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# taz.de -- Reaktion auf Artikel in „FAZ“ und in „B.Z.“: Leichte Sprach…
> Zur Bundestags-Wahl erscheinen viele Texte in Leichter Sprache. Das ist
> ungewohnt und führt zu Kritik. Wer kritisiert, sollte sich aber richtig
> informieren.
Bild: Puh …
[1][ Hier können Sie den Text in Leichter Sprache lesen. ]
Leichte Sprache irritiert. Die vielen kurzen Sätze. Es gibt kaum
Fremdwörter. Und wo ist der Genitiv? Gerade Menschen, die mit Sprache
arbeiten, beschäftigt das. Journalisten zum Beispiel. In den vergangenen
Wochen gab es gleich zweimal Kritik an Leichter Sprache. Adrian Lobe
bemängelt [2][auf faz.net] den Einsatz von Leichter Sprache in Nachrichten:
„Dem Leser werden wesentliche Informationen vorenthalten.“ Gunnar
Schupelius schreibt [3][in seiner B.Z.-Kolumne] über das leichte
Wahlprogramm der CDU/CSU: „Jeder Lehrer müsste für dieses Gestammel eine
glatte Fünf in Ausdruck und Grammatik erteilen.“
Jetzt, im Wahljahr 2017, ist Leichte Sprache in Deutschland präsenter denn
je. Bundesbehörden sind nach dem Bundesgleichstellungsgesetz dazu
angehalten, ab 2018 sogar verpflichtet, auch in Leichter Sprache zu
schreiben. Träger von Behindertenhilfen bieten zahlreiche Infos zur
Bundestagswahl in Leichter Sprache an. Einige wenige Medien berichten in
Leichter Sprache. Und seit letzter Woche sind mit dem der CDU/CSU fast alle
Wahlprogramme der großen Parteien auch in Leichter Sprache verfügbar.
Lediglich das Programm der AfD fehlt noch.
Zwar ist „Barrierefreiheit“ den meisten Menschen ein Begriff: Der „Tatort…
läuft mit Audiodeskriptionen für Blinde. Die „Tagesschau“ gibt es in
Gebärdensprache für Gehörlose. Auch hier muss es noch mehr Angebote geben,
trotzdem haben viele schon mal von diesen Formen der Barrierefreiheit
gehört. Leichte Sprache hingegen ist bisher kaum sichtbar. Sie soll
sprachliche Barrieren abbauen, damit Menschen, die sogenannte kognitive
Einschränkungen haben oder kaum Deutsch verstehen, besser am öffentlichen
Leben teilnehmen können.
[4][Bundesweit sind 7,5 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren
nicht in der Lage, Texte richtig zu verstehen und richtig zu schreiben.]
Darunter gibt es verschiedene Lese- und Lernniveaus – manchmal ist sogar
Leichte Sprache für ihre Leser zu komplex. Schon aus diesem Grund ist es
unangemessen, wenn Adrian Lobe auf faz.net schreibt, Leichte Sprache in
Nachrichten biete „nicht ausreichend Informationen“ und könne „Erklärun…
komplexer Phänomene verzerren“.
Es stimmt zwar, Leichte Sprache reduziert oftmals Informationen. Sie ist
jedoch der Versuch, überhaupt Informationen zu vermitteln. Dafür werden
Inhalte auf den Punkt gebracht, um Beispiele und Erklärungen ergänzt. Hier
ist Sensibilität für die Zielgruppe wichtiger als ein Festhalten an
Standards. Denn Journalisten sind schließlich nicht die Zielgruppe.
## In Schweden längst selbstverständlich
Die Idee der Leichten Sprache entstand Ende der 1960er-Jahre in Schweden.
Dort nannten sich geistig behinderte Menschen erstmals Menschen mit
Lernschwierigkeiten und forderten: Wir wollen unser Leben selbst gestalten
– nicht nur Empfänger gut gemeinter Fürsorge sein. Zu dieser Bewegung
gehörte auch die Feststellung, dass alltägliche Texte, wie Formulare,
Packungsbeilagen oder Nachrichten, oft nicht für alle verständlich sind.
