# taz.de -- Die Wahrheit: Fallen der Fragmente | |
> Die leichte Paraphrase einer bekannten Redewendung führt weit hinein ins | |
> unendliche Reich der Verhaspler und Entgleisungen. | |
Eröffnen wir etwa mit einem Proseminar über Gebrauchslyrik? Nein, keine | |
Angst. Immerhin ziele ich nicht darauf ab. Es dreht sich um etwas anderes. | |
Zunächst aber die ersten Verse: „Es ist nichts gut so / Außer: man tut so.�… | |
Dieses kluge Epigramm – in dem natürlich weder Gejammer noch gar | |
Wutbürgerlichkeit mitschwingen – verdanken wir dem Lyriker Uli Becker, der | |
die bekannten Zeilen von Erich Kästner parodiert: „Es gibt nichts Gutes, / | |
außer: man tut es.“ Um diese Verknüpfung soll es hier jedoch nicht gehen. | |
Becker spricht nämlich eine praxisnahe Weisheit an, die unter der | |
Hirnschale phasenweise bei mir herumspukt, als Gift gegen die beliebten | |
Reaktionsfloskeln in unserer Alltagskommunikation. Sie lauten nach wie vor | |
„Alles gut“ und „Nichts passiert“ und „Kein Problem“ – wobei Letz… | |
glasklar nicht mit dem „Null Problemo“ des Außerirdischen Alf aus der | |
gleichnamigen Sitcom zu verwechseln ist. Binnen 24 Stunden hatte ich | |
jedenfalls neulich aus diesem Trio fünf Dutzend Einheiten abgekriegt, somit | |
einen Schock beisammen, nach altem Zählmaß. Da muss man sich halt wehren. | |
Eine klitzekleine Wendung. Wir nehmen noch von dem Typen, der am | |
Tresenwinkel sitzt, die Antwort auf die Frage „Wie geht’s?“ mit („Am | |
liebsten gut“), bevor wir als weiteres Heilmittel gegen diese Art von | |
Anfechtungen einen Netzraum besichtigen: das „Begriffsstudio“ der Lyrikerin | |
und Essayistin Monika Rinck, das sie seit zwanzig Jahren leitet. Bis dato | |
hat sie in ihrer Wunderkammer Stücker 3.988 Begriffe archiviert, Wörter und | |
Halbsätze aus den unterschiedlichsten medialen Quellen entrümpelt, vom | |
Verhaspler bis zur Entgleisung, von eigenen Schnipseln bis zum Nachhall | |
eines Zitats oder eines Bewusstseinsfragments. | |
Angeln wir einige Beispiele zwischen Nr. 3.007 und Nr. 3.944 heraus: „in | |
einer gleichsam halsstarrigen Gelassenheit“ mochte ich insbesondere, auch | |
„Halbgefrorenes von den Königsberger Klopsen“. Oder wie wäre es mit „ei… | |
Bonbonniere voll böser Gedanken“? Schließlich werde ich, „bis zur | |
Zerrüttung verfeinert“, nicht „voranzaudern“, sondern im „Pennymarkt d… | |
Eitelkeiten“ mit „Spaß und Spuk“ oder „mit der Schnappatmung der | |
Entschuldigung“ die „allerletzte der sinnlichen Rasereien“ herausklauben. | |
Es steckt in diesem Studio, so begreife ich es, die ersprießliche Kraft | |
dessen, was jenseits des Richtigen, Logischen, Sinnhaften, Perfekten | |
mäandert. Mit anderen Worten: Die Sprache stellt uns Fallen, und wir | |
stellen ihr auch welche. Beides ist oft komisch anzuschauen. | |
Während ich an einer dritten Umschreibung feile, in der vielleicht die Nr. | |
3.223 erwähnt werden würde („das sich erledigende und sich erlösende | |
Wissen“), trifft Elekropost von Felicitas Hoppe ein. Ich hatte ihr zuvor | |
die Zeilen von Becker und Kästner erwähnt, zitiert. Im Betreff lese ich, | |
welche Variante ihr in den Sinn gekommen ist. „Die Welt ist gut so – außer | |
sie tut so!“ Auch nicht schlecht. Und wer weiß, vielleicht ruft dieses Trio | |
ein eigenes Teilgenre in der Rubrik Gebrauchslyrik ins Leben. | |
1 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Dietrich zur Nedden | |
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