# taz.de -- Lobbyist zu diskriminierender Anfrage: „Die AfD meint das ernst“ | |
> Die AfD stellt einen Zusammenhang zwischen Behinderung, Inzest und | |
> Migration her. Das weckt Ängste, erklärt Ulrich Schneider vom | |
> Wohlfahrtsverband. | |
Bild: Die AfD will diesen Unterschied machen | |
taz: Herr Schneider, die Sozialverbände haben in einer großen Anzeige gegen | |
die AfD protestiert. Warum war für Sie eine Grenze überschritten? | |
Ulrich Schneider: Die AfD hat in einer Kleinen Anfrage im Bundestag einen | |
Zusammenhang zwischen Behinderung, Inzest und Migration hergestellt. | |
Vordergründig erkundigt sich die Fraktion nach der Zahl behinderter | |
Menschen in Deutschland. Aber in Wirklichkeit wird ein abwegiger Kontext | |
konstruiert, der uns an nationalsozialistisches Gedankengut erinnert. | |
Die AfD-Abgeordnete Nicole Höchst sagt, es gehe um Faktenwissen, um | |
Handlungsbedarf zu erkennen. | |
Das nehme ich ihr nicht ab. Die Fakten sind öffentlich zugänglich und | |
bekannt. Entscheidend ist das Bild, das gezeichnet wird. Die AfDler sind | |
Medienprofis. Sie wissen genau, was welche Assoziationsketten auslöst. Ein | |
Beispiel aus der Anfrage: Die AfD schreibt nicht: „Kinder mit Behinderungen | |
kommen zur Welt.“ Sondern sie fabuliert von „entstandenen“ Behinderten. | |
Solch subtile Feinheiten sind wichtig. Das ist eine Versachlichung | |
menschlichen Lebens. | |
Dass sich 18 soziale Organisationen öffentlich gegen eine Partei stellen, | |
ist ein ungewöhnlicher Schritt. War er intern umstritten? | |
Überhaupt nicht. Bei uns im Haus war allen klar: Es handelt sich nicht nur | |
um Provokationen, das wäre eine Verniedlichung. Die AfD ist kein kleiner | |
Hund, der nur spielen will. Die meinen das ernst. Bei uns arbeiten Menschen | |
mit Behinderungen oder Eltern von Kindern mit Handicap. Denen macht die AfD | |
Angst. Nehmen Sie den Vorfall im saarländischen Landtag … | |
Der dortige AfD-Fraktionschef argumentierte vergangene Woche in einer | |
Debatte zu Förderschulen, dass in einem Krankenhaus gesunde von schwer | |
infizierten Menschen getrennt würden. An Inklusionsschulen aber würden | |
Kinder mit Downsyndrom mit „anderen Kindern, die ganz normal, gesund sind“ | |
unterrichtet. | |
Er hat ja dazu gesagt, das sei ein Bild. Aber im Grunde vergleicht er | |
Kinder mit Downsyndrom mit Kindern, die eine ansteckende Krankheit haben. | |
Diese vielen, kleinen Sticheleien der AfD ergeben ein bösartiges Gewebe. | |
Irgendwann ist Schluss. Gegen solches Denken muss man die Stimme erheben. | |
Wir merken an den vielen Zuschriften, die wir nach unserer Anzeigenaktion | |
bekommen haben, dass wir vielen aus der Seele gesprochen haben. | |
Ist die AfD für Sie eine rechtsextreme Partei? | |
Die AfD tritt rechtsextrem in Erscheinung. Prominente Vertreter nutzen | |
Nazi-Jargon. Die ehemalige Vorsitzende Frauke Petry wollte den Begriff | |
„völkisch“ rehabilitieren. Die Partei vertritt in ihren Positionen und | |
Vorstößen eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Dass manche Menschen | |
weniger wert sein sollen als andere, das ist der Kern rechtsextremen | |
Gedankenguts. | |
Wer öffentlich gegen die AfD protestiert, verschafft ihr noch mehr | |
Aufmerksamkeit. Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um? | |
Diese Diskussion führen wir im Paritätischen Wohlfahrtsverband seit zwei | |
Jahren. Wir haben lange zu menschenverachtenden Sprüchen geschwiegen, um | |
die AfD nicht aufzuwerten. Aber leider ist es ja so: Die AfD wird auch | |
stärker, wenn man nicht reagiert. Deshalb ist es Zeit für einen | |
Strategiewechsel. | |
Weil die AfD sowieso Öffentlichkeit bekommt? | |
Ja. In der heutigen Talkshowkultur und in sozialen Netzwerken bekommt die | |
AfD immer Öffentlichkeit. Deshalb hilft nur die Flucht nach vorn. Man muss | |
ihre menschenfeindliche Gesinnung als solche bezeichnen und sie in den | |
Kontext stellen. Es ist ja keineswegs so, dass alle AfD-Wähler rechtsextrem | |
sind. Wir glauben an die Kraft der Aufklärung und der Vernunft. | |
Reagieren die anderen Parteien angemessen auf den Erfolg der AfD? | |
Leider nicht. Die AfD treibt seit Sommer 2015 die Regierungsparteien vor | |
sich her. Erst sagte die Kanzlerin „Wir schaffen das“ und Sigmar Gabriel | |
trug den „Wir helfen“-Button der Bild-Zeitung am Revers. Doch kurz danach | |
begann die Regierung, restriktive Gesetze zu erlassen. So ist es bis heute. | |
Mir kann keiner erzählen, dass wir ohne die AfD einen Heimatminister | |
hätten. Früher hätten sich doch alle an die Stirn getippt. | |
Horst Seehofer und andere CSUler imitieren den AfD-Sound, um WählerInnen | |
zurückzuholen. Ist das legitim? | |
Das geht nach hinten los. Ohne Wille und Absicht stärkt Seehofer im Grunde | |
genommen die AfD, indem er sie tendenziell normalisiert. Sinnvoller wäre | |
es, die Bürgerinnen und Wähler aufzuklären. | |
Die AfD versucht, sich in der Sozialpolitik zu profilieren. Macht Ihnen das | |
Angst? | |
Es handelt sich bisher um wolkige Ankündigungen einzelner AfDler. Im | |
Programm steht zu Sozialpolitik nicht viel. Die AfD ist nach wie vor eine | |
neoliberal durchwirkte Partei. Sie macht Menschen, die Angst vor dem | |
sozialen Absturz haben, kein Hilfsangebot. Außerdem werden wir mit der AfD | |
immer einen Dissens haben. Für uns sind alle Menschen gleich, wir machen | |
Sozialpolitik für alle – für Deutsche, Nicht-Deutsche, Schwule oder Lesben, | |
Behinderte und Nicht-Behinderte. Die AfD grenzt aus. | |
25 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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