# taz.de -- Sicherheit im Speckgürtel: Nüsse, die geknackt sein wollen | |
> In Großhansdorf vor den Toren Hamburgs hat die Polizei einen mutmaßlichen | |
> IS-Terroristen aus einer Flüchtlingsunterkunft geholt. | |
Bild: Fast nichts mehr zu sehen: Nur eine Spanplatte vernagelt das Fenster unte… | |
Die grobe Spanplatte zeigt, wo die Spezialkräfte eingedrungen sind: Die | |
Fensterscheibe im Erdgeschoss, ganz rechts, ist eingeschlagen worden. | |
Wahrscheinlich haben sie eine Gasgranate hinterher geworfen, wie man das | |
aus dem Kino kennt – das Ganze morgens kurz nach drei Uhr in Großhansdorf, | |
Schleswig-Holstein, gleich an Hamburgs nordöstlicher Stadtgrenze. | |
Ziel der Operation vor Morgengrauen: Mahir Al-H., ein „netter junger Mann“, | |
wie Angelika Woge vom Freundeskreis Flüchtlinge Großhansdorf beschreibt. | |
Der 17-Jährige mit bis dahin tadellosem Ruf sitzt seit Mittwoch in | |
Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, er sei im November | |
im Auftrag des „Islamischen Staates“ (IS) nach Deutschland gekommen, um | |
Terroranschläge zu verüben. | |
## Keine konkreten Hinweise | |
Parallel zu der Festnahme in Großhansdorf schlug die Polizei im | |
benachbarten Ahrensburg und im 30 Kilometer entfernten Reinfeld zu, wo sie | |
zwei weitere Männer im Alter von 18 und 26 Jahren festnahm. Sie alle seien | |
dringend der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen | |
Vereinigung verdächtig. „Konkrete Aufträge oder Anweisungen“, teilte die | |
Bundesanwaltschaft mit, „konnten bislang nicht festgestellt werden.“ | |
„Eigentlich kann man’s nicht glauben“, sagt Woge. Sie beschreibt ein Gef�… | |
„zwischen traurig und fassungslos“, wobei das Traurige überwiege: Jetzt, | |
befürchtet sie, gewinnen diejenigen die Oberhand, die immer schon gewusst | |
haben wollen, dass den Flüchtlingen nicht zu trauen ist. | |
Die Unterkunft, in der Al-H. gewohnt hat, liegt im Kortenkamp, einer | |
ruhigen Nebenstraße, was im ohnehin ruhigen Ortsteil Schmalenbeck nicht | |
viel heißen will. Direkt nebenan residiert in einem spitz bedachten | |
Klinkerbau der Großhansdorfer Polizeiposten, unter dessen Augen, aber ohne | |
dessen Mitwirkung sich der Anti-Terror-Einsatz abspielte. Während auf der | |
gegenüberliegenden Seite dicht gedrängt große Einfamilienhäuser stehen, | |
liegt das Flüchtlingshaus in einem parkartigen Gelände neben flachen weißen | |
Häusern, die die Gemeinde für Leute mit schmalem Geldbeutel vorhält. | |
Die Flüchtlingsunterkunft selbst ist ein einstöckiger, u-förmiger Bau aus | |
roten Containern mit schwarzem Satteldach. Er sieht fast so aus wie ein | |
richtiges Haus und bietet vier Wohnungen mit je sechs Betten. Vier solcher | |
Modulhäuser hatte die Gemeinde beschafft. Das neueste steht neben der | |
Nachkriegs-Backsteinkirche der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde in | |
der Alten Landstraße. Der Zufall will es, dass für den Tag nach der | |
Festnahme eine Führung in dem noch unbezogenen Gebäude angesetzt ist. | |
Janhinnerk Voß, Großhansdorfs parteiloser Bürgermeister, hat die Nachbarn | |
eingeladen, die Gemeindevertreter und die Leute vom Freundeskreis. „Das ist | |
sicher nicht das letzte Mal, dass sowas passiert“, sagt Carsten Pieck von | |
der FDP, ein blonder Mann um die 40. Die Festnahme zeige, dass | |
Polizeibehörden und Rechtsstaat funktionierten. Dass Bundes- und | |
Landeskriminalämter monatelang ermittelt hättten, sagt er, „ist eigentlich | |
beruhigend“. | |
Das Grundstück für den Modulbau hat die 9.000-Einwohner-Kommune von der | |
Kirche gepachtet. „Die Festnahme schürt möglicherweise Emotionen“, vermut… | |
auch Pastor Wolfgang Krüger. Er schätze seine Gemeinde aber als ziemlich | |
besonnen ein. Aus einem Fenster im Erdgeschoss blickt er auf einen alten | |
Obstgarten. „Das sind natürlich paradiesische Zustände“, sagt er und bitt… | |
um Verzeihung für seinen „Theologen-Jargon“. Es sei wichtig, fügt er an, | |
„das Paradies miteinander zu teilen“. | |
Einige der älteren Herrschaften, die zur Besichtigung gekommen sind, | |
finden, die Flüchtlingsunterkunft sei recht komfortabel. „Nach dem Krieg | |
haben wir nicht so gut gewohnt“, sagt Uwe Sommer, ein Mann mit weißem | |
Haarkranz und kurzen Hosen. Er hat es übernommen, Fahrräder für die | |
Neuankömmlinge herzurichten und auszugeben – weniger aus karitativen | |
Motiven, sondern „aus einem Interesse am Rad“, sagt Sommer. Er habe Spaß | |
daran, viele Fahrradtypen kennenzulernen und sie wieder in Gang zu bringen. | |
