Berlinerin hat eine Lernschwierigkeit – wie mehr als 300.000
Menschen in Deutschland. Die linke Tageszeitung Neues Deutschland hat
Gerwins dennoch im Abo. Gerwins interessiert sich für Politik, setzt sich
in der SPD und beim „Frauenverband Courage e. V.“ für die Rechte von Frauen
mit und ohne Behinderung ein und sie gibt am 24. September ihre Stimme bei
der Bundestagswahl ab. Menschen mit sogenannter kognitiver
Beeinträchtigung, die keine oder eine Betreuung in einigen, nicht in „allen
Angelegenheiten“ haben, [1][besitzen in Deutschland das Wahlrecht]. Und wer
wählt, möchte für gewöhnlich informiert sein.
Dafür braucht es Nachrichtenmedien. Laut einer 2016 von „Aktion Mensch“ in
Auftrag gegebenen Studie lesen 20 Prozent der Deutschen mit
Lernschwierigkeiten eine Tageszeitung, 48 Prozent nutzen mehrmals
wöchentlich das Internet. Die meisten Nutzer informieren sich über das
Radio (76 Prozent) und das Fernsehen (96 Prozent). Alle medialen Bereiche
haben jedoch eins gemeinsam: Ihr Angebot in Leichter Sprache ist noch
gering. Es gibt kaum Kommentare, Interviews und Reportagen, die Parteien,
Politiker und ihre Ziele kritisch beleuchten.
## Einige Medien zeigen Eigeninitative
Das bemängelt auch Gabi Gerwins, die regelmäßig die „Abendschau“ im RBB
guckt: „Es gibt Untertitel und Gebärdensprache, aber keine TV-Nachrichten
in Leichter Sprache. Die Leute sagen, ich soll,Logo' gucken. Aber das ist
für Kinder und ich bin eine erwachsene Frau.“
Gerwins arbeitet selbst als Prüferin für Leichte Sprache bei der
Arbeiterwohlfahrt (AWO). Sie prüft Übersetzungen auf Verständlichkeit – vor
allem Anleitungen für Wohnheime, Verträge, Formulare, Infomaterial und
Texte für Bundesministerien. Bei Behörden ist Leichte Sprache gefragt.
Artikel 9 und 21 der UN-Behindertenrechtskonvention fordern das Recht auf
Information und Barrierefreiheit. Zu Bundestagswahlen informierte sich
Gerwins bisher mit Hilfe von Wahlprogrammen, die von SPD, CDU/CSU, Linke,
Grüne und FDP in Leichte Sprache übersetzt werden. Gerwins wünscht sich von
Medien mehr Eigeninitiative. Einige wenige zeigen diese bisher.
Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen ihrem Bildungsauftrag entsprechen
und setzen mehr und mehr auf Barrierefreiheit. [2][Ndr.de] und [3][mdr.de]
bieten sieben Nachrichten in der Woche in Leichter Sprache an – darunter
viele Texte zu regionaler Politik. Bei überregionalen und internationalen
Nachrichten in Leichter Sprache hat die bayerische Tageszeitung
[4][Augsburger Allgemeine] seit 2015 das größte Angebot. Übersetzt und
geprüft wird hier gemeinsam mit der „Caritas“. Immer freitags erscheinen
auf der Webseite der Zeitung drei sachlich gehaltene Nachrichtentexte in
Leichter Sprache.
Das liest sich dann etwa so, hier zu Angela Merkels erneuter
Kanzlerkandidatur:
„Jetzt ist Angela Merkel Bundes-Kanzlerin.
Sie ist Chefin von der Partei CDU.
CDU ist eine Abkürzung für: Christlich Demokratische Union.
Sie will noch einmal Kanzlerin werden.
Das heißt: Sie tritt im September nochmal zur Wahl an.“
Leichte Sprache stützt sich auf den deutschen Grundwortschatz von 1.500
Wörtern – der Standard-Wortschatz besteht aus ungefähr 75.000 Wörtern.
Journalisten und Sprachwissenschaftler kritisieren deshalb oftmals die
„Reduktion von Informationen“.
## „Verflachung“ und „Sprachverfall“?
Tatsächlich ist es nicht immer leicht, komplexe politische Sachverhalte in
Leichte Sprache zu übersetzen. „Da es in der Leichten Sprache keinen
Konjunktiv gibt und auch keine direkte Rede, sind Zitate zum Beispiel
schwer zu verarbeiten. Einschätzungen eines Berichterstatters,
Absichtserklärungen, Prognosen, Umfragen: All das ist ebenfalls schwer zu
transportieren“, erklärt die Beauftragte für Barrierefreiheit des NDR,
Uschi Heerdegen-Wessel.
Zudem findet Politik auch viel in Zwischentönen statt. „Wer hat was gesagt
und wie?“ ist oft fast die wichtigere Frage, als was tatsächlich passiert
ist. Lässt sich das mit so wenigen Wörtern transportieren?
Es gibt immer mehr Studien und wissenschaftliche Schriften zu Leichter
Sprache. Neben viel Zuspruch ist dort auch regelmäßig Kritik zu lesen.
So befürchten einige durch die sprachliche Reduzierung eine „Verflachung“
des Inhalts, Puristen warnen vor „Sprachverfall“. Heerdegen-Wessel
widerspricht: „Wir denken grundsätzlich, dass sich jede Meldung auch in
Leichte Sprache übersetzen lässt.“
Gute Übersetzer sind darum bemüht, dass keine Info wegfällt – oft werden
Texte dadurch länger oder Hintergrundinfos in Wörterbücher verschoben.
Manchmal tut eine klare, reduzierte Sprache den Texten auch gut, wenn sie
Sachverhalte schneller auf den Punkt bringt.
Und der „Sprachverfall“? Gabi Gerwins findet: „Es kann doch jeder lesen,
was er will. Leichte oder schwere Sprache. Es sollte beides geben.“
Die Debatte über Leichte Sprache ist hierzulande noch jung. Während
Menschen mit Lernschwierigkeiten in den USA schon in den 70er Jahren für
Leichte Sprache auf die Straße gingen, begann eine entsprechende Bewegung
in Deutschland erst in den 90ern. Hier entwickelte das [5][„Netzwerk
Leichte Sprache“] eines der heutigen Regelwerke.
Alles verändert sich eben stetig – wie bei jeder anderen Sprache auch.
Anmerkung: Die Autorin dieses Textes, Christine Stöckel, arbeitet im
Leichte-Sprache-Ressort [6][„taz leicht“].
26 Jun 2017
## LINKS
[1] /!5417942/
[2] http://www.ndr.de/fernsehen/service/leichte_sprache/Nachrichten-in-Leichter…
[3] http://www.mdr.de/nachrichten-leicht/nachrichten-in-leichter-sprache-100.ht…
[4] http://www.augsburger-allgemeine.de/special/nachrichten-in-leichter-sprache/
[5] http://www.leichtesprache.org/
[6] /leicht/!p5097/
## AUTOREN
Christine Stöckel
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Leichte Sprache
Politische Bildung
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