# taz.de -- Fünf-Stunden-Lesung in Tel Aviv: „Solidarität ist wichtiger den… | |
> Schriftsteller, Politiker, Soldaten und Künstler lesen Erlebnisse aus | |
> besetzten palästinensischen Gebieten vor. Dafür gibt es Lob – und harsche | |
> Kritik. | |
Bild: Dorit Rabinyan schreibt über Liebe zwischen einem Palästinenser und ein… | |
Tel Aviv taz | Eigentlich sollte er nur das ablesen, was auf dem Zettel | |
steht. Doch Dani Karavan kann sich nicht zurückhalten und spricht dann doch | |
ein paar persönliche Worte: „Ich bin hier geboren, aber dies ist ein | |
schwieriger Ort zum Leben geworden“, sagt der weltweit renommierte | |
israelische Bildhauer, der unter anderem das Mahnmal für die von den Nazis | |
ermordeten Roma und Sinti in Berlin gestaltete. | |
Von der anderen Straßenseite dringen durch ein Megafon die Worte „Verräter�… | |
und „Lügner“ herüber. Doch der 86-Jährige, der die Staatsgründung Israe… | |
miterlebt hat, lässt sich nicht unterbrechen. Dann liest er vom Zettel die | |
Aussage eines Soldaten vor, der bei der Organisation Schovrim Schtika, das | |
Schweigen Brechen, Zeugnis abgelegt hat über seine Zeit als Soldat in den | |
besetzten Gebieten. | |
Es ist eines