| # taz.de -- LGBTQ-Maskottchen: Babadook, die queere Ikone | |
| > Babadook gilt als Symbol der Pride-Saison. Warum das dandyhafte Monster | |
| > aus dem Horrorfilm Queerness verkörpert. | |
| Bild: Wenn es keinen Horror und keine Memes gibt, ist es nicht unsere queere Re… | |
| „Wer das hier liest, schau hin und guck . . . wird ihn nicht mehr los, den | |
| Babadook“, verspricht ein unheilvolles Pop-up-Buch seiner Leserin, der | |
| alleinerziehenden Mutter Amelia im 2014 erschienen australischen | |
| Indie-Horrorfilm „Der Babadook“. In dem Kinderbuch, das auf einmal im Regal | |
| ihres Sohnes auftaucht, geht es um ein gruseliges Wesen, das ein | |
| „spezieller Freund“ werden will: den Babadook. | |
| Der flamboyante Antagonist mit den langen Fingernägeln, dem schwarzen | |
| Mantel und dem Zylinder kehrt nun, drei Jahre nach seinem Auftauchen, | |
| wieder. Und zwar außerhalb des Films – pünktlich zum Pride-Monat Juni als | |
| queere Ikone. | |
| Angefangen hat es auf der Blogging-Plattform Tumblr. Es war im vergangenen | |
| Sommer, da postete der User ianstagram einem [1][kurzen, aber | |
| bedeutungsvollen Blogeintrag]: „Wenn jemand behauptet, Babadook lebe nicht | |
| offen schwul, frage ich mich, ob die Person den Film überhaupt gesehen | |
| hat.“ Dieser Scherz, eine Anspielung auf die Frage nach queerer | |
| Repräsentation, ging daraufhin viral und rief über 10.000 Reaktionen | |
| hervor. [2][Eine davon]: „Das B in LGBTQ steht für Babadook.“ | |
| Kurz darauf [3][twitterte ein Nutzer namens taco-bell-rey] einen Screenshot | |
| des Streamingdienstes Netflix, auf dem, scheinbar versehentlich, der | |
| Horrorfilm als LGBTQ-Film gelistet wurde – mit der Bildunterschrift: „So | |
| stolz, dass Netflix den Babadook als schwule Repräsentation anerkennt.“ Ob | |
| der Screenshot bearbeitet wurde oder ob Netflix den Film tatsächlich so | |
| sortiert hatte, blieb allerdings unklar – jetzt zumindest ist der Film in | |
| dieser Kategorie nicht mehr zu finden. | |
| Und jetzt, wo die ersten CSD-Veranstaltungen weltweit starten, ist der | |
| Babadook zurückgekehrt. Nicht mehr allein im Netz, sondern weit darüber | |
| hinaus als inoffizielles Maskottchen der LGBTQ-Community. [4][Bitch, I’m | |
| back!] | |
| ## Leugnen ist zwecklos | |
| Dass man den Babadook nicht mehr loswird, bekommen auch Amelia und ihr | |
| sechsjähriger Sohn Samuel, dem sie zum Einschlafen ausgerechnet die | |
| Geschichte des düsteren Außenseiters vorliest, bald zu spüren. Beide werden | |
| fortan verfolgt – ob von der unheimlichen Gestalt oder einer | |
| überhandnehmenden Depression, das ist Auslegungssache. | |
| Denn der Babadook selbst ist in dem Horrorfilm bis zum Finale kaum zu | |
| sehen, vielmehr hängt er als ständiger Schatten über der gestressten | |
| Amelia, die den Tod ihres Mannes nach sechs Jahren immer noch nicht | |
| verkraftet hat und zusehends die Kontrolle über ihren aktiven, | |
| Aufmerksamkeit suchenden Sohn verliert: Der bastelt Babadook-taugliche | |
| Waffen, die er in die Schule mitnimmt, bricht seiner Cousine die Nase und | |
| schläft nur noch selten. | |
| Lange Zeit denkt Amelia, Samuel sei verantwortlich für mysteriöse Vorgänge | |
| im Haus. Doch bald kann die mittlerweile selbst an Schlaflosigkeit leidende | |
