Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Leicht verschroben, einfach komplex
> Möchte man hören, dass die eigene Art der Erzählung kauzig ist? Und gibt
> es ein Mittel dagegen? Warum nicht leichte oder einfache Sprache nutzen?
Bild: Leichte Sprache entwickelt sich ständig weiter – wie jede andere Sprac…
An jenem Freitag neulich, dem 13., standen eine Gitarristin und ich
gemeinsam auf der Bühne mit einem Programm, das Trost im tristen November
spenden sollte. Zwei Wochen vorher hatte sie meine Stücke gelesen, um für
den Auftritt Skizzen zu komponieren, und am Telefon gesagt: „Mir fällt es
sehr schwer, zu deinen Texten Musik zu hören. Sie gefallen mir gut, wirken
auf mich aber einigermaßen verschroben und komplex.“
Ein Echo, mit dem ein Typ wie ich zunächst hadert. Jenseits der 50 möchte
man ungern hören, die Art der Erzählungen sei verschroben. Schwingt da
nicht der Schrat mit, der Kauz, der Kobold? Und gilt ein Stil als
verschroben, ist er auch verschraubt, siehe im Grimm’schen Wörterbuch?
Nicht für die Gitarristin, die ja dem Kram durchaus gewogen war, sondern
elementar wagte ich ein Experiment, um wenigstens die Komplexität zu
mindern, das zweite Attribut. Im Zeitalter des Content-Managements soll man
ja Texte vereinfachen, oder? Gut, dass man sich die Vereinfachung
bescheinigen lassen kann dank der Leichten Sprache.
Die Leichte Sprache ist eine genau geregelte Ausdrucksweise des Deutschen,
die der „Barrierefreiheit“ dient. Das „Netzwerk Leichte Sprache“ gibt d…
Regelwerk heraus: „Benutzen Sie einfache Wörter. Schreiben Sie keine
Abkürzungen. Vermeiden Sie Rede-Wendungen. Vermeiden Sie hohe Zahlen.
Schreiben Sie kurze Sätze. Schreiben Sie alles zusammen, was zusammen
gehört … Machen Sie viele Absätze und Überschriften. Benutzen Sie Bilder.
Und die wichtigste Regel ist: Lassen Sie den Text immer prüfen.“
Gleich wollte ich mir meine Texte vornehmen sowie meinen nächsten Roman,
der sich danach leichter verkaufen würde als der Vorgänger. Da blitzte der
Gedanke auf, dass ein simpler Dualismus einen kaum weiterbringt. Leicht und
schwer sind miteinander verflochten. Baltasar Gracián (1601 bis 1658)
trifft es in seinem Buch voller Ratschläge: „Man unternehme das Leichte,
als wäre es schwer, und das Schwere, als wäre es leicht: Jenes, damit das
Selbstvertrauen uns nicht sorglos, dieses, damit die Zaghaftigkeit uns
nicht mutlos macht.“
Letztlich also war ich überfordert und wandte mich der Einfachen Sprache
zu. Ja, die gibt es auch. Sie hat keine festen Regeln, sondern gibt Tipps:
„Bei Texten in einfacher Sprache gibt es oft längere Sätze. Ein Satz kann
über 2 oder 3 Zeilen gehen. Es gibt Fremdwörter und Fachwörter. Es gibt
Abkürzungen. Niemand prüft die Texte“, wie „Klar & Deutlich“, eine Agen…
für Einfache Sprache, erklärt. Na bitte.
Nun, bei jenem Auftritt trafen wir schließlich offenbar die Mitte aus
leichten und schwierigen Schwingungen, das Publikum war mehr als zufrieden.
Erst gegen Mitternacht hörten die Gitarristin und ich von den Anschlägen in
Paris.
Als ich Tage später ihren Eindruck von meinem Skript einem
Rundfunkredakteur gegenüber zitierte, sagte er: „O, ich kann mir nichts
Schöneres vorstellen als die Ansicht, meine Texte seien ‚verschroben und
komplex‘.“ So kann man es auch sehen.
2 Dec 2015
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
## TAGS
Erzählungen
Übersetzung
Bier
David Bowie
Neo Rauch
Fische
USA
Theorie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Politiknachrichten zur Bundestagswahl: Deutsche Sprache, Leichte Sprache
Viele Deutsche brauchen Leichte Sprache, um sich politisch zu informieren.
Aber wie lassen sich komplexe Themen in kurzen Worten erklären?
Verwendung von leichter Sprache: Wer bestimmt, was „leicht“ ist?
„Leichte Sprache“ ist die Rollstuhlrampe für Menschen mit
Lernschwierigkeiten. Sie soll ins Gesetz. Auch die taz bemüht sich,
leichter zu werden.
Die Wahrheit: Bierklagen in Krähwinkel
Unkrautvernichtungsmittel im Gerstensaft? Da hilft nur eins: Eine Flasche
Seelentrank öffnen und den großen Bierpoeten Jean Paul lesen.
Die Wahrheit: Besser spät als nie sterben
Wenn manche viel zu früh sterben, müsste es Menschen geben, die zum
passendsten Zeitpunkt, und welche, die zu spät dahinscheiden.
Die Wahrheit: Späher an meiner Decke
Der Illuminatenorden hat im Verein mit der Versicherungslobby veranlasst,
dass Rauchwarnmelder Pflicht in Wohnungen werden.
Die Wahrheit: Wenn Fische Hunde küssen
Der Wellnesswahn geht weiter, immer weiter. Im norddeutschen Raum pediküren
jetzt Fische Menschenfüße.
Die Wahrheit: Grand Tour durchs Land der Coca-Cola
Im Jahr 1935 begaben sich zwei Sowjetsatiriker auf eine Reise durch die
USA. Jetzt wird die Fahrt durch „das eingeschossige Amerika“ wiederholt.
Die Wahrheit: Englisch, Denglisch, unumgänglich
Bei der korrekten Verwendung englischer Ausdrücke im Deutschen ist
vielfältiges Hintergrundwissen gefragt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.