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# taz.de -- Essay „Konföderationslösung“ in Nahost: Israels linke Vorreit…
> Die „Zweistaatenlösung“ in Israel und Palästina wird immer
> unrealistischer. Doch es gibt neue Ideen, vor allem die der
> „Konföderation“.
Bild: Mauer Weg, Grenze auf: So stellen sich Beführworter eine Lösung für de…
Ein Jubiläumsfieber zum 50. Jahrestag des Krieges von 1967 hat sowohl
Israels Linke als auch die Rechte ergriffen. Die Rechten denken sich immer
neue Arten aus, Israels Triumph zu zelebrieren – die Kulturministerin trug
jüngst auf den Filmfestspielen von Cannes sogar ein Kleid mit aufgesprühten
Jerusalem-Szenen –, während die Linken händeringend versuchen, eine
apathische Öffentlichkeit daran zu erinnern, welches Übel die Besetzung
bedeutet.
Oft wird die Tatsache übersehen, dass 50 Jahre Besetzung auch 50 Jahre
Opposition bedeuten. Zwar wurde das zentrale Ziel, der Abzug, nicht
erreicht. Doch die Geschichte des Widerstands gegen die Besetzung enthält
durchaus Erfolgselemente. Die oft verspottete „Friedensindustrie“ hat nicht
nur Dialoge und Demonstrationen hervorgebracht, sondern auch Ideen zur
Legitimation verholfen, die heute zu den Kernprinzipien der Konfliktlösung
gehören.
Die eroberten Gebiete nach 1967 zu behalten war nie Konsens in Israel.
Schon während des Krieges, am fünften der sechs Tage, forderte der linke
Parlamentarier Uri Avnery die Regierung auf, das eingenommene Land an die
Palästinenser zu übergeben, damit sie dort einen unabhängigen Staat
errichten könnten.
Kurz nach dem Krieg warnte der Philosoph Jeschajahu Leibowitz davor, länger
als nötig über die Palästinenser zu herrschen. Er argumentierte, dass
Israel seine jüdische Mehrheit verlieren und die Israelis zu
sicherheitsbesessenen Besatzern werden könnten. Auch der Schriftsteller
Amos Oz forderte im August 1967 in einem offenen Brief, die Besetzung zu
beenden.
In der gleichen Phase entstand auch die rechte Siedlerbewegung. Doch auch
hier gilt: nicht ohne Widerstand. 1970 protestierten Rekruten gegen ihren
Einsatz in „den Gebieten“; einige verweigerten später.
1978 unterschrieben Hunderte von Offizieren einen Brief, der sich gegen die
Regierungspolitik wandte, „ihre Herrschaft über eine Million Araber zu
verewigen“. Diese könne „dem jüdischen und demokratischen Charakter des
Staates“ Schaden zufügen. Dieser Brief bereitete den Grund für die Bewegung
„Peace Now“.
## Staat für die Palästinenser
Heute klingen diese Worte nicht sonderlich spektakulär. Damals waren sie
schockierend. Im Jahr 1978 befürworteten in den Umfragen nur fünf Prozent
der jüdischen Israelis einen Abzug aus dem Westjordanland, 91 Prozent
lehnten die Gründung eines palästinensischen Staates ab. Zu dem Zeitpunkt
lebten schon über 5.000 Siedler dort. Auf Uri Avnery und seine
Zeitungsredaktion wurden Anschläge verübt, und Golda Meir wünschte sich
offen, man möge ihn aus der Knesset verbannen.
In den 70er und 80er Jahren etablierten sich in der Linken drei Ideen:
dass die Besetzung schlecht für beide Seiten ist, dass Siedlungen dem
Frieden schaden und dass es einen palästinensischen Staat geben sollte.
Obwohl diese Ideen in der breiten israelischen Öffentlichkeit als
schändlich galten, setzte sich die radikalste durch: die Gründung eines
palästinensischen Staates (oder auch Zweistaatenlösung). Vertreter der
Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) erwogen die Idee seit Mitte
der 70er Jahre, und die PLO übernahm die Forderung (implizit) 1988.
Auch die öffentliche Meinung in Israel veränderte sich. Als die
Oslo-Verträge 1993 geschlossen wurden, befürwortete rund ein Drittel der
jüdischen Israelis einen palästinensischen Staat. Mitte der 1990er war es
bereits rund die Hälfte. Und in den 2000er Jahren erreichte die Zustimmung
laut dem Institute for National Security Studies 60 Prozent.
## Meschenrechte statt Frieden
Dem Scheitern der Friedensgespräche im Sommer 2000 und dem Ausbruch der
Zweiten Intifada folgte Gewalt von beiden Seiten. Die Siedlungen hatten
sich enorm ausgebreitet, der Zustand der Besetzung wurde dauerhaft.
Als Reaktion auf die Zustände in den besetzten Gebieten entstanden einige
Menschenrechtsorganisationen. Die Idee eines
menschenrechtsbasierten Ansatzes im Kampf gegen die Besetzung
dominierte plötzlich in der Linken. Nach 2010 hatte die
Menschenrechtsdebatte den erstarrten Friedensdiskurs praktisch ersetzt.
