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# taz.de -- Insiderbericht aus dem Bamf: Ansichten eines Anhörers
> Unser Autor war sechs Monate beim Bundesamt für Migration und
> Flüchtlinge. Er schätzte die Glaubwürdigkeit von Asylbewerbern ein.
Bild: Die meisten Antragsteller wissen nicht, dass es beim Bamf nicht auf ihre …
NEUBURG taz | Anfang 2016 stand das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bamf) vor der Aufgabe, das Merkel’sche Versprechen „Wir schaffen das“
einzulösen. Amtsleiter Frank-Jürgen Weise lehnte sich weit aus dem Fernster
und meinte, dass der Berg von Asylanträgen bis zum Jahresende abgebaut
werden könne. Als im Sommer der Antragsberg nicht kleiner geworden war und
die Wahl näherkam, stellte man notgedrungen auch Geisteswissenschaftler
ein.
Ich zählte zu den etwa 130 Geisteswissenschaftlern (unter insgesamt etwa
2.000 neuen Anhörern), die im Sommer 2016 beim Bamf begannen, befristet auf
sechs Monate. Wir bekamen – ohne Ansehen der vorherigen Qualifikation –
alle die gleiche Schulung, die uns in drei Wochen auf die Arbeit als
Anhörer vorbereiten sollte: rechtliche Grundlagen, digitale Aktenführung,
Anhörungstechniken, Verhalten in kniffligen Situationen.
Wir sollten die Antragsteller nur anhören, ohne dann über ihren
Schutzstatus zu entscheiden. Das ist etwa so, als wenn ich zum Arzt ginge
und der erste Doktor untersuchte mich und schriebe einen Bericht, der
zweite Doktor verschriebe mir aufgrund des Berichts des ersten Doktors eine
Therapie. Man kann diese Arbeitsteilung machen, muss dabei aber bedenken,
welche Menge an Information und welches Maß an Intuition auf diesem Weg
verlorengehen.
Ein Gesundheitssystem, das auf dieser Art von Rationalisierung beruhte,
würde die Menge an behandelten Patienten auf Kosten ihrer Gesundheit
erhöhen. Auf den Fluren erzählte man sich, dass die Idee zu dieser
Aufteilung von den Unternehmensberatern gekommen wäre, die beim Amt an
einem Tag so viel verdienten wie wir in einem Monat. Sie haben bestimmt
länger als einen Tag darüber nachgedacht.
## Sind sie glaubwürdig?
Einer der wichtigsten Punkte während der Anhörung der Antragsteller ist die
Beurteilung von deren Glaubwürdigkeit. Denn das allermeiste von dem, was
sie erzählen, können sie nicht durch Dokumente oder andere Beweismittel
belegen. Wir mussten uns auf das verlassen, was sie sagen.
Zu allen Punkten muss ich mir als Anhörer eine Meinung bilden: Kommt sie
tatsächlich aus Barawe in Somalia (und nicht etwa aus Äthiopien)? Ist er
tatsächlich persönlich von den Taliban verfolgt worden (und kennt er die
Geschichte, von der er erzählt, nicht etwa „nur“ vom Hörensagen)?
Ich schenkte ihr – oder ihm – erst einmal einen ganz persönlichen,
unbürokratischen Glauben, denn 90 Prozent der Antragsteller, die ich
angehört habe, hatten keine Papiere dabei, die zumindest ein paar
Eckpfeiler ihrer Geschichten hätten belegen können. Fünfzig Prozent haben
noch nie im Leben Papiere besessen, wie sie glaubhaft berichteten. Es ist
nicht die Unschuldsvermutung, es ist die Wahrhaftigkeitsvermutung, mit der
wir den Antragstellern begegnet sind: erst einmal glauben, was erzählt
wird. Bei einigen von ihnen fällt dann trotzdem auf, dass sie nicht die
Wahrheit sagen.
