# taz.de -- Drogenszene in Berlin-Wedding: Einen Platz für alle schaffen | |
> Viele Trinker und Junkies: Am Leopoldplatz im Wedding kracht es | |
> regelmäßig. Doch die Geschichte des Platzes zeigt auch, wie Zusammenleben | |
> klappen kann. | |
Bild: Auf dem Leopoldplatz finden seit einiger Zeit regelmäßig Märkte statt | |
Der Streit entsteht wie aus dem Nichts. Eine Frau mit großen Ohrringen | |
stürzt sich auf eine schmale Dunkelhaarige. „Du Schlampe!“, schreit sie und | |
holt mit der Bierflasche aus. Das Glas zerschellt auf dem Gehweg. Gerangel, | |
Geschrei. Ein Glatzköpfiger geht dazwischen, zieht die Frau mit den | |
Ohrringen weg. Als er sie loslässt, greift sie sich eine neue Flasche und | |
geht wieder auf die Dunkelhaarige los. | |
Die Passanten, die an diesem Nachmittag auf dem Weddinger Leopoldplatz | |
unterwegs sind, machen einen Bogen um die beiden. Viele nehmen nicht weiter | |
Notiz. Hier, zwischen Einkaufszentrum, Imbissen und U-Bahn-Eingang, gehören | |
Pöbeleien zum Alltag. Minuten später hält ein Mannschaftswagen der Polizei. | |
Die Beamten reden mit der Schmalen und dem Glatzköpfigen. Nach einer | |
Viertelstunde fahren sie wieder ab. | |
„Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, sagt ein BVG-Mitarbeiter, der am | |
Geländer des U-Bahn-Eingangs lehnt und den Streit beobachtet hat. Er zieht | |
an seiner E-Zigarette. „Der Staat ist mit denen überfordert.“ | |
Ist da was dran? Finden die Verantwortlichen – Bezirk, Polizei – | |
tatsächlich keinen Umgang mit den Menschen aus der Trinker- und | |
Drogenszene, die sich am Leopoldplatz treffen? Hält man sich länger vor dem | |
U-Bahn-Eingang auf, kann man diesen Eindruck bekommen. Aber er wird der | |
Lage nicht gerecht. Denn der Leopoldplatz zeigt auch, wie das Zusammenleben | |
ganz unterschiedlicher Leute im öffentlichen Raum gelingen kann. | |
„Ich brauch’ mal ein paar, die mir Bänke tragen helfen“, sagt Tobias Wolf | |
am nächsten Vormittag zu einer Gruppe von Männern, die mit Bierflaschen auf | |
Steinpollern am Rande des Platzes hocken. Der Sozialarbeiter des | |
Suchthilfevereins Fixpunkt organisiert mit einer Kollegin eine Grillaktion. | |
Das hatten sich einige aus der Szene gewünscht. Drei Helfer bekommen sie | |
zusammen. Es ist schwül. Wolf, ein stabiler Typ mit Tätowierungen und | |
Piercings, schielt auf die sich auftürmenden Wolken. „Hoffentlich hält | |
das.“ | |
Wolf arbeitet seit Anfang 2016 auf dem Leopoldplatz. Er sagt, er mag seinen | |
Job. „Ich sehe die Menschen hinter den Süchtigen.“ | |
Die Sozialarbeiter von Fixpunkt sind im Auftrag des Bezirks hier, sie | |
sollen Konflikte moderieren, Kontakt halten in die Szene. Sie beraten die | |
Menschen, die sich auf dem Platz aufhalten, verteilen auch mal Spritzen. | |
Und machen regelmäßig Kochaktionen. Auf einer Freifläche neben dem | |
Gemeindehaus der Kirche am Rand des Leopoldplatzes stellen Wolf und seine | |
Helfer die Bänke auf. Einer der Männer heizt den Grill an. | |
Auf dem der Müllerstraße zugewandten Teil des Platzes läuft unterdessen der | |
Wochenmarkt. Händler verkaufen ökologisch angebautes Gemüse, Ersatzteile | |
fürs Fahrrad, Gurken aus dem Fass. Eltern mit kleinen Kindern sitzen auf | |
den Bänken. Man trifft und unterhält sich im Café Leo. Ein paar Trinker auf | |
der Treppe der Kirche fallen nicht weiter auf. Ein friedliches städtisches | |
Bild. | |
Vor zehn Jahren sah es hier noch ganz anders aus. Der Leopoldplatz war | |
heruntergekommen. Vor der Kirche versammelten sich oft um die 50 Menschen | |
aus der Trinker- und Drogenszene, erzählt Wulf Dornblut, seit zwölf Jahren | |
Präventionsbeauftragter der Polizei im Wedding. Andere hätten den Platz | |
gemieden, erinnert er sich. Die Drogenszene sei damals viel größer gewesen | |
als heute, sagt Astrid Leicht, Geschäftsführerin von Fixpunkt. Bis zu 120 | |
