# taz.de -- Die Wahrheit: Drei einleuchtende Songs | |
> Liedgut führt gerne weiter als sein eigentlicher Text. Und manchmal auch | |
> schnurstracks dran vorbei. | |
Gedankenspiele, Verknüpfungen und . . . Erleuchtung? Nun ja. Versuchen wir | |
es mit drei Songs, die kürzlich mehr oder minder ungeahnt zu deuten waren. | |
Einer der Songs ist eindeutig geheimnisvollen Zwischenwelten zuzuordnen. | |
Vor bald fünfzig Jahren, vom 29. Oktober bis zum 4. November 1966, hatte | |
ein Stück von Question Mark & the Mysterians die Spitze der US-Charts inne, | |
das den Bundesliga-Abstieg von Hannover 96 ein halbes Jahrhundert später | |
prophezeite: „96 Tears“. | |
Allein der Name dieser Garagenband! „Fragezeichen & die Mysterianer“ – | |
Letzteres eine Wortkreation, Mystiker hieße „Mystic“. Wie es meine Art ist, | |
dekonstruierte ich „96 Tears“ mit meiner Ukulele, zupfte es dann am Stadion | |
vor dem Heimspiel gegen Schalke gleich neben einer Imbissbude. Es steckte | |
schließlich eine Menge Bares in der Sammelbüchse: „Too many teardrops for | |
one heart to be cryin’ . . . You’re gonna cry ninety-six tears . . .“ | |
Der nächste Song ist bekannter. „Message in a Bottle“ von Police ist bei | |
mir verkettet – Sensation! – mit jedem Dauerlauf am Strand der Insel Amrum | |
entlang. Man summt oder brummt ab und zu vor sich hin. Und siehe da, als | |
ich Anfang April letzten Jahres an der Nordspitze trabe, fällt ein | |
flüchtiger Blick auf eine farblose Glasflasche mit versiegeltem Verschluss; | |
darin ein Zettel, auf dem „Break the bottle“ steht. Ich nehme mir vor, sie | |
auf dem Rückweg aufzuheben, später genauer zu betrachten. Nun, auf jenem | |
Rückweg springen die Gedanken irgendwo, nirgendwo umher, jedenfalls lasse | |
ich die Flaschenpost zwischen den Algen. | |
Eine Urlauberin spazierte ein paar Tage danach müßiger daher, griff zu. | |
Kürzlich stellte sich heraus, dass die Flasche die älteste erhaltene | |
Flaschenpost der Welt ist. „Die Sendung stamme von der Marine Biological | |
Association im südenglischen Plymouth und sei 108 Jahre und 138 Tage im | |
Meer unterwegs gewesen, teilte eine Sprecherin von Guinness World Records | |
mit.“ – „Walked out this morning I don’t believe what I saw / A hundred | |
billion bottles washed up on the shore . . .“ | |
Den dritten Song anzustimmen, lag neulich sehr nahe, und zwar weltweit. | |
Dessen Verse sind in meiner Materialiendatei für die Kolumne formerly known | |
as „Strafplanet“ seit etlichen Jahren aufbewahrt; sobald bei uns hier im | |
April frostige Kälte herrscht, ja sogar Schnee rieselt über Nacht, fällt | |
mir nämlich seit dreißig Jahren Prince’ Song „Sometimes It Snows in April… | |
ein. Eignet sich bei passender Witterung tadellos für eine Story. | |
Ich grub. Aha, ich hatte hier draus zitiert, Moment, ja, im April 2003, als | |
Flocken schüchtern durch die Straßen trieben: „Seitdem Prince den Song 1986 | |
veröffentlicht hat, ist jedes Jahr die Spannung groß, ob dieses nachrangige | |
Naturschauspiel gegeben wird oder nicht. Der synchrone Soundtrack zum | |
kapriolischen Wetterdesign: heuer passte er endlich wieder.“ | |
In diesem Jahr auch, nur der Protagonist weilt nicht mehr unter uns. „All | |
good things, they say, never last.“ Over und aus für heute. | |
4 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Dietrich zur Nedden | |
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