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# taz.de -- Hamburger Terror-Prozess: Der lange Arm des IS
> Drei mutmaßliche IS-Terroristen sollen 2015 als syrische Flüchtlinge nach
> Deutschland gereist sein. Am Dienstag hat der Prozess begonnen.
Bild: Treffpunkt für eine IS-Schläferzelle? Die Erstaufnahmeeinrichtung in Bo…
HAMBURG | taz Gegen drei mutmaßliche Terroristen der Terrormiliz
„Islamischer Staat“ (IS) hat vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in
Hamburg am Dienstag der Prozess begonnen. Die Bundesanwaltschaft wirft
ihnen die Mitgliedschaft in der ausländischen Terrororganisation und
Urkundenfälschung vor. Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 sollen sie im
Auftrag des IS mit gefälschten Pässen aus Syrien nach Deutschland gereist
sein – mutmaßlich, um Anschläge zu verüben. „Entweder mit bereits
mitgeliefertem Auftrag oder um auf weitere Anweisungen zu warten“, so die
Bundesanwaltschaft. Hinweise auf konkrete Anschlagsvorbereitungen gibt es
nicht.
Ibrahim M., Mohamed A. und Mahir al-H. sitzen seit September 2016 in
Untersuchungshaft. Nach ihrer Festnahme in Flüchtlingsunterkünften in
Schleswig-Holstein hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) von
einer „Schläferzelle“ gesprochen – und von Bezügen zu den Pariser
Attentätern vom 13. November 2015.
Zu den Vorwürfen schwiegen die Angeklagten im Alter von 18, 19 und 26
Jahren. Mahir al-H. wollte vor Gericht nicht einmal Angaben zu seiner
Person machen. Laut seinem Anwalt Andreas Mroß würde jede Äußerung nur
Material für weitere Fehlinterpretationen liefern. Mroß verlas eine
Erklärung, in der er der Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage
„aneinandergereihte Behauptungen“ und „Zirkelschlüsse“ vorwarf.
Die Anklage stützt sich auf Indizien
Trotz umfangreicher Ermittlungen, monatelanger Beschattung durch Beamte des
Bundeskriminalamtes und Auswertungen von Chatprotokollen stützt die
Bundesanwaltschaft ihre Anklage allein auf Indizien.
Demnach wurden alle drei von der Terrormiliz mit Mobiltelefonen mit dem
vorinstallierten Chat-Programm Telegram ausgestattet und Mahir al-H. zudem
im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen geschult. Die Angeklagten sollen
zwei gefälschte Pässe aus der gleichen Fälscherwerkstatt in der Türkei wie
die Pariser Attentäter erhalten haben und wie einige von deren Helfern von
einer Schleuser-Organisation des IS auf die Insel Lesbos gebracht worden
sein – womöglich entsandt vom gleichen IS-Funktionär wie die Pariser
Attentäter.
Ermittler hatten den Weg nach Deutschland über die Türkei, Griechenland und
die Balkanroute rekonstruiert. Nachdem sie in Slowenien getrennt wurden,
haben sich die drei in der Erstaufnahmeeinrichtung in Boostedt
wiedergetroffen, bis sie ins schleswig-holsteinische Großhansdorf, nach
Ahrensburg und Reinfeld verteilt wurden.
„Menschen, die sich auf der Flucht befinden, haben eine Vielfalt von
Gründen, Kontakt zu halten“, sagt Anwalt Mroß. Dies sei eine
Binsenweisheit, werde von der Staatsanwaltschaft aber als Indiz gewertet.
Die Angeklagten sollen unauffällig gewesen sein
In den Gemeinden hatte ihre Festnahme im September 2016 durch 200
Polizisten und Spezialkräfte wie der GSG 9 für Aufregung gesorgt. Es heißt,
die drei Angeklagten seien völlig unauffällig gewesen, hätten eifrig
Deutsch gelernt und Freunde gefunden – von denen einige bis heute an einem
Doppelleben zweifeln. Ahrensburgs Bürgermeister Michael Sarach (SPD) nannte
Mohammed A. im NDR einen „Vorzeigeflüchtling“.
Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sah
durch den Fall einen „neuen Tätertypus“ bestätigt: „Diese Attentäter w…
virtuell aus dem Ausland über Instant Messaging ferngesteuert“, sagte
Maaßen. Ein derartiges Szenario sei eine besondere Herausforderung für die
Sicherheitsbehörden – ebenso wie die Aufdeckung von Schläferzellen.
Für den Prozess am Oberlandesgericht sind 27 Verhandlungstage angesetzt.
Für eine mögliche Verurteilung der drei Angeklagten hängt einiges an einem
Zeugen, der seit Mai 2016 im Libanon im Gefängnis sitzt. Der IS-Rückkehrer
will sich zur gleichen Zeit wie die Angeklagten im syrischen Rakka
aufgehalten haben und Mahir al-H. in einem Haus für die Ausbildung von
IS-Rekruten gesehen haben.
Dass seine Befragung nicht ganz unkompliziert wird, wurde am Dienstag klar.
Richter Norbert Sakuth berichtete von den Bemühungen eines Kontaktbeamten
des BKA im Libanon: Weder eine persönliche Aussage in Hamburg noch eine
Befragung per Video sei möglich, sondern nur vor Ort – mit einem den
dortigen Behörden vorab vorgelegtem Fragenkatalog.
Erst am Montag hatte die Bundesanwaltschaft in Lübeck sowie in Hamburg und
Umgebung vier andere Syrer unter Terrorverdacht festnehmen lassen. Die
Männer im Alter zwischen 39 und 51 Jahren sollen der al-Kaida-nahen
Terrormiliz Jabbat Al-Nusra-Front angehört haben. Gegen sie wird wegen
Kriegsverbrechen in Syrien ermittelt.
14 Jun 2017
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Terror-Zellen
Terror
„Islamischer Staat“ (IS)
Bundesanwaltschaft
Prozess
Hamburg
Erstaufnahme
Irak
Schwerpunkt Syrien
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Terrorabwehr
Terrorismusbekämpfung
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