| Mutter die unheimlichen, insektenartigen Geräusche und die immer | |
| wiederkehrenden Visionen, die sie wahrnimmt, nicht mehr auf ihren Sohn | |
| schieben. Frei nach dem Motto „Er will dir erst Angst machen, dann siehst | |
| du ihn“, steigern sich Sam und seine Mutter in die albtraumhafte | |
| Vorstellung, von einem schaurigen Wesen heimgesucht zu werden. | |
| Amelia, die von Szene zu Szene immer weiter verwahrlost, weigert sich | |
| zunächst, den Babadook als reale Bedrohung wahrzunehmen: Wenn er erscheint, | |
| zieht sie sich die Decke über den Kopf. Doch wie bei einer Depression | |
| wächst das Problem dadurch nur, bis Amelia schließlich vollkommen die | |
| Kontrolle über sich verliert. | |
| ## Coming-out-Analogie | |
| Ursprünglich als ein mehrschichtiger Film über den Umgang mit Trauer und | |
| Überforderung angelegt, birgt „Der Babadook“ viele Lesarten, auch queere. | |
| Denn außer ein paar wackelnden Wänden tut die hochgewachsene Gestalt selbst | |
| niemandem etwas zuleide, schürt aber enorme, irrationale Ängste in ihrem | |
| Gegenüber. Ängste, die so stark sind, dass die Verfolgten sich weigern, den | |
| Babadook auch nur anzusehen, geschweige denn seine Existenz anzuerkennen. | |
| Sein voluminöses Gewand und der pompöse Hut helfen dabei. Denn sie sind nur | |
| Verkleidung, die den Blick der anderen von seiner wirklichen Gestalt | |
| ablenken. Am Ende des Films legt der Babadook das alles ab, um Amelia sein | |
| wahres Ich zu offenbaren. Der Zuschauer kann an ihrem entsetzen | |
| Gesichtsausdruck ablesen, dass sie den Anblick kaum erträgt – eine | |
| Reaktion, die Angehörige der LGBTQ-Community womöglich an ihr Coming-out in | |
| der Familie erinnert. | |
| Der Babadook outet sich im Film nicht explizit als schwul, doch das spricht | |
| nicht gegen seine Queerness, zumal diese gerade im Antiidentitären und im | |
| Unbenannten existiert. Gleichzeitig sagt er genauso wenig: „Guten Tag, ich | |
| bin heterosexuell!“ Und selbst wenn er es wäre, hätte er mit vielen | |
| divenhaften LGBTQ-Ikonen etwas gemeinsam: Weder Barbra Streisand noch | |
| Madonna oder Lady Gaga mussten sich als irgendwas outen, um ihre immense | |
| queere Anhänger*innenschaft in ihren Bann zu ziehen. | |
| Dabei ist die Queerness des Babadooks naheliegend: Das Genre des | |
| Horrorfilms sowie die Rolle des Bösewichts knüpft häufig an Vorstellungen | |
| queeren Terrors an, der die heteronormative Idylle stört. Sei es Freddie | |
| Krueger aus dem zweiten „Nightmare On Elmstreet“, sei es Ursula aus | |
| Disney’s „Arielle“: in der LGBTQ-Popkultur sind sie schon längst Kult. | |
| ## Jetzt sogar auf Grindr | |
| Michael Bronski lehrt an der Harvard University am Institut für | |
| Geschlechterforschung und schrieb diverse Bücher über LGBTQ-Popkultur. | |
| [5][In einem Interview mit der L. A. Times] ordnet er auch den | |
| Babadook-Film als queer ein, transportiere er doch queeres Begehren, | |
| queeren Antagonismus und queere „In-Your-Faceness“. | |
| Die Identifikation mit einem Monster ist auch eine ermächtigende, denn sie | |
| rückt die LGBTQ-Community fort vom angepassten, liberalen Image hin zur | |
| Zurückeroberung von Handlungsmacht und Queerness als laute Bedrohung in | |
