# taz.de -- Die Opfer von Mossul: Viel mehr Tote als gedacht | |
> Im Irak bemühen sich weder die Armee noch das US-Militärbündnis, die Zahl | |
> der Opfer des Kampfes gegen den IS genau zu ermitteln. | |
Bild: Pause auf der Flucht in einer Gasse der Altstadt von Mossul | |
MOSSUL ap | Bei den Kämpfen um die irakische Großstadt Mossul sind fast | |
zehnmal so viele Zivilisten getötet worden wie bislang bekannt. Ein | |
Abgleich von Listen aus Leichenhallen mit Datensätzen von | |
Nichtregierungsorganisationen durch die Nachrichtenagentur AP ergab eine | |
Zahl von 9.000 bis 11.000 getöteten Zivilpersonen. Die internationale | |
Koalition gegen den „Islamischen Staat“ (IS) und irakische Kampfverbände | |
sind demnach für mindestens 3.200 dieser Opfer verantwortlich. Doch die | |
tatsächliche Zahl könnte noch höher liegen. | |
Mossul war im Sommer 2014 vom IS besetzt worden. Von Oktober 2016 bis Juli | |
diesen Jahres wurden die Dschihadisten in heftigen Gefechten wieder | |
vertrieben. Die internationale Militärkoalition hat sich bisher nur für 326 | |
Getötete verantwortlich erklärt. Sie hat bis heute niemanden für eine | |
Untersuchung in die Stadt geschickt. Der irakische Ministerpräsident Haidar | |
al-Abadi räumte den Tod von 1.260 Zivilisten ein. Und vom IS gibt es | |
ohnehin keine Zahlen. | |
Um der tatsächlichen Opferzahl näherzukommen, durchforstete die AP über | |
mehrere Wochen Dokumente in Leichenhallen, sprach mit Totengräbern und | |
Freiwilligen, die in den vergangenen Monaten Hunderte Tote aus den Trümmern | |
der völlig zerstörten Stadt gegraben haben. Wichtige Informationen kamen | |
auch von den Organisationen wie Amnesty International, der UNO, Iraq Body | |
Count sowie Airwars, das die Luft- und Artillerieangriffe auf Orte in | |
Syrien und dem Irak dokumentiert. | |
„Das war alles in allem der umfassendste Angriff auf eine Stadt seit | |
mehreren Generationen. Und Tausende sind gestorben“, sagte Airwars-Leiter | |
Chris Woods. Es sei entmutigend, dass weder das irakische Militär noch das | |
von den USA angeführte Bündnis ein echtes Interesse an der Aufarbeitung der | |
Opferzahlen hätten. | |
## Die Zahl der Opfer stieg während der Offensive drastisch | |
Nach den Recherchen der AP war der IS ebenso wie die irakischen Soldaten | |
gemeinsam mit den westlichen Angreifern für ein Drittel der Opfer | |
verantwortlich. Das letzte Drittel konnte nicht eindeutig zugeordnet | |
werden. Nicht enthalten in diesen Zahlen sind die vermutlich Tausenden, die | |
der IS in Massengräbern verscharrte. Allein bis zu 4.000 Tote werden in der | |
Schlucht von Chasfa vermutet. Hunderte liegen zudem auch Monate nach dem | |
Ende der Militäroperation noch unter Trümmern von Häusern, die bei | |
Luftangriffen zerstört wurden. | |
Was aus den Recherchen eindeutig klar wurde, ist, dass die Zahl der Opfer | |
im Verlauf der Offensive dramatisch zunahm. Zu Beginn waren es noch 20 pro | |
Woche, gegen Ende mehr als 300. | |
Bestatter Abdel-Hafis Mohammed sagte der AP, er habe nach der | |
Machtergreifung des IS vor allem Menschen beerdigt, die von den Extremisten | |
enthauptet, gesteinigt oder von Dächern gestoßen worden waren. Nach Beginn | |
der Militäroffensive gegen den IS seien viele durch Geschosse regelrecht | |
zerrissen oder unter den Trümmern ihrer Häuser begraben worden. Manchmal | |
finde er an einem Tag bis zu 30 Leichen, sagte der Freiwillige Imad | |
Ibrahim, der sich gemeinsam mit anderen durch den Schutt wühlt. In der | |
Altstadt riecht es auch heute noch vielerorts nach verfaulenden Leichen. | |
IS-Kämpfer versammelten während der Luftangriffe in ihren Schlupfwinkeln | |
ganze Familien als menschliche Schutzschilde um sich, doch vielfach wurden | |
die Gebäude dennoch zerbombt. In einem Fall im März 2017 wurden nach | |
Angaben des Pentagon 105 Zivilisten getötet, doch Augenzeugen berichteten | |
von noch viel mehr Toten. Ziel der Luftangriffe waren damals zwei | |
IS-Scharfschützen. In dem Gebäude hatten sich aber auch viele Zivilisten | |
zusammengekauert. | |
## Die US-geführte Koalition verteidigt ihr Vorgehen | |
Menschenrechtler warfen den irakischen Streitkräften und dem US-Bündnis | |
immer wieder vor, sie hätten zu wenig Sorgfalt bei der Auswahl ihrer Ziele | |
walten lassen. Das US-Bündnis erlaubte in einer schwierigen Phase der | |
Offensive im Dezember 2016, mehr irakischen Kommandeuren als zuvor, | |
Luftunterstützung anzufordern. Koordiniert wurden diese zwischen irakischer | |
und US-Seite oft ohne echte Befehlskette über eine WhatsApp-Gruppe namens | |
„Killing Daesh 24/7“, was übersetzt etwa so viel heißt wie „IS töten, … | |
um die Uhr“. | |
Nach einem opferreichen Luftangriff vom März durften die Kommandeure der | |
irakischen Spezialeinheiten kurzfristig keine Luftangriffe mehr anordnen | |
und die WhatsApp-Gruppe wurde für einige Zeit auf „Scaring Daesh 24/7“ | |
umbenannt, also „in Schrecken versetzen“ statt „Töten“. Doch nach einer | |
dreiwöchigen Pause war alles wieder wie zuvor, wie irakische Kommandeure | |
berichteten. Auch der Name der WhatsApp-Gruppe. | |
Ein Sprecher des US-Bündnis verteidigte auf Anfrage der AP das Vorgehen. | |
Hätte die Koalition nicht eingegriffen, hätten die Bewohner Mossuls Jahre, | |
wenn nicht Jahrzehnte unter der Herrschaft des IS gelitten. | |
21 Dec 2017 | |
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