| # taz.de -- Kolumne Ayol: Die Türkei ist nicht bereit für mich | |
| > Als Trans-Journalistin in der Türkei zu arbeiten bedeutet, doppelt | |
| > ausgegrenzt zu werden. Vom ständigen Kampf um Gleichberechtigung. | |
| Bild: Mehr Sichtbarkeit, Ayol! | |
| Ich bin eine in Istanbul lebende Journalistin. Ja, ich weiß, das hört sich | |
| cool an, aber: Ich bin auch eine arbeits- und obdachlose Transfrau ohne | |
| Geld. Seit Jahren kämpfe ich als Frau und LGBTI-Person gegen das | |
| patriarchale System. Außerdem werde ich von etlichen Berufsverbänden nicht | |
| als Journalistin anerkannt, weil wir in der Türkei ein anderes Verständnis | |
| von Menschenrechten haben. | |
| Auch wenn die Problematik der fehlenden Pressefreiheit in diesem Land | |
| international große Beachtung findet – die weniger auffälligen Probleme wie | |
| Transphobie und Homophobie sind nach wie vor unterrepräsentiert. Die | |
| Meinung meiner besten Freundin Hatıra zu diesem Thema: “Michelle, vergiss | |
| es.“ Die Türkei sei noch nicht bereit für mich. | |
| Eigentlich hat sie ja recht. Denn die Mehrheitsgesellschaft akzeptiert | |
| keine transsexuellen Journalist*innen. Als ich im letzten Jahr versuchte, | |
| meine berufliche Situation über Twitter zu verbreiten, solidarisierte sich | |
| fast keine*r meiner Kolleg*innen mit mir. Nur mein Freund, der Regisseur | |
| Kutluğ Ataman, erhob seine Stimme für mich. | |
| “Die Türkei akzeptiert dich, aber der Journalismus hier tut es nicht,“ | |
| argumentierte er. Stimmt wohl. Dennoch kämpfe ich weiter für meine | |
| Gleichberechtigung. Meine intellektuellen, oppositionellen Freunde meinen: | |
| „Nicht jetzt, Michelle.“ Ayol – wann, wenn nicht jetzt? | |
| ## „Du kannst hier nicht arbeiten“ | |
| Vom Militärputsch 1980 bis in die 2000er Jahre gab es eine Serie von Morden | |
| an transsexuellen Frauen, hauptsächlich in Istanbul. Meine Kolleg*innen, | |
| die heutigen Edelfedern, zogen es damals vor, diese Morde zu verschweigen. | |
| Keine einzige Zeile dazu erschien, nicht ein Foto wurde veröffentlicht. | |
| Wenn wir schon von den Kollegen und von Berufsverbänden sprechen: Vor drei | |
| Jahren, als ich nach einer Pressekonferenz vor dem Gebäude des türkischen | |
| Journalistenverbandes auf den Shuttlebus wartete, trat ein Mann aus dem | |
| Gebäude und blickte mich abschätzig an. Mir war's egal. | |
| Wenig später kam ein Polizeiwagen, aus dem zwei Beamte stiegen. Noch bevor | |
| ich „Ayol, was willst Du denn?“ fragen konnte, rief der eine: „Bruder, hi… | |
| kannst Du nicht arbeiten, los, ab zum Taksim-Platz“. Der andere fragte: | |
| “Schwester, bist Du nicht die transsexuelle Journalistin, die letztens zu | |
| Gast in der Sendung von Ayşe Arman war?“ Wir kamen ins Gespräch. | |
| Als ich fragte, warum sie denn gekommen seien, erfuhr ich, dass sich jemand | |
| aus dem Journalistenverband beschwert hatte: Eine Transsexuelle gehe vor | |
| ihrer Tür ihrem Gewerbe nach, also Prostitution. | |
| ## Keine Zeit für die journalistische Arbeit | |
| Als ich später mit dem Journalistenverband über diesen Vorfall sprechen | |
| wollte, wurde ich weder angehört noch empfangen. Der ältere Herr am Empfang | |
| nahm eiligst meine Nummer auf, aber Pustebacke. Stellt Euch vor: Seit | |
| diesem Tag bin ich für den Journalistenverband eine Transsexuelle, die sich | |
| einzig am Taksim-Platz und dessen Nebenstraßen aufhalten darf. | |
| Der Journalismus soll eine der vier Berufsgruppen sein, die das | |
| intellektuelle Niveau einer Gesellschaft beeinflussen. Ich jedoch muss | |
| immer noch darum ringen, dass ich als transsexuelle Journalistin anerkannt | |
| werde, auch im Jahr 2017. | |
| Das schränkt meine Kreativität ein. Ich schreibe kein Buch, drehe keinen | |
| Dokumentarfilm und recherchiere nicht. Während ich für die Anerkennung | |
| meiner Identität kämpfe, bleibt kaum Zeit, um produktiv zu sein. Als | |
| internationale Berufsverbände nach Istanbul reisten, um sich solidarisch | |
| mit der Cumhuriyet zu zeigen, wollte keiner von ihnen mit mir sprechen. | |
| Denn die hiesigen Berufsverbände hatten sie nicht über meinen Fall | |
| informiert, ergo tauchte ich in keinem Bericht auf. | |
| Was mich noch nervt: Wenn mich Journalistik-Institute zu Panels einladen, | |
| referiere ich oft zum Thema Sexismus. Aber am Jahresende, wenn die Preise | |
| vergeben werden, gibt es bei den Preisträgern dann doch wieder die binären | |
| Gender-Kategorien. Auch wenn die Institute sich gern als „transfreundlich“ | |
| gerieren, am Ende sind sie dann doch nicht so modern, eine Transe für ihre | |
| Arbeit als Journalistin auszuzeichnen. | |
| ## Feministisch. Transsexuell. Journalistin | |
| Letztlich bin ich mittellos, arbeitslos, obdachlos, weil ich von meiner | |
| eigenen Berufsgruppe ausgeschlossen werde. Als ich kürzlich die Mädels nach | |
| Geld für ein paar unbezahlte Rechnungen fragte, luden sie mich direkt auf | |
| die Straße ein. „Dann verdienst du wenigstens was“, sagten sie. Soll ich | |
| darüber lachen oder weinen? Keine Ahnung. Das System zwingt einen über kurz | |
| oder lang zur Sexarbeit. | |
| Als feministische und transsexuelle Journalistin werde ich weiterhin | |
| gemeinsam mit anderen gegen das männlich dominierte Mediensystem im | |
| Besonderen und gegen Männergewalt im Allgemeinen ankämpfen. Mein Ziel ist | |
| es, dass die nächste Generation ohne Geschlechtszuschreibungen auskommt. | |
| Ich danke taz.gazete, mir als Kollegin einen Raum zu geben. Von nun an | |
| lesen Sie an dieser Stelle meine Artikel, Berichte und Interviews und | |
| erreichen mich auf Twitter. | |
| Diesen ersten Artikel widme ich allen getöteten oder derzeit in Haft | |
| lebenden Kolleg*innen. Journalismus ist kein Verbrechen! | |
| 20 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Michelle Demishevich | |
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