# taz.de -- Klischeehafte Berichterstattung: Ach du liebe Minderheit | |
> Der Migrant als Täter, der Mensch mit Behinderung als Opfer. Die | |
> Berichterstattung orientiert sich an Merkmalen, nicht an Individuen. | |
Bild: Der Verein „Rollenfang“ will Menschen mit Behinderung als wirkungsmä… | |
Medien haben ein Problem mit Minderheiten. Vor allem was die | |
Berichterstattung angeht. Ob Menschen mit Behinderung oder | |
Migrationsgeschichte, über beide wird klischeehaft berichtet. Nur auf ganz | |
unterschiedliche Art: Die einen sind Täter*innen oder Sozialschmarotzer, | |
die anderen Opfer ihres Schicksals – oder Alltagshelden. | |
Diese Berichterstattung betrifft knapp 19 Millionen Migrant*innen und | |
siebeneinhalb Millionen behinderte Menschen in Deutschland. Ob | |
Migrant*innen als kriminell oder behinderte Menschen als hilfsbedürftig | |
dargestellt werden – es ist das gleiche Schema: Ein Individuum wird | |
aufgrund eines Merkmals in ein Narrativ gedrängt, die Person selbst gerät | |
dabei in den Hintergrund. | |
Thomas Hestermann, Journalismusprofessor an der Hochschule Macromedia in | |
Hamburg, hat 2017 untersucht, wie Migrant*innen in Medienberichten | |
dargestellt werden. Ergebnis der Studie: vor allem als Straffällige oder | |
Tatverdächtige. Doch die negative Berichterstattung mit positiven | |
Geschichten auszubalancieren, ist nicht die Lösung. „Wenn die Nachricht nur | |
darin besteht, dass diese Person trotz ihres Merkmals Erfolg hat, ist das | |
ein Eigentor“, meint Margreth Lünenborg, Professorin für Publizistik an der | |
FU Berlin. Damit zementiere man die Ausnahme. | |
Ein Problem, dass Menschen mit Behinderung nur zu gut kennen. Das Wort | |
„trotz“, das immer wieder in Beiträgen mit ganz alltäglichen Dingen | |
verknüpft wird. „Trotz ihres Schicksals meistert sie ihr Leben.“ oder | |
„Trotz der Behinderung arbeitet er.“ Diese journalistischen Texte zeichnen | |
sich durch Bewunderung und Mitleid aus. Anstatt der Person wird die | |
Behinderung zum Mittelpunkt der Geschichte. | |
## Ein strukturelles Problem | |
Der Text [1][„Der Kriegstechniker“], der 2017 beim Unispiegel erschienen | |
ist, zeigt, wie es richtig geht. Er handelt von Asem Hasna: behindert, | |
geflüchtet, Unternehmer. Dem Autor Matthias Fiedler gelingt es, mit seiner | |
persönlichen Bewunderung sparsam umzugehen. Fiedler erzählt über Hasnas | |
Leben in Syrien und seine Flucht, doch das Hauptaugenmerk liegt auf seiner | |
Arbeit – dem Versuch, Prothesen aus dem 3D-Drucker herzustellen. Asem Hasna | |
ist ein Geflüchteter, der nicht als Bedrohung dargestellt wird, ein Mensch | |
mit Behinderung, der nicht als Opfer gezeigt wird. | |
Fiedler rät: „Man muss in so einem Fall nur den Menschen darstellen. Da | |
braucht man nichts zu schönen, überinterpretieren oder mit Attributen | |
auszuschmücken.“ Das erfordert Zurückhaltung und Emotionskontrolle beim | |
Autor. Und gleichzeitig, das ist paradox: Empathie. Die Vorannahme, dass | |
jemand beispielsweise an seiner/ihrer Behinderung nicht nur wörtlich | |
leidet, ist allzu plausibel und wird deshalb so oft herangezogen. Doch | |
Journalist*innen sollten nicht ihre persönlichen Annahmen über die eigenen | |
Worte der Protagonist*innen stellen. Menschen mit Behinderung leben einfach | |
mit ihnen, sie leiden nicht an ihr. Ihnen machen eher die Vorurteile in der | |
Gesellschaft und die Barrieren in der Umwelt zu schaffen. | |
Es ist ein strukturelles Problem, dass viele Journalist*innen | |
Schwierigkeiten haben, neutral über Menschen mit Migrationsgeschichte und | |
Behinderung zu berichten. „Das ist sicherlich kein bewusster | |
Entscheidungsprozess von Journalistinnen und Journalisten“, sagt | |
Medienwissenschaftlerin Lünenborg. „Die Frage ist, welche Zugänge sie zu | |
den unterschiedlichen Formen migrantischen Lebens haben.“ Oder zu | |
unterschiedlichen Formen von Behinderung. | |
## Die sensationalistische Grundhaltung | |
Wenn Autor*innen selbst keiner Minderheit angehören und auch wenig | |
Berührungspunkte mit Mitgliedern einer Minderheit haben, neigen sie in der | |
Regel dazu, sich der Thematik mit einer sensationalistischen Grundhaltung | |
zu nähern. In deutschen Redaktionen sind beider Gruppen unterrepräsentiert | |
oder gar nicht vertreten. Studien über Journalist*innen mit | |
Migrationsgeschichte kommen zum Beispiel auf einen Anteil von zwei bis fünf | |
Prozent. Höher ist die Anzahl unter Freiberufler*innen, niedriger bei | |
Festangestellten. Der Prozentsatz an Journalist*innen mit Behinderung in | |
den Redaktionen ist nicht bekannt. Nicht jede*r spricht gerne darüber und | |
nicht jede Behinderung oder chronische Krankheit ist auf den ersten Blick | |
erkennbar. | |
Der erste Schritt für eine ausgewogene Berichterstattung ist | |
Selbstreflexion: „Man sollte nicht nur kritisch mit Quellen umgehen, | |
sondern auch mit seinem Standpunkt“, rät Alice Lanzke von den Neuen | |
Deutschen Medienmachern. Die Organisation versucht mit Workshops und | |
Glossaren die Berichterstattung über Menschen mit Migrationsgeschichte zu | |
ändern. Hin zu einer klischeefreien Erzählung. Ähnliche Organisationen gibt | |
es auch für die Berichterstattung über Menschen mit Behinderung. | |
Ganz viele Texte über warmherzige, selbstlose Migrant*innen zu schreiben | |
ist ebenso absurd wie plötzlich alle kriminellen Menschen mit Behinderung | |
aufzusuchen. Die Lösung liegt darin, sich im Alltag mehr zu durchmischen. | |
Eine vielfältige Redaktion mit vielfältigen Meinungen trägt zu vielfältigem | |
Inhalt bei. Damit ist nicht gemeint, dass Journalist*innen mit Behinderung | |
oder Migrationshintergrund automatisch besser darin sind, diese Themen | |
abzubilden. Im Gegenteil: Wünschenswert wäre, wenn sie dafür nicht die | |
Expert*innen sein müssten. Doch allein der Austausch innerhalb einer | |
Redaktion kann alte Narrative und Stereotypen aufbrechen. Und so dem Ziel | |
näher kommen: Eine Berichterstattung über Menschen mit Behinderung oder | |
Migrationsgeschichte frei von Klischees. | |
22 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.spiegel.de/spiegel/unispiegel/d-153615092.html | |
## AUTOREN | |
Judyta Smykowski | |
Laila Oudray | |
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