| # taz.de -- Rückkehr des Komasaufen-Trends: Lang lebe der Rausch | |
| > Besonders im Osten und auf dem Land saufen sich Jugendliche wieder in die | |
| > Notaufnahme. Was bleibt dieser Generation anderes übrig? | |
| Bild: Was wäre denn die Alternative zum Komasaufen? | |
| Es war die Zeit der Alkopops und Energydrinks. Anfang der Nullerjahre zogen | |
| wir als Siebt- und Achtklässler*innen in Scharen auf den Spielplatz hinter | |
| dem Schulhof – und gaben uns fett die Kante. Ganz egal ob Jungs oder | |
| Mädchen, dick oder dünn, aus armen oder wohlhabenden Familien: Wir alle | |
| fanden Gefallen daran, kollektiv an harten Getränken zu nippen und dabei | |
| ein bisschen lockerer zu werden. Einigen reichte das Nippen allerdings bald | |
| nicht mehr. Sie begannen um die Wette Schnapsflaschen zu exen. Alle zwei | |
| Wochen kippte eine*r um und landete in der Notaufnahme. Besorgte | |
| Lehrer*innen gründeten Anti-Sucht-AGs. Sogar im Fernsehen sprachen sie bald | |
| darüber. Sie nannten es: „Komasaufen“. | |
| Wie verrückt, nun zu lesen, dass der Trend zum Komasaufen zurück ist. Seit | |
| 2012 nämlich war die Zahl der Kinder und Jugendlichen zwischen 10 bis 20 | |
| Jahren, die mit einer Alkoholvergiftung in Krankenhäusern behandelt worden | |
| sind, zurückgegangen. Laut Recherchen der Krankenkasse DAK stieg die Zahl | |
| im Jahr 2016 erstmals wieder an. Um 2 Prozent, was zunächst nach wenig | |
| klingt, aber in einzelnen Bundesländern kam es teilweise zu dramatischen | |
| Entwicklungen. | |
| So gab es in Brandenburg 8 Prozent mehr 10- bis 15-Jährige, die wegen einer | |
| Alkoholvergiftung stationär behandelt werden mussten als im Jahr zuvor. Und | |
| in Sachsen-Anhalt ist von einem Anstieg um über 26 Prozent die Rede, dies | |
| bezieht sich auf Vergiftung bei 10- bis 20-Jährigen. Eine Realschülerin in | |
| Malchin in Mecklenburg-Vorpommern, so berichtet dpa, kam per Rettungswagen | |
| ins Krankenhaus, weil sie eine ganze Flasche Wodka getrunken hatte – | |
| während der Unterrichtszeit. | |
| Vielleicht ist dies also ein passender Anlass, um der Jugend einen gut | |
| gemeinten Rat zu geben: Leute, ihr seid richtig cool! Macht weiter so! Ich | |
| war damals nie eine von denen, die die Kampftrinker*innen angefeuert haben, | |
| als sie sich Shot um Shot ins Koma soffen. Doch heute würde ich es tun. | |
| Denn dieses Land hat nichts anderes verdient, als eine Jugend, die sich bis | |
| zum Anschlag betäubt, um diesen Wahnsinn hier zu ertragen. Die die | |
| Überlebensstrategien ihrer Elterngeneration übernimmt (sich regelmäßig | |
| volllaufen lassen), um eben dieser schön auf den Fußabtreter zu kotzen. | |
| Chin-chin. | |
| ## 23 Flaschen Bier für 10 Euro | |
| Was wäre denn die Alternative zum Komasaufen? Dass Jugendliche ihre Leber | |
| und Gehirnzellen konservieren, um später in einem Billiglohnjob von einem | |
| gesunden Körper zu profitieren? Dass sie ihre Lebenserwartung dank | |
| rauschfreiem Lifestyle erhöhen, um zu sehen, wie mickrig die Renten in | |
| fünfzig Jahren noch sein können? | |
| Dass es vor allem die neuen Bundesländer sind, in denen Kinder zur Flasche | |
| greifen, überrascht nicht. Noch immer ist sowohl die Arbeitslosenquote im | |
| Osten deutlich höher als auch der Anteil an Kindern in Hartz-IV-Haushalten. | |
| Doch wie gesagt, das Schöne am Komasaufen ist, dass es klassenübergreifend | |
| funktioniert. Du kannst dich in Mathe statt mit Prozentrechnung mit | |
| Hochprozentigem zuballern, wenn klar ist, dass du irgendwann sowieso das | |
| Autohaus von Papa übernimmst. | |
| Deutschland gehört nicht nur zu den reichsten Ländern der Welt, Alkohol ist | |
| hier so billig wie nirgends sonst in Westeuropa. Für 10 Euro Taschengeld | |
| kriegst du 23 Flaschen Bier. Und es ist gesellschaftlich akzeptierter, | |
| Naziparteien zu wählen, als auf Alkohol zu verzichten. Muss verwirrend | |
| sein, im Geschichtsunterricht NS-Verbrechen herzubeten, und am Abend sitzt | |
| Alice Weidel live bei Maischberger. Wieso sich den Scheiß also nüchtern | |
| reinziehen? | |
| 29 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
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