| # taz.de -- Die Wahrheit: Bierklagen in Krähwinkel | |
| > Unkrautvernichtungsmittel im Gerstensaft? Da hilft nur eins: Eine Flasche | |
| > Seelentrank öffnen und den großen Bierpoeten Jean Paul lesen. | |
| Der Sturm im Bierglas (ho, ho) kürzlich schien sich gleich gelegt zu haben. | |
| Zunächst vermeldete das Umweltinstitut München, in den vierzehn | |
| meistverkauften deutschen Biersorten den Unkrautvernichter Glyphosat | |
| nachgewiesen zu haben. Süffig spöttelnd rechnete das Bundesinstitut für | |
| Risikoforschung (BfR) nach, wie viel Bier ein Mensch zu trinken hätte, | |
| damit Glyphosat schädlich wäre: mindestens 1.000 Liter am Tag. Das sorgte | |
| für Gelächter, die Münchner schlugen zurück und ich öffnete das erste | |
| Schneider Weizen. | |
| Der entscheidende Punkt ist wohl, ob man Glyphosat als krebserregend | |
| einstuft oder nicht. Wenn ja, gibt es keine Untergrenze, ab der sie | |
| unschädlich wäre. Das BfR meint dagegen, Glyphosat errege keinen Krebs. Dem | |
| widerspricht zum Beispiel die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC). | |
| Sie hält den Stoff für „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“. Ob d… | |
| Haltung der BfR wiederum frohlockt die Chemieindustrie, geht es doch grad | |
| um die Genehmigung von Glyphosat für weitere fünfzehn Jahre. Und ich | |
| genehmigte mir das zweite Schneider. | |
| Wie kompliziert das alles ist heutzutage. Bier? Der Seelentrank! Die | |
| vorletzte Ölung! Das Weihwasser schlechthin! Die herrlichen Metaphern | |
| stammen von Jean Paul. Dieser Tage hatte ich bei dem Schriftsteller | |
| vorbeigeschaut, doch nicht wegen seiner Eigenschaft als leidenschaftlicher | |
| Bierapostel. Sondern ich versuchte zum x-ten Mal, mit einer Geschichte von | |
| ihm voranzukommen. Allein der Titel verheißt Geniales, womöglich gar eine | |
| ewig gültige Analyse: „Das heimliche Klaglied der jetzigen Männer“. Auch | |
| die jetzigen Männer neigen zum Klagen – heimlich, unheimlich oder | |
| öffentlich. | |
| Dass sich in dieser Erzählung zudem die Premiere von „Krähwinkel“ als eine | |
| spießbürgerliche Kleinstadt findet, sei nur angedeutet. Der Einstieg fällt | |
| schnittig aus: „. . . der Schauplatz ist in Krähwinkel, einem hübschen, | |
| aber sehr kotigen und steinichten Landstädtchen in Flachsenfingen . . .“ | |
| Ich öffne das dritte Weizen. Jean Pauls Ehefrau Karoline berichtet derweil | |
| über ihren Mann: „Bei der Einfahrt eines Bierfasses läuft er seliger als | |
| bei dem Eintritt eines Kindes in die Welt . . . In solcher Ungeduld werden | |
| die Stunden gezählt und schon im Voraus mit Trinken gefastet.“ Er wiederum | |
| schreibt in einem Brief vom 5. April 1803: „Ich selber blühe in jeder | |
| Jahreszeit, weil ich mich mit dem Bier begieße . . .“ Oder am 22. Dezember | |
| 1809: „Das Bier macht mich noch schwanken – in der Wahl nämlich.“ | |
| Zahllose Beispiele aus der Dokumentation „Bier Bier Bier wie es auch komme“ | |
| wären zu zitieren, auch aus dem Nachlass, wo Jean Paul Grundsätzliches | |
| verankert: „Was alles Böses gegen das Bier bei Philosophen gesagt wird, | |
| gilt nicht bei mir.“ | |
| Schneider Numero vier. Irgendwann stelle ich mal Jaroslav Hašek vor, den | |
| Schöpfer des braven Soldaten Schwejk und Mitbegründer der „Partei des | |
| maßvollen Fortschritts in den Grenzen der Gesetze“. Er tat kund, täglich 34 | |
| „ärztlich bestätigte“ halbe Liter Bier zu sich zu nehmen. Immerhin. | |
| 2 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Dietrich zur Nedden | |
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