| einer hetero- und cisnormativen Gesellschaft. | |
| 1970 trug die Aktivistin Donna Gotschalk auf dem ersten offiziellen | |
| Pride-Marsch in New York City ein Schild mit dem treffenden Spruch: „I am | |
| your worst fear, I am your best fantasy.“ Zwischen größter Angst und bester | |
| Fantasie fanden sich Queers in einem System, das sie verachtet und | |
| fürchtet, schon immer wieder. Sie werden zu Monstern gemacht, die das | |
| Familienglück terrorisieren, weil sie sich nicht verdrängen lassen. | |
| Der Widerstand gegen den queeren Babadook ist zwecklos. Seit Tagen | |
| durchfluten zahllose Meme zu dem genderqueeren Wesen das Netz: [6][Babadook | |
| mit Regenbogenflagge], [7][Babadook vor Regenbogenflagge], [8][Babadook | |
| beim Vogueing], ja selbst [9][ein Profil auf dem schwulen Crusing-Portal | |
| Grindr] hat die Figur. | |
| ## Babayaaaaass! | |
| Die Regisseurin des Films, Jennifer Kent, bezog selbst keine Stellung zu | |
| den Gerüchten über ihr Monster. Auf der offiziellen Facebook-Seite des | |
| Films antworten die Administratoren auf den Vorwurf, Babadook könne nicht | |
| schwul sein, weil er es im Film nicht explizit sage: „Babadook ist schwul, | |
| wenn er es sein will. Und er lässt dir ausrichten, darauf klarzukommen.“ | |
| Und Netflix stieg auf das Mem noch einmal ein und twitterte: [10][„Sei der | |
| Babadook, den du auf der Welt sehen wirst.“] | |
| Ein reines Internetphänomen ist der queere Babadook nicht: Auf | |
| Pride-Märschen sieht man ihn als Kostüm, als Protestschild. Drag Queens | |
| [11][imitieren ihn in ihren Performances]. Der „Babadiscourse“ brachte | |
| ebenfalls Wortneuschöpfungen aus dem Namen des Monsters und queerem Slang | |
| hervor: Babashook, Babalewk, Bababottom, Babayaaaaass! | |
| Mit seiner campy Femininität, der Genderuneindeutigkeit, seinem Hang zum | |
| Drama und seinem Wohnort im Unbewussten, dem Keller, liefert der Babadook | |
| genug Material für eine queere Lesart. Und, hallo, welche Hete bastelt | |
| schon ein Pop-up-Buch über sich selbst? | |
| Entgegen typischen Horrorfilmen, in denen das Monster am Ende entweder | |
| selbst stirbt oder alle anderen tötet, nimmt „Der Babadook“ übrigens am | |
| Schluss eine erfreuliche Wendung: Amelia lernt, das Monster in seiner | |
| Andersartigkeit zu akzeptieren. | |
| 14 Jun 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://ianstagram.tumblr.com/post/153654338779/crackrockk-ianstagram-chikad… | |
| [2] https://twitter.com/emilydaii/status/842172159204200449 | |
| [3] http://setheverman.tumblr.com/post/157452752717/barricorn-taco-bell-rey-so-… | |
| [4] http://mashable.com/2017/06/11/babadook-pride-festival-2017/#43XuSpjs8Sq8 | |
| [5] http://www.latimes.com/entertainment/movies/la-et-mn-babadook-gay-icon-lgbt… | |
| [6] https://twitter.com/melongifts/status/871234595215245313 | |
| [7] https://twitter.com/jacobbullards/status/871144014484873217 | |
| [8] https://www.instagram.com/p/BVGEcatjnnK/ | |
| [9] https://twitter.com/walkerkaplan/status/872635642374742017 | |
| [10] https://twitter.com/netflix/status/873202070035156992 | |
| [11] https://www.youtube.com/watch?v=ZUyitXlXdpk | |
| ## AUTOREN | |
| Hengameh Yaghoobifarah | |
| Maxie Römhild | |
| ## TAGS | |
| Queer | |
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