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# taz.de -- Konfliktmanager über Deutsche im Irak: „Wir müssen die Kinder r…
> Die Bundesregierung will Kinder deutscher IS-Kämpfer aus dem Irak
> zurückbringen. Sie können in Deutschland gut betreut werden, sagt Thomas
> Mücke.
Bild: „Die Kinder tragen keinerlei Schuld“: In Mossul fliehen im Juli 2017 …
Herr Mücke, Ihr Verein arbeitet mit islamistischen und rechtsradikalen
Jugendlichen zusammen, um ihnen einen Weg aus Hass und Gewalt zu zeigen.
Was ist anders an den Rückkehrern aus dem zusammengebrochenen
Herrschaftsbereich des IS?
Thomas Mücke: Wir haben es jetzt mit einer ganz anderen Generation von
Rückkehrern zu tun. Die haben lange Zeit in IS-Gebieten gelebt. Je länger
man dort war, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man schwere
Straftaten begangen hat.
Wie gut werden die Rückkehrer in Deutschland betreut?
Es gibt zwei Gruppen. Die einen sind vor Sommer 2015 ausgereist, bis dahin
galt es nicht generell als Terrorunterstützung, wenn man in ein IS-Gebiet
reist. Mit den Rückkehrern von damals hat man in Deutschland vom ersten Tag
an sehr engmaschig gearbeitet. Mit denen, die in der Folgezeit wegen
Unterstützung einer Terrororganisation verurteilt wurden, arbeiten wir im
Vollzug zusammen. Bei denen, die frei sind, haben wir gute Erfahrungen
gemacht, wie man die erreichen kann.
[1][Jetzt geht es ja um Kinder und junge Frauen], nicht vorrangig um junge
Männer.
Von den jungen Frauen jetzt wissen wir noch gar nicht, warum sie in den
Gebieten des IS gelebt haben. Ihre Kinder haben die Phase des militärischen
Verfalls des IS erlebt. Wir wissen noch nicht, wie traumatisiert sie sind
und wie man das alles aufarbeiten kann. Da wird jeder Fall anders sein.
Zunächst brauchen wir natürlich eine Einschätzung, ob bei den Frauen
Straftaten vorliegen, dann müssen wir schauen, wie wir mit ihnen und ihren
Familien und Angehörigen arbeiten können.
Einige der Frauen werden vielleicht im Irak verurteilt. Was passiert mit
ihren Kindern?
Die deutschen Behörden müssen sie dringend rausholen, egal, warum die
Mütter dort sind. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen. Zu sagen, wir
wollen nichts mehr mit denen zu tun haben, ist keine Lösung.
Wie gut können die Rückkehrer hier betreut werden?
Die Situation ist deutlich besser als noch 2013 oder 2014. In den letzten
drei Jahren ist viel passiert, alle Bundesländer haben Beratungsstellen
aufgebaut, auch die NGOs sind besser aufgestellt. Wir sind gut auf
IS-Rückkehrer vorbereitet.
Wie arbeiten Sie konkret mit Jugendlichen und Kindern?
Bei Jugendlichen haben wir eine sehr engmaschige Betreuung. Der erste
Schritt ist, dass sie Zeit brauchen, hier anzukommen. Wir fragen, was sie
als nächstes angehen wollen. Sie müssen sich vorstellen, dass die
Jugendlichen in einer „Utopie“ gelebt haben, in der sie gehorchen mussten
und keine Fragen stellen durften. Das dürfen sie jetzt wieder.
Aber wie verstehen die, dass sie sich einer zerstörerischen Ideologie
angeschlossen haben?
Man darf nicht zu ihnen sagen: Du hast die Unwahrheit, ich habe die
Wahrheit. Man muss zur Selbstreflektion und zum eigenen Denken anregen. Das
ist ein Grundprinzip in der Arbeit mit jungen Menschen. Und es geht um
soziale Integration im Alltag. Wir machen die Erfahrung, dass die jungen
Menschen am Anfang überhaupt nicht über die Zeit beim IS reden wollen. Da
muss man auch ganz vorsichtig sein, den Moment abwarten und den Prozess
therapeutisch betreuen. Wir bauen dazu über zwei, drei Jahre Beziehungen zu
den Jugendlichen auf. Die Jugendämter müssen schauen, wo die Kinder oder
Jugendlichen untergebracht werden oder ob der Mutter das Sorgerecht
entzogen wird. Da muss man jeden Einzelfall bewerten. Manche jungen Mädchen
sind vom IS geködert worden und wollten sofort wieder weg, einige sind
vielleicht bis zum Schluss aus Überzeugung geblieben. Ihre Kinder tragen
keinerlei Schuld. Für die haben wir Verantwortung.
Was für Fragen stellen die Rückkehrer denn?
Die fragen sich zum Beispiel, ob man als Moslem überhaupt in Deutschland
leben darf. Ihnen wurde ja erzählt, dass Demokratie und Islam nicht
zusammengehören.
Wie läuft denn eine Radikalisierung ab?
Meist sind das religiös wenig gebildete Menschen, die in der salafistischen
Szene allmählich von der Gesellschaft entfremdet werden. Die versuchen
dann, ihre eigenen Eltern zu überzeugen, das klappt nicht und dann zählen
die Eltern als Ungläubige. Schließlich müssen sie sich von ihren alten
Freunden zurückziehen. Dann bewegen die sich nur noch unter Gleichgesinnten
und werden davon sozial und emotional abhängig. Die kennen dann keine
Menschen außerhalb der islamistischen Szene mehr. Das aufzubrechen schafft
man nur über eine sehr intensive Beziehungsarbeit. Man muss sich auch den
Prozess der Radikalisierung anschauen – und den Schmerz aufarbeiten, der
sie in die Szene geführt hat. Sonst besteht immer die Gefahr, dass sie
wieder zurückgehen.
Kommt das vor?
Natürlich. Einige Jugendliche haben im radikalen Islamismus schlichtweg
eine Rechtfertigung für ihre Gewaltfantasien gesucht, das sind die
schwersten Fälle. Ob einer aussteigen will, das ist eine Entscheidung der
Personen selbst, das können Sie nicht erzwingen. Die Salafistenszene ist ja
auch aktiv und versucht, wieder an die Leute ranzukommen. Manche müssen
deshalb umziehen. Die Menschen müssen wieder in der Gesellschaft ankommen.
Ich warne davor, zu glauben, man könnte die Jugendlichen einfach schnell
abhaken.
Wie gehen Sie mit der Verantwortung um, dass Sie auch auf potentielle
Attentäter treffen könnten?
Das ist klar geregelt. Wenn sich herausstellt, dass jemand in einem
Kampfgebiet war, dann geht das sofort an die Behörden. Bei
sicherheitsrelevanten Personen arbeiten wir mit den entsprechenden Stellen
zusammen. Wenn eine unmittelbare Gefahr von jemandem ausgeht, dann geht
Sicherheit vor.
23 Nov 2017
## LINKS
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/exklusiv-bundesregierung-will-is-kinder-…
## AUTOREN
Ingo Arzt
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Irak
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Rückkehrer
IS-Miliz
Mossul
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Terror-Zellen
Schwerpunkt Syrien
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