Israelische Menschenrechtsaktivisten tendieren dazu, einem bestimmten
politischen Rahmen für Frieden aus dem Weg zu gehen. Sie suchen objektive
Standards für Menschenrechte, die über der Politik stehen und die sie von
jeder Partei an der Macht einfordern können.
Einige Linke fragen sich, ob dieser Fokus, ohne die politischen Ursachen
anzusprechen, die Besetzung nicht sogar nachhaltiger macht. Genau diese
Stimmen sind es auch, die sich weiter um eine politische Lösung bemühen.
Gegen Ende des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrtausend erschien die
Zweistaatenlösung nur noch wie eine ferne Vorstellung. 2009 übernahm eine
sehr rechtsgerichtete Regierung Israel, während die palästinensische
Führung gespalten und schwach war. Der Siedlungskoloss mit seinen
Begleiterscheinungen wie militärischer Landnahme breitete sich weiter aus.
## Unbeliebte Einstaatenlösung
Eine lange nur marginal diskutierte Idee tauchte im öffentlichen Diskurs
wieder auf: ein einziger demokratischer Staat mit gleichen Rechten für
alle. Es entstand eine hitzige Debatte. Befürworter der Zweistaatenlösung
sahen sich zunehmend in der Defensive gegenüber einer wachsenden Zahl von
Linken, die glaubten, dass sich das Zeitfenster dafür bereits geschlossen
habe.
Die Wahrheit ist jedoch, dass die Einstaatenlösung nie wirklich vorankam.
Obwohl seit über hundert Jahren immer mal wieder erwogen, unterstützen sie
doch nur zwanzig Prozent der israelischen Juden und etwas mehr als ein
Drittel der Palästinenser. Das ergab eine gemeinsame Erhebung (an der ich
auf israelischer Seite beteiligt war).
Sowohl die israelische als auch die palästinensische Führung sind
dagegen; die wichtigsten politischen Parteien und Organisationen der Linken
und der Mitte benutzen die Einstaatenlösung als Angstmache, um die Israelis
von der dringenden Notwendigkeit der Zweistaatenlösung zu überzeugen.
Die Zahl der Siedler hat sich innerhalb von 16 Jahren verdoppelt, auf fast
600.000 im Jahr 2016. Die Zweistaatenlösung erscheint mit jedem Tag
unwahrscheinlicher. Obwohl die Siedlungen seit Jahrzehnten das Hauptziel
der Linken waren, sind einige inzwischen davon überzeugt, dass es keinen
Sinn hat, gegen Windmühlen zu kämpfen, und neue Lösungsansätze nötig sind.
## Jeruslam – Hauptstadt zweier Staaten
In jüngster Zeit haben sich einige damit befasst, die Zweistaatenlösung zu
modifizieren – basierend auf zwei Regierungen für zwei Völker, zwei
nationalen Identitäten und einer geografischen Grenze. Statt einer harten
Trennung geht es bei diesem Ansatz um eine durchlässige Grenze. Den Bürgern
beider Staaten wäre es erlaubt, die Grenze für Reisen, Freizeit, Arbeit
oder sogar zum Wohnen zu überschreiten, es sei denn, sie stellen ein
Sicherheitsrisiko dar. Diese Regelung würde die jetzt üblichen kollektiven
Einschränkungen ersetzen.
Statt Massen von Siedlern zu entwurzeln, wie es die Zweistaatenlösung
erfordern würde, ermöglicht dieser Ansatz Neues: Er erlaubt Bürgern beider
Seiten, mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht auf der anderen Seite zu leben –
unter den dort geltenden Gesetzen und mit allen Rechten außer dem
nationalen Wahlrecht, das nur im Herkunftsland ausgeübt werden könnte
(arabische Bürger Israels könnten sich für eine Staatsangehörigkeit
entscheiden oder beide annehmen).
Jerusalem würde vereint bleiben, die Hauptstadt zweier Staaten mit einer
gemeinsamen Kommunalverwaltung. Die heiligen Stätten würden von den
religiösen Autoritäten geschützt, so wie heute auch, und vielleicht noch
von einer internationalen Einrichtung.
Die Sicherheitszusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern könnte
fortgesetzt werden – tatsächlich ist sie heute die einzige erfolgreiche
Zusammenarbeit. Das ist heikel, denn aktuell wird dies von vielen
Palästinensern als Zusammenarbeit mit den Besatzern angesehen. Im Rahmen
der Unabhängigkeit aber gäbe es keine Veranlassung zu politischer Wut mehr.
Das Wort „Konföderation“, das für dieses Modell benutzt wird, macht vielen
Angst. Doch interessanterweise stößt es bei Siedlern und anderen rechten
politischen Figuren auf Interesse und Neugierde – bei den klassischen
Verhinderern einer Zweistaatenlösung. Um diese Idee hat sich eine
Gemeinschaft Interessierter aus Diplomaten und politischen Akteuren
gruppiert.
Nur zur Erinnerung: Was die Linke sagt, hörte sich zuerst oft radikal,
schockierend und beängstigend an – aber einige ihrer zentralen Ideen wurden
über die Jahre zum Mainstream. Vielleicht wird es auch bei der
Konföderation so kommen.
Übersetzung: Silke Mertins
4 Jun 2017
## AUTOREN
Dahlia Scheindlin
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