## Sie holen sich Tipps
Natürlich bereiten sich viele auf die Anhörung vor, holen sich Tipps von
alten Hasen, Anwälten und nationalen Communities. Natürlich tauschen sie
sich untereinander aus – wie auch nicht, es geht um eine Lebensentscheidung
bei ihnen. Es fällt bei gewissen Moden auf. Wenn etwa plötzlich von
Menschen, die alle vor Monaten noch angaben, aus dem Senegal zu sein, und
auch dortige Geburtsorte angegeben hatten, nun gewissenhaft Geburtsurkunden
aus Gambia nachgereicht werden – vermutlich weil sie erfahren haben, dass
Gambia (im Gegensatz zum Senegal) bei uns nicht als sicheres Herkunftsland
gilt.
Trotz einiger organisatorischer Defizite, die der großen Anzahl an
Antragstellern und an neuen Mitarbeitern geschuldet waren, schafften wir
neuen und alten Anhörer ordentlich etwas weg. So weit ich das sagen kann,
waren die allermeisten Anhörer engagiert bei der Sache.
Dennoch war den Oberen die Anzahl der durchgeführten Anhörungen durchgehend
zu gering. Auf allen Ebenen wurde gezählt, gemessen und in Quoten
umgerechnet, tägliche, wöchentliche, monatliche Anhörungen pro Nase, pro
Team, pro Außenstelle und bundesweit. Es reichte nie.
Hätte das Amt allerdings die Möglichkeiten des Dublin-Abkommens, das
deutsche Asylsystem zu entlasten, tatsächlich ausgeschöpft, wären wir
effizienter gewesen. Hätte man jeden Asylantrag sofort darauf geprüft, ob
Deutschland überhaupt für ihn zuständig ist, hätte man eine Menge Arbeit
gespart.
Wenn ich dem Antragsteller in einem deutschen Büro gegenübersitze, ist
klar, dass nach unseren Regeln gespielt wird: Ich lege die grobe Schablone
des deutschen Asylrechts über die persönliche Geschichte des
Antragstellers. Die meisten haben eine Tortur hinter sich. Besonders die
Afrikaner sind oft von Schleppern erpresst und ausgeplündert, in libyschen
Sklavenlagern gefangen und auf hochseeuntüchtige Seelenverkäufer getrieben
worden.
Für die Antragsteller bin ich die Bundesrepublik, ich stehe für das Gesetz.
Genau genommen vertrete ich das Gesetz vor dem Land, in das die Menschen
wollen, weil es so gute Gesetze hat. Das sagen sie auch und meinen es
offensichtlich ernst: Wir möchten nach Deutschland, weil hier die Menschen
und die Menschenrechte respektiert werden.
Natürlich ist manchmal auch Opportunismus dabei, wenn die Antragsteller vor
mir das Land loben, dessen (mitentscheidender) Vertreter ich bin. Viele
wollten dieses Lob als Abschlusswort in das Protokoll aufgenommen sehen.
Ebenso gern verweisen sie auf ihre bisherigen Integrationsbemühungen, um
einen Pluspunkt zu bekommen.
## Werden sie verfolgt?
Beides ist vergebliche Liebesmüh. Die meisten Antragsteller wissen nicht,
dass es beim Bamf nicht auf ihre Integrationsbemühungen ankommt, dass es
egal ist, ob sie schon drei Deutschkurse mitgemacht haben, sondern dass es
nur um die Frage geht, ob sie im Heimatland verfolgt werden.
Die Anerkennung – beziehungsweise der Aufenthalt, wie viele von ihnen sagen
– ist das Ziel der Antragsteller, aus welchen Gründen sie auch immer
kommen. Verschwindend wenige von ihnen (etwa 0,5 Prozent) bekommen
politisches Asyl. Denn dafür müssten sie auf direktem Weg aus dem Land, in
dem sie drangsaliert werden, nach Deutschland kommen. Das aber stellt sich
als sehr schwierig dar: Sie müssten mit dem Flugzeug kommen (und durch die
Grenzkontrolle in ihrem Heimatland) oder mit dem Boot über die Nordsee. Der
Weg über ein sicheres Drittland schließt politisches Asyl aus.