„Lättläst“ („Leicht zu lesen“) heißt die schwedische Version der Lei…
Sprache und ist dort längst selbstverständlich. Nach 2009 entstanden auch
in Deutschland Regelwerke für Leichte Sprache etwa vom „Netzwerk Leichte
Sprache“.
B.Z.-Autor Gunnar Schupelius bezeichnet Leichte Sprache als schlechtes
Deutsch. Als Beweis dafür zitiert er aus dem Wahlprogramm der CDU/CSU –
verwechselt dabei aber [5][das von 2013] mit dem von 2017. Das Zitat
lautet: „Wenn die Leute mehr Lohn kriegen, sollen nicht auch die Preise
steigen.“ Auch wenn Schupelius aus dem 38-seitigem Programm wohl bewusst
die schlechtesten Stellen auswählt, hat er recht: Das ist keine gute
Leichte Sprache.
Allerdings gibt es dutzende Übersetzungsbüros für Leichte Sprache in
Deutschland. Jeder Text wird von eine Prüfgruppe, bestehend aus Menschen
mit Lernschwierigkeiten, auf Verständlichkeit gelesen. Jedes Büro verfolgt
eine andere Strategie bei der Übersetzung und Prüfung. Nicht jede davon ist
gut. Außerdem ist es nicht leicht, in Leichte Sprache zu übersetzen. Ebenso
wie es miese Synchronisationen gibt oder schreckliche Buchübersetzungen,
gibt es auch schlechte Übersetzungen in Leichte Sprache.
## Kritik bedeutet, ein Thema ernst zu nehmen
Dass es auch anders geht, [6][zeigt das CDU/CSU-Wahlprogramm 2017]. Es
erschien nach dem B.Z.-Artikel. Von einem anderen Übersetzungsbüro
übersetzt, finden sich in einer Passage über „Lohn“ grammatikalisch
richtige Sätze, erklärende Beispiele und die Definitionen schwieriger
Begriffe:
Ein Chef soll für die Arbeit guten Lohn bezahlen.
Das ist wichtig und richtig.
Aber:
Ein Chef bezahlt für die Arbeit noch mehr:
• für die Kranken-Kasse
• für die Renten-Kasse
• für die Arbeitslosen-Versicherung.
Das alles nennt man Lohn-Neben-Kosten.
Die Lohn-Neben-Kosten sind wichtig.
Aber sie sollen nicht zu hoch sein.
Darauf achten wir.
Normalerweise findet das Thema Inklusion in den Medien vor allem dann
Aufmerksamkeit, wenn es gesetzliche Neuerungen gibt oder außergewöhnliche
Menschen vorgestellt werden. Menschen, die etwas „trotz“ ihrer Behinderung
geschafft haben. Die Berichterstattung ist oft heroisierend. Teil von
Inklusion ist aber auch, Kritik äußern zu dürfen.
Kritik bedeutet, ein Thema ernst zu nehmen und es sichtbar zu machen.
Leichte Sprache steht gerade erst am Anfang, sie braucht diese
Öffentlichkeit. „Doch nur zu behaupten, Leichte Sprache ist dumm, hilft
keinem weiter“, sagt Josef Ströbl von „Mensch zuerst“, der selbst eine
Lernschwierigkeit hat. Wenn FAZ und B.Z. kritisch über Leichte Sprache
schreiben, ist das also erstmal gut. Wer aber der Leichten Sprache
Ungenauigkeiten und Vereinfachung vorwirft, sollte nicht selbst ungenau und
vereinfachend sein.
Anmerkung: Christine Stöckel arbeitet beim Projekt „taz leicht“ mit.
18 Aug 2017
## LINKS
[1] /Reaktion-auf-Artikel-in-FAZ-und-in-BZ/!5435223
[2] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/leichte-sprache-informiert-nic…
[3] http://www.bz-berlin.de/berlin/kolumne/das-programm-der-cducsu-in-leichter-…
[4] http://www.alphabetisierung.de/fileadmin/files/Dateien/Downloads_Texte/leo-…
[5] https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/regierungsprogramm-i…
[6] https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/wahlprogramm-leichte-sprache-…
## AUTOREN
Christine Stöckel
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Leichte Sprache
FAZ
Gehörlose
Journalismus
Inklusion
Übersetzung
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