# taz.de -- Ausstellung im Leopold Museum Wien: Suche nach dem Diamanten | |
> Die Wiener-Festwochen-Ausstellung „The Conundrum of Imagination“ eröffnet | |
> fruchtbare postkoloniale Perspektiven. | |
Bild: Ahmet Ögüt, Black Diamond, 2010. Installationsansicht, Van Abbemuseum, … | |
Was wäre, wenn Österreich Nigeria kolonisiert hätte, fragt der in Lagos | |
arbeitende Fotograf Abraham Onoriode Oghobase. Seine Druckgrafiken im | |
Tiefgeschoss des Leopold Museums zeigen Statuen und Motive einer | |
touristischen Erkundung Wiens vor der Wüstenei der Zinnabbaugebiete seines | |
Landes. Eine Bildsprache, die irgendwo zwischen politischem Plakat und der | |
Schlichtheit mittelalterlicher Kreuzwegdarstellungen angesiedelt ist. | |
Über verschiedene Layer hinweg korrespondieren etwa ein Bischofsstab und | |
das aufgerissene Maul eines zum Schaden vieler Süßwasserbiotope nach Afrika | |
eingeschleppten Barsches. Das analoge Herstellungsverfahren bleibt in | |
diesen Arbeiten kenntlich und spielt mit der Idee einer Reauratisierung der | |
Kunst durch obsolete Technologie. | |
Oghobase erwischt sein Publikum ein wenig auf dem falschen Fuß. Mit | |
überseeischen Eroberungen hatte das alte Kaiserreich schließlich nichts zu | |
tun, wenn man von ein paar desperaten Nordpolarexpeditionen absieht, die | |
Namensgebungen („Franz-Josef-Land“), aber keine Landnahmen zur Folge | |
hatten. | |
## Das kulturelle Tafelsilber | |
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden europäische Überlegenheitsansprüche von | |
Wien aus nur mehr auf dem Gebiet von Kunst und Kultur formuliert. Ein paar | |
Stockwerke höher beherbergt das Leopold Museum mit wichtigen Arbeiten von | |
Klimt und Schiele gleichsam etwas vom Tafelsilber jener „Kulturnation“. | |
Dorthin bringt der in Kamerun geborene und in Berlin lebende | |
Ausstellungsmacher Bonaventure Soh Bejeng Ndikung – er ist auch Teil des | |
KuratorInnenteams der aktuellen Documenta – mit „The Conundrum of | |
Imagination“ („Das Rätsel der Vorstellungskraft“) außereuropäische | |
Sichtweisen in 16 künstlerischen Positionen. Der Titel der Ausstellung | |
zitiert James Baldwin. Wie es wäre, wenn die Entdecker die Entdeckten wären | |
und nicht umgekehrt? | |
Globale Migrationsbewegungen haben dies in der Zwischenzeit längst | |
geleistet, nur eben anders. Die Konflikte, die sie im Norden begleiten, | |
lassen entlang ihrer Bruchlinien das überwunden geglaubte hässliche Antlitz | |
kolonialer Gewalt wieder aufscheinen. Und doch erlaubt erst ein global | |
agierendes Kunstsystem KünstlerInnen über lokale Grenzen hinweg, darüber zu | |
handeln. | |
## Suche nach dem versteckten Diamanten | |
Der Lift führt nach unten, man betritt den zentralen Ausstellungsraum. | |
Ahmet Ögüt konfrontiert das Publikum hier spielerisch mit dem Begehren der | |
kolonialen Eroberer nach den drei Gs „God, Gold, and Glory“. Für „Black | |
Diamond“ hat er mehrere Tonnen Kohle aufschütten lassen. Wer am | |
Animationsangebot gefallen findet, darf im gelben Overall nach einem | |
versteckten Diamanten darin suchen. | |
Schon die erste Arbeit deklariert die Ausstellungsdramaturgie, die Ndikung | |
und seine Kokuratorin Pauline Doutreluingne verfolgen. Analytische Distanz | |
in der Präsentation ist ihre Sache nicht. Sie wollen das Publikum für ihre | |
Exponate einnehmen, mit Theatralität, sinnlicher Fülle, dem Appell an den | |
Spieltrieb oder der Lust am Rätsellösen. Sie überreden auch dort noch, wo | |
das Überzeugende mancher Arbeiten genügen würde. | |
Vor dem Hintergrund der Verflechtung von Eroberungs- und | |
Wissenschaftsgeschichte fragt Ines Doujak nach den Angst- und | |
Begehrenskonstellationen, die Erkenntnisinteresse vorformen. Die Spaltung | |
von Geist und Materie codieren den Körper, er wird zum Sehnsuchtsort | |
ungeahnter Lüste und Entgrenzungen, aber ebenso finstere Quelle von | |
Krankheiten und Gefahren. | |
Ihre Arbeit „Skins“ besteht aus großformatigen Kollagen, die in der Totalen | |
„exotische“ Opulenz versprechen, im Detail aber Zeichnungen kranker Körper | |
aus medizinischen Darstellungen mit Abbildungen psychotroper Pflanzen aus | |
botanischen Lehrbüchern des 19. Jahrhunderts zusammenfügen. | |
## Brandbomben aus Palmöl | |
In ihrem Filmessay „The Trouble with Palms“ erzählt Filipa César von den | |
Spuren einer aufgelassenen deutschen Palmölfabrik in Westafrika, in der | |
Material für Brandbomben im Zweiten Weltkrieg hergestellt wurde. Gegen | |
diesen Erzählstrang montiert sie Textpassagen über die Rolle der Palme in | |
der christlichen Ikonografie. Massenvernichtung und Heilserwartung sind | |
darin unentrinnbar verknüpft. | |
Das neue Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Berlin | |
liefert ihr dazu unfreiwillig die Pointe. Der Budgetposten Kunst am Bau | |
schuf eine künstliche Palme vor der Fassade. Filipa César liest sie in | |
ihrer Arbeit, durchaus in polemischer Setzung, als Freud’sche Fehlleistung | |
im Diskurs staatlicher Repräsentation. | |
„The Conundrum of Imagination“ gelingt es immer wieder, | |
postkolonialistische Perspektiven auch jenseits eines wohlfeilen | |
politischen Programms erkenntnisfördernd einzusetzen. Im Verlauf der | |
diesjährigen Festwochen ist das ein Fortschritt. Der Begriff | |
Postkolonialismus überwölbt das Festivalprogramm wie ein Kirchentagsmotto, | |
ohne dass die Kunst davon bislang sonderlich beflügelt wäre. | |
2 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Uwe Mattheiß | |
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