Es bleiben allerdings noch andere Arten des Schutzes, die einem
Antragsteller gewährt werden können: zunächst der Schutz vor Verfolgung
gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention; dann der subsidiäre Schutz für
Menschen aus Gebieten, in denen Bürgerkrieg herrscht. Zusätzlich prüfen
wir, ob die Antragsteller in ihrem Heimatland ihr Existenzminimum erreichen
könnten. Oder ob sie schwer krank sind. Erst wenn alle Schutzgründe
verneint werden, haben die Antragsteller keinen rechtlichen Anspruch auf
den Aufenthalt.
Unser Asylrecht ist ein hervorragendes Recht. Und es wird – so mein
Eindruck – im Asylverfahren gewissenhaft und wohlwollend angewendet von
Leuten, die es ernst meinen mit der Rechtsstaatlichkeit.
Zugleich ist es ein schlechtes Recht, weil es häufig nicht auf die
Situation passt, in der es angewendet wird. Der Antragsteller und ich
sitzen uns gegenüber und sehen uns in die Augen. Wir ahnen, dass wir gleich
aneinander vorbeireden werden, weil es eigentlich nicht darum geht, dass
der Antragsteller Asyl oder Schutz vor Verfolgung, sondern ein besseres
Leben sucht.
Er – oder sie – möchte die Chance, die ihm unser Asylrecht bietet,
ergreifen, auch wenn es nicht wirklich passt. Aber es gibt nichts Besseres
in Deutschland. Es ist, als ob er sich auf eine Stelle als Hausmeister
beworben hätte, aber beim Vorstellungsgespräch befragt würde, als wäre er
Zeuge eines Verbrechens gewesen. Sie – oder er – weiß, dass ich hören
möchte, wie sie verfolgt worden ist, und ich weiß, dass sie gleich eine
Verfolgungsgeschichte erzählen wird, die ich dann auf ihre Plausibilität
abklopfen werde.
Wir reden aneinander vorbei, weil es kein differenziertes
Zuwanderungsgesetz gibt. Denn auch die Menschen aus Nigeria oder dem Irak,
die nicht nach Deutschland kommen, weil sie verfolgt wurden, sondern um in
einem Rechtsstaat zu leben, müssen sich faktisch dem Asylverfahren stellen.
Solange dem Bundesamt für Migration nicht gesetzlich vorgeschrieben wird,
eine zweite Tür zu öffnen, die dem Namen des Amtes gerecht wird, wird das
Asylgesetz von zwei Seiten verbogen.
Mein Zeit beim Bundesamt endete übrigens nach sechs Monaten, als es dem
Personalrat gefiel, sich der Anlage 2 zur Verwaltungsvorschrift der
Bundeslaufbahnverordnung zu erinnern. Diese stellt fest, dass Beamtinnen
und Beamte mit einem geisteswissenschaftlichen Studienabschluss nicht in
der Lage sind, eine Laufbahn des nichttechnischen Verwaltungsdienstes – wie
es Anhören/Entscheiden offensichtlich ist – einzuschlagen.
Wir Geisteswissenschaftler wurden also als unqualifiziert aussortiert. Da
unsere direkten Vorgesetzten aber der Meinung gewesen waren, wir würden den
Job gut machen und uns bereits für eine Verlängerung des Arbeitsvertrages
auf zwei Jahre vorgeschlagen hatten, begriffen wir die Auffassung des
Personalrats als willkürlich und klagten dagegen. Das Arbeitsgericht
entschied, dass das Bundesamt als Arbeitgeber machen kann, was es will, und
bestätigte unser Ausscheiden. Ich bin trotzdem froh, in einem Rechtsstaat
zu leben.
15 Jun 2017
## AUTOREN
Jürgen von Stenglin
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