# taz.de -- Straßenstrich in Berlin: Sperrzone ist lebensfremd | |
> Mit einem Sperrbezirk rund um die Kurfürstenstraße will Mittes grüner | |
> Bürgermeister den Straßenstrich eindämmen. Sein Vorstoß findet keine | |
> Gegenliebe. | |
Bild: Der Strich in der Kurfürstenstraße wird in Freierforen als Billigstrich… | |
Es ist nicht das erste Mal. Viele Politiker haben schon versucht, den seit | |
einer gefühlten Ewigkeit existierenden Straßenstrich in der | |
Kurfürstenstraße und Umgebung zu verbieten. Allerdings kamen die Vorstöße | |
zumeist aus konservativer Ecke. „Ein altes Thema – vor dem Wahlkampf neu | |
aufgewärmt.“ Der Satz, der aktueller kaum sein könnte, stammt von Mai 1995. | |
Gesagt hat das damals Tiergartens Bezirksbürgermeister Wolfgang Naujokat | |
(SPD). Adressat war Dieter Heckelmann (CDU), seinerzeit Innensenator. Der | |
hatte dem Senat eine Verordnung für einen Sperrbezirk vorgelegt. | |
Ein Sperrbezirk ist nur durch eine Verordnung des Senats möglich. Was das | |
angeht, lag Heckelmann richtig. Aber er hatte die Rechnung ohne die | |
Wirtinnen gemacht. Die zustimmungspflichtigen SPD-Senatorinnen Ingrid | |
Stahmer (Soziales und Jugend) Christine Bergmann ( Arbeit und Frauen) und | |
Lore Maria Peschel-Gutzeit (Justiz) weigerten sich, die Vorlage zu | |
unterzeichnen. | |
Mit dem Bürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, hat jetzt erstmals ein | |
Grüner ein Verbot des Straßenstrichs gefordert. Die Ankündigung erfolgte | |
Anfang August auf einer Pressekonferenz. Im taz-Interview präzisierte von | |
Dassel: Sein Ziel sei, das bereits existierende Verbot des Sexvollzugs in | |
der Öffentlichkeit durchzusetzen. | |
An den Senat und den Nachbarbezirk Tempelhof-Schöneberg – der Strich | |
befindet sich diesseits und jenseits der Bezirksgrenzen (s. Grafik) – hat | |
von Dassel am 8. August einen Brief geschrieben. Die Situation im Kiez | |
spitze sich immer mehr zu, schreibt er darin. Wegen der regen Baukonjunktur | |
gebe es kaum noch Brachen, die Kopulation findet zunehmend auf | |
Spielplätzen, Schulhöfen, in Hausfluren, Hinterhöfen und auf öffentlichem | |
Straßenland statt. | |
Die Diskussion dulde keinen Aufschub: In dem Brief, der der taz vorliegt, | |
fordert von Dassel mehr, als er bittet, ein zeitnahes Treffen mit den | |
zuständigen Senatsverwaltungen. Bis Ende des Jahres müssten handhabbare | |
Instrumente zur Problemminderung entwickelt sein. | |
Grund zur Eile sieht von Dassel noch aus anderen Gründen. Das neue | |
Prostituiertenschutzgesetz tritt Ende 2017 in Kraft. Es sieht eine | |
Anmeldungs- und Beratungspflicht aller Prostituierten vor. Und im Herbst | |
sind Bundestagswahlen. Die Beschwerden der Anwohner würden auch im | |
Wahlkampf eine Rolle spielen, vermutete von Dassel in seinem Schreiben. | |
Die AfD hatte bereits am letzten Donnerstag zu dem Thema | |
„Zwangsprostitution und Wohngebiet“ zum Bürgerdialog in den Seminarraum | |
Bülowbogen geladen. Weil der Laden zuvor bei einer nächtlichen | |
Protestaktion, aus Richtung der Antifa „entglast“ worden war, verlegte die | |
AfD die Veranstaltung ins Abgeordnetenhaus. Allerdings waren auch nur zwei | |
Anwohner gekommen. Am Bülowbogen feierten derweil rund 30 Demonstranten den | |
Erfolg. „Im Kampf gegen die Barbarei ist jedes Mittel recht“, schallte es | |
aus dem Lautsprecherwagen. „Sexwork is work“ war auf einem lila Transparent | |
zu lesen, das zwei junge Frauen hielten. | |
Aber zurück zu von Dassel. Freunde hat der grüne Bezirksbürgermeister in | |
den eigenen Parteikreisen und dem Senat nicht gewonnen. „Macht der jetzt | |
den Berliner Kretschmann?“, fragen sich manche hinter vorgehaltener Hand. | |
Nirgendwo – weder im rot-rot-grünen Senat noch beim Bezirk | |
Tempelhof-Schöneberg noch bei den Grünen – findet der Vorstoß Zustimmung. | |
„Die Forderung nach lokalen Verboten ist genauso lebensfremd wie | |
kontraproduktiv“, heißt es in der Presseerklärung des | |
Grünen-Landesvorstands. Denn: „Ein Verbot führt bestenfalls zu einer | |
Verlagerung der Sexarbeit in die angrenzenden Stadtquartiere, | |
schlimmstenfalls in die Illegalität.“ | |
Fast wortgleich reagierten der stellvertretende Bürgermeister von | |
Tempelhof-Schöneberg, Jörn Oltmann (Grüne), und die Sprecher der | |
Senatsverwaltungen für Inneres sowie Gesundheit und Gleichstellung. Ein | |
Sperrbezirk führe zur Verdrängung und würde andere Anwohner eventuell noch | |
stärker belasten. Ein Verdrängen an den Stadtrand lehne man ab, weil dies | |
zu Lasten der Prostituierten ginge, die ohnehin unter äußerst prekären | |
Bedingungen arbeiten müssten und dann für Angebote wie Streetworker nicht | |
mehr erreichbar wären. „Auch wenn es vielleicht zynisch klingt: Der | |
Straßenstrich gewährleistet eine gewisse soziale Kontrolle“, sagte | |
Stadtrat Oltmann zur taz. Sieht fast so aus, als werde es Stephan von | |
Dassel so ergehen wie einst Dieter Heckelmann. | |
22 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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