Umso mehr befremdet ihn der achtlose Umgang mit den Rädern, den er bei den | |
Flüchtlingen wahrnimmt – und deren Anspruchshaltung. Sie nutzten die Räder, | |
bis die kaputt seien, erzählt Sommer. Beim Reparieren stünden sie dann | |
neben ihm, ohne einen Finger zu rühren, im schlimmsten Fall die Kippe im | |
Mund und das Smartphone in den Fingern. Dass unter seiner Kundschaft auch | |
ein Terrorist gewesen sein könnte, lässt ihn dagegen kalt. „Das gehört | |
dazu“, sagt Sommer. „Ich würde so einen Mann nicht erkennen können.“ | |
Birgit Karlsson, die das kommunale Flüchtlingsamt leitet, zeigt sich | |
dagegen geschockt, „weil das so nah ist“. Sie habe es sich zur Aufgabe | |
gemacht, die übrigen Flüchtlinge zu beruhigen und umso intensiver zu | |
betreuen. „Wir schotten die ab“, sagt sie, „das haben die so gewünscht.�… | |
Ihr Chef, Ortsbürgermeister Janhinnerk Voß, findet, dass es bisher | |
eigentlich ganz gut lief mit der Aufnahme der Flüchtlinge, vor allem dank | |
des Freundeskreises mit seinen 40 Paten und 60 bis 70 Aktiven. „Deshalb | |
sind wir auch von ganz oben nach ganz unten gefallen durch diese | |
Festnahme“, sagt Voß. 140 Geflüchtete beherbergt Großhansdorf zurzeit, im | |
Herbst 2014 seien es noch 19 gewesen. Natürlich stellten ihm die Leute | |
jetzt Fragen wie: „Sind wir noch sicher in Großhansdorf? Können Sie | |
ausschließen, dass es hier noch weitere Terroristen gibt?“ Und es meldeten | |
sich all jene, die sich in ihren Vorurteilen bestätigt fühlten. | |
„Der Fehler, den wir gemacht haben, war vielleicht, kritische Fragen gleich | |
in eine rechte Ecke zu stellen“, räumt Voß ein. Und er erzählt eine | |
Geschichte: „Im vergangenen Jahr habe ich eine Frau getroffen, die sich | |
sehr kritisch äußerte und auch zu einer Pegida-Demonstration nach Dresden | |
fuhr. Sie fand die Politik zu lasch, sagte aber: Um zu verhindern, dass | |
passiert, wovor ich mich fürchte, muss ich was für die Flüchtlinge tun“, | |
führt Voß aus. „Ich habe zwar nicht verstanden, wie man das psychologisch | |
zusammenbringt, aber es hat mir imponiert.“ | |
Ein paar Straßen entfernt vom Rathaus, wieder am Kortenkamp, geht ein | |
junges Paar mit einem kleinen Jungen spazieren. Die Anschlagsgefahr, sagt | |
Yasmin Raabe, habe nicht speziell mit den Flüchtlingen zu tun: „Ich glaube, | |
dass der IS genug Kohle hat, um seine Leute auch so einschleusen zu | |
können.“ Ihr Mann Wayan hat gelesen, es sei 500-mal wahrscheinlicher, am | |
Essen zu sterben als bei einem Terroranschlag. „Ich mache mir mehr Gedanken | |
um die Flüchtlinge, die hier wohnen“, sagt er. Denn die müssten jetzt | |
womöglich mit Ressentiments rechnen. | |
Die Straße runter, vor der Gemeindewohnung neben dem Containerhaus, haben | |
sich Linda Kruske und Torsten Fabke gerade ein paar Nürnberger Würstchen | |
gegrillt. „Wir sind entsetzt“, sagt Kruske. „Wir waren so lieb zu allen.�… | |
Ihr Nachbar Fabke ergänzt: „Ich hab immer gesagt, wir haben hier irgendwann | |
auch mal den Krieg.“ Im Großen und Ganzen habe er nichts gegen die | |
Flüchtlinge. Einige der Bewohner von nebenan sagten zwar gerade mal | |
„Hallo!“, aber mit anderen sei er sogar befreundet gewesen, erzählt Fabke. | |
Mit seinem Computer habe er ihnen Bewerbungen ausgedruckt. „Bloß – diese | |
Menschen sind weggezogen“, bedauert er. | |
Ein etwa siebenjähriges Mädchen mit nußbraunem Teint und langen braunen | |
Locken kommt über den Rasen gelaufen. Auf der flachen Hand hält sie eine | |
Haselnuss, mit der anderen macht sie eine stampfende Geste: Fabke soll die | |
Nuss knacken. Das Mädchen gehört zu einer afghanischen Familie, die direkt | |
bei Kruske und Fabke im Haus wohnt. | |
Es sei schwierig gewesen, den fremden Mitbewohnern manche Sachen | |
beizubringen, etwa wie man den Müll trennt oder dass man ihn keinesfalls | |
aus dem Fenster werfen sollte. Kruske weist auf zwei bunte Wäschestücke, | |
die auf dem Dach liegen. „Jedem musst Du das wieder erklären“, ärgert sich | |
Fabke. | |
## Zusammenleben heißt auseinandersetzen | |
„Wenn man zusammenlebt, muss man sich auseinandersetzen“, findet Kruske. | |
Und das berge Überraschungen. „Einer fing an, Russisch mit mir zu | |
sprechen.“ Er habe sechs Jahre in Russland gelebt, erzählt Kruske, die | |
selbst mal als Russlanddeutsche kam „Da war ich so erstaunt.“ | |
Das Mädchen zieht mit dem weißen Nusskern wieder von dannen. Und Torsten | |
Fabke sagt zum Abschluss: „Mach’ da mal nicht so ein großes Ding draus!“ | |
19 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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