Leute hätten sich in den U-Bahn-Eingängen gedrängelt. | |
2009 reichte es Anwohnern und Gewerbetreibenden: Sie sammelten | |
Unterschriften. Ein runder Tisch wurde gegründet, an dem sich Interessierte | |
und Engagierte aus sozialen Projekten mit Vertretern von Polizei, | |
Kirchengemeinde, Bezirk, dem Quartiersmanagement und anderen austauschten. | |
Der Bezirk versuchte es ein Jahr lang mit einem Alkoholverbot auf dem | |
Leopoldplatz – ohne Erfolg. Die Szene ignorierte es, die Leute kamen trotz | |
der Kontrollen von Polizei und Ordnungsamt einfach immer wieder. „Das | |
Verbot wurde wegen Sinnlosigkeit abgeschafft“, fasst Astrid Leicht | |
zusammen. | |
Am runden Tisch erarbeitete man ein Handlungskonzept für den Platz. Ein | |
Grundsatz einte die Beteiligten: Der Leopoldplatz soll für alle da sein, | |
auch für AnwohnerInnen, Familien und Besucher. Den Drogenhandel wolle man | |
bekämpfen, nicht aber die problematischen Nutzergruppen verdrängen. „Das so | |
deutlich zu sagen, war damals schon etwas Besonderes“, erinnert sich | |
Leicht. | |
Ohne die Fähigkeit, andere Verhaltensweisen auszuhalten, sei städtisches | |
Leben nicht denkbar, sagt Stadtforscher Stephan Lanz (siehe Interview). Die | |
Menschen vom Leopoldplatz trafen damals also eine sehr urbane Entscheidung: | |
Sie bekannten sich dazu, auch anstrengende Andere tolerieren zu wollen – | |
vorausgesetzt, ihre Bedürfnisse würden ebenfalls berücksichtigt. | |
Mit Geld aus dem Programm Aktive Stadtzentren wurde der Platz umgebaut. Der | |
Bodenbelag wurde erneuert, vor der Kirche installierte man Wasserfontänen. | |
An der Stelle, wo sich bisher die Szene getroffen hatte, eröffnete das Café | |
Leo, berichtet Thorsten Haas vom bezirklichen Präventionsrat. Hinter der | |
Kirche wurde ein abgeschirmter Aufenthaltsbereich im Freien mit Bänken für | |
die Trinker aufgebaut, von ihnen „Affenkäfig“ genannt. Direkt daneben ein | |
öffentliches Klo. Die Szene nahm das an, auch, weil sie es selbst mit | |
entwickelt hatte. Die Lage entspannte sich. | |
Der Leopoldplatz hat es also schon ein Mal geschafft, dass sich Menschen | |
mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Gewohnheiten den öffentlichen Raum | |
teilten, ohne allzu sehr aneinander zu geraten. | |
Beim Grillen sind inzwischen rund 20 Männer und Frauen zu Tobias Wolf und | |
seiner Kollegin gestoßen. Glasige Blicke verraten erhöhte Pegel, Hunde | |
tollen mit Bällen herum. Es geht laut und fröhlich zu. „Wer hilft Buletten | |
rollen?“ ruft jemand über die Terrasse. | |
Auch die Frau mit den großen Ohrringen vom Streit vor dem U-Bahnhof ist da. | |
Sie sitzt auf einem Betonpoller vor dem Eingang zur Grillfläche, neben sich | |
mehrere leere Bierflaschen, und weint. Es tue ihr so leid, was gestern | |
passiert sei. Die andere Frau wolle ihr den Mann wegnehmen. „Ich habe diese | |
Hexe gesehen und den Kopf verloren. Entschuldigung, das ist nicht gut“, | |
sagt sie mit polnischem Akzent. Sie schnieft und packt ihre Sachen in den | |
Korb eines schwarzen Damenrads. Sie müsse los zur Arbeit, sie sei Putzfrau | |
bei einem älteren Ehepaar. | |
In direkter Nähe zum Leopoldplatz befinden sich drei Arztpraxen, die den | |
Heroinersatz Methadon ausgeben. Deshalb halten sich hier viele sogenannte | |
Substituierte auf. Die Frau mit den Ohrringen ist eine davon. „Die meisten, | |
die Methadon nehmen, trinken auch. Die Kombination sediert stark“, erzählt | |
Wolf. | |
Es gibt auch eine harte Drogenszene auf dem Leopoldplatz. Wohl auch | |
deswegen haute es mit dem Aufenthaltsbereich für die Trinker irgendwann | |
nicht mehr hin. Am Stuttgarter Platz habe die Polizei anderthalb Jahre | |
massive Präsenz gezeigt, deshalb verlagerte sich die dortige Drogenszene an | |
den Leopoldplatz, erzählt Astrid Leicht. Suchtkranke nutzten die | |
