| # taz.de -- Die Wahrheit: Besser spät als nie sterben | |
| > Wenn manche viel zu früh sterben, müsste es Menschen geben, die zum | |
| > passendsten Zeitpunkt, und welche, die zu spät dahinscheiden. | |
| Neulich ist die Schauspielerin Maja Maranow gestorben, und zwar, wie es | |
| allerorts hieß, „mit nur 54 Jahren“. Mindestens ein Artikel setzte die | |
| Wortverbindung „viel zu früh“ hinzu. Das stimmt zweifellos, dennoch ließ | |
| mich dieses „nur“ bereits als Kind stutzen. Und das „viel zu früh“ erst | |
| recht. | |
| Beide Formeln werfen jedenfalls Fragen auf. Ich meine, wenn manche viel zu | |
| früh sterben, müsste es Menschen geben, die zum passendsten Zeitpunkt, und | |
| welche, die zu spät dahinscheiden. Beim „zu spät“ dürfte sich die | |
| Menschheit überwiegend einig sein hinsichtlich der Schurken Hitler und | |
| Stalin. | |
| Weitaus weniger Menschen würden sich der Einschätzung des Pianisten Glenn | |
| Gould zu Mozart anschließen, dessen letztes Stündlein kurz vor seinem 36. | |
| Geburtstag schlug. „Am besten“ sei Mozart, so Gould, in seiner | |
| „Teenager-Musik“ gewesen, sei „eher zu spät als zu früh gestorben“. | |
| Eine ähnlich abseits des Mainstreams gelagerte Ansicht über einen Todesfall | |
| äußerte Muammar al-Gaddafi, damals Staatschef Libyens, als Ronald Reagan | |
| mit 93 Jahren verdämmerte. Rea-gan sei „zu früh gestorben, um ihn für seine | |
| Verbrechen vor ein Gericht zu stellen“. | |
| Beiseite lassen wir hier die hinlänglich geführte Debatte innerhalb des | |
| Rock-’n’-Roll-Diskurses, wie früh man standesgemäß ins Gras beißen soll… | |
| siehe den Klassiker „My Generation“ von The Who, in dem das lyrische Ich | |
| hofft, zu sterben, bevor es alt werde. Ebenso ignorieren wir den Klub 27, | |
| dem bis jetzt namentlich Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim | |
| Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse angehören. | |
| Aber wie viele Jahre muss man gelebt haben, damit kein „nur“ vor der Ziffer | |
| steht? Welche Anzahl an Lebensjahren reicht, damit man nicht „zu früh“ | |
| stirbt? Über den Schriftsteller W. G. Sebald las ich, er sei „nur 57 Jahre | |
| alt geworden“, „nur 59 Jahre“ wiederum wurde die Fußballerlegende George | |
| Best, der einst sinnierte, er habe „viel Geld für Alkohol, Frauen und | |
| schnelle Autos“ ausgegeben und den Rest „einfach verprasst“. | |
| Als der Schauspieler Dieter Pfaff, bekannt für die TV-Figuren „Sperling“ | |
| und „Bloch“, im Alter von 65 Jahren in die Grube fuhr, hieß es irgendwo, er | |
| „ist tot, viel zu früh gestorben“. Das Quantum ward gesteigert, als Claus | |
| Leggewie anlässlich des Todes des Soziologen Ulrich Beck schrieb, er sei | |
| „viel zu früh von uns gegangen“. Beck war im Alter von 70 Jahren gestorben. | |
| Womöglich liefert die Statistik die Grundlage für die Grenze, in welchem | |
| Alter man „zu früh“ stirbt. Die Lebenserwartung eines 2015 in Deutschland | |
| geborenen Mädchens beträgt 82 Jahre und zehn Monate, die eines Jungen 77 | |
| Jahre und neun Monate. Allerdings mag man diskutieren, ob es nicht darum | |
| geht, wie lang man lebt, sondern wie. | |
| Wir lassen den Komplex in der Raumzeit einfach so stehen. Erwähnen sollte | |
| man bloß zum Schluss, in keinem einzigen der Myriaden von Artikeln | |
| anlässlich David Bowies Tod im Alter von 69 Jahren ein „nur“ oder ein „zu | |
| früh“ gesehen zu haben. Das scheint momentan in etwa die Linie zu sein. | |
| 3 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Dietrich zur Nedden | |
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