# taz.de -- Buch über den IS: Zyklus der Gewalt | |
> Der IS hat eine Vorgeschichte, über die Pierre-Jean Luizard in „Die Falle | |
> des Kalifats“ informiert. Westliche Kolonialmächte spielen dabei eine | |
> Rolle. | |
Bild: Drei Jahre nach seinem Aufstieg ist der IS fast am Ende, der globale Gewa… | |
Der blitzartige Aufmarsch des „Islamischen Staates“ in Irak und Syrien, der | |
in der Ausrufung eines transnationalen Kalifats in Mossul 2014 gipfelte, | |
hat die internationalen Akteure in der nahöstlichen Kriegsarena in | |
Schockstarre versetzt. Wieso konnte eine obskure dschihadistische | |
Splittertruppe allein im Irak innerhalb kürzester Zeit drei Viertel der | |
sunnitischen Gebiete nahezu kampflos erobern? | |
Die Frage der Gründe des Erfolges des IS steht im Zentrum von Pierre-Jean | |
Luizards Buch „Die Falle des Kalifats. Der Islamische Staat oder die | |
Rückkehr der Geschichte“. Im französischen Original 2015, nahezu zeitgleich | |
mit dem Aufstieg der islamischen Terrororganisation erschienen, ist über | |
einige Passagen des Buches das militärische Geschehen inzwischen | |
hinweggerollt. Doch der Erkenntniswert des Buchs liegt jenseits der | |
aktuellen Ereignisse, gelingt es Luizard doch, auf kompakten 150 Seiten | |
klar verständlich die historischen Konfliktlinien offenzulegen, die dem | |
Kalifatsterror zugrunde liegen. | |
Mit der medial zelebrierten Pulverisierung der Grenze zwischen Syrien und | |
Irak, die der Kalifatsausrufung im Juni 2014 vorausging, gelang es dem IS | |
mit einem Schlag, den seit Jahren gewalttätig vor sich hin dümpelnden | |
regionalen Konflikt in eine geschichtliche Langzeitperspektive zu rücken. | |
Luizards Ausführungen folgend kann man die Kalifatsfanatiker als | |
Totengräber einer nationalstaatlichen Ordnung bezeichnen, der es seit ihrer | |
Schöpfung durch westlichen Kolonialmächte an stabilisierender Legitimität | |
mangelte. | |
Die ohnehin prekäre Einheit des Osmanischen Reichs vermochten diese | |
europäischen Mächte mit ihrer religiöse und ethnische Minderheiten | |
gegeneinander ausspielenden Politik nachhaltig zu untergraben. Und die | |
arabischen Regime, die in diesen kolonialen Konstrukten die Macht | |
übernahmen, reduzierten die Staaten auf bloße Objekte ihrer Macht, Orte der | |
Begehrlichkeiten für die eigene Klientel. Einen gemeinsamen | |
staatsbürgerlichen Raum zu begründen, in dem die verschiedenen Mehr- und | |
Minderheiten gleichberechtigt partizipieren, ist diesen staatsführenden | |
Eliten nie gelungen. | |
In dieser Situation konnte sich der IS das Gift des Konfessionalismus | |
zunutze machen, das unter der dünnen Firnis der nahöstlichen | |
Nationalstaatenordnung ohnehin schon maximal zersetzende Kraft entfaltet | |
und neben Irak und Syrien die ganze Region affiziert. Hier fällt uns vor | |
allem das postkoloniale Interventionserbe auf die Füße. So ist es im Irak | |
niemals gelungen, einen konfessionsneutralen Staat zu schaffen. | |
Vielmehr wurde nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 mit Nuri | |
al-Maliki ein Statthalter installiert, der die Machtverhältnisse schlicht | |
zugunsten der Schiiten umkehrte. Mit dem IS verknüpfte sich dementsprechend | |
für einige Sunniten die Hoffnung, die eigene Marginalisierung durch eine | |
neue Staatsgründung zu überwinden. Doch ein Blick auf Jordanien und den | |
Libanon, Saudi-Arabien und die Türkei zeigt, dass dieses Gift viel weiter | |
streut. | |
Drei Jahre nach seinem kometenhaften Aufstieg ist der IS als territoriales | |
Projekt nahezu am Ende. Doch ist dieses Ende nur der Anfang eines neuen, | |
sich regional und global ausbreitenden Gewaltzyklus. Aus dem, so die | |
zentrale These Luizards, gibt es kein Entrinnen, solange das Scheitern des | |
historisch überlebten nahöstlichen Staatensystems von den an der | |
IS-Bekämpfung beteiligten Mächten nicht anerkannt wird. Nur so könne sich | |
überhaupt Raum für tragfähige, dem Elend religiöser Antagonismen | |
abschwörende politische Perspektiven öffnen. Angesichts der beteiligten | |
Protagonisten ist diese Hoffnung irreal. Denn sie sind Teile des | |
historischen Problems und würden dies doch weit von sich weisen. | |
25 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Eva Berger | |
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