öffentliche Toilette neben dem „Affenkäfig“, um Heroin zu rauchen. Mit | |
ihnen sei eine aggressivere Form des Drogenhandels aufgekommen. „Für die, | |
die dort Alkohol getrunken haben, entstand ein Angstraum“, sagt auch | |
Polizist Dornblut. | |
Die Polizei verstärkte rund um das Klo die Kontrollen – was die Trinker | |
nervte. Sie wanderten auf den vorderen Teil des Platzes zurück, zwischen | |
Läden und U-Bahn-Eingang. Seit ein bis zwei Jahren gibt es dort wieder mehr | |
Konflikte. | |
Die Kita, die sich bislang in der alten Nazarethkirche befindet, will | |
demnächst umziehen, ins Gemeindehaus gegenüber. Jeden Tag müsse man den | |
Garten kontrollieren, erzählt Kathrin Janert vom Evangelischen | |
Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte–Nord. Eine | |
Plane schützt die Kinder vor Pinklern. Der neue Garten im Gemeindehaus geht | |
nach hinten raus, ein Vorteil. Die Belästigungen seien aber nur ein Grund | |
gewesen für den Umzug. „Vor allen Dingen brauchen wir mehr Platz.“ | |
Seit dem Herbst ist der Grüne Stephan von Dassel Bürgermeister des Bezirks. | |
Er will verhindern, dass sich die Trinkerszene erneut ausbreitet. Dassel | |
sagt: „Die Szene kann nicht den ganzen Platz dominieren.“ Bei seinem | |
Amtsantritt hatte er noch öffentlich über ein neues Alkoholverbot | |
nachgedacht. Das will er nun nicht mehr, wohl aber ein Verbot auf | |
bestimmten Flächen. | |
Am liebsten wäre dem Bezirk, wenn Junkies den Drogenkonsumraum in der | |
Birkenstraße in Moabit nutzen würden. Doch der Weg zu der öffentlichen | |
Toilette auf dem Leopoldplatz ist kürzer. Die Idee, darin eine | |
Sprinkleranlage zu installieren, um den Drogenkonsum zu unterbinden, sei | |
wegen der Erkältungsgefahr im Winter nicht vertretbar gewesen, erklärt Haas | |
vom Präventionsrat. Ein statt dessen installierter Rauchmelder schlägt | |
offenbar nicht an. Nach wie vor wird dort Heroin geraucht, ohne Alarm. | |
Mittags beim Grillen. Der Wind fegt jetzt in Böen durch die | |
Häuserschluchten. Dicke warme Tropfen fallen. Eilig tragen Sozialarbeiter | |
und Gäste die Sachen in den Flachdachbau neben dem Gemeindehaus. Die | |
Stimmen hallen in den kahlen Räumen so laut, dass man das Gewitter draußen | |
kaum hört. | |
Das Gebäude gehört der Kirche, die Sozialarbeiter von Fixpunkt dürfen es | |
hin und wieder nutzen. Viele der Grillgäste kennen es gut: Früher hatte die | |
Szene hier einen eigenen Ort, an dem sie sich auch bei schlechtem Wetter | |
aufhalten konnte, den Trinkraum Knorke. Aber weil die Sozialarbeiterin | |
ausfiel und Heroin gefunden wurde, schloss die Kirche 2015 den Raum. | |
„Wir brauchen ein festes Angebot, damit uns die Trinkerszene nicht wieder | |
ausbüxt“, sagt Stephan von Dassel heute. Die Kirche sei bereit, die Räume | |
wieder zur Verfügung zu stellen, wenn sich der Bezirk um die Betreuung | |
durch Sozialarbeiter kümmere, so der Bürgermeister. Im Herbst oder Winter | |
soll der neue alte Trinkraum eröffnen. | |
Das könnte tatsächlich dazu beitragen, die Situation auf dem Leopoldplatz | |
wieder zu entspannen. Viele der Männer und Frauen fühlen sich nach wie vor | |
mit dem Ort verbunden. „Da kommst du jahrelang hier her und dann ist es | |
plötzlich zu. Das war schon komisch“, erzählt einer. „Früher war es viel | |
besser, als wir uns hier zurückziehen konnten“, sagt ein anderer. | |
Am frühen Nachmittag ist die Grillparty vorbei. Tobias Wolf und seine | |
Kollegin müssen weiter, in den Kleinen Tiergarten. Auch da gibt es | |
Probleme. Mehrere TeilnehmerInnen danken den Sozialarbeitern | |
überschwänglich: „Das habt ihr so toll gemacht!“ | |
Am U-Bahnhof-Eingang Leopoldplatz steht ein Pulk von Leuten. Einige | |
Grillgäste mischen sich darunter. Noch haben sie keinen anderen Raum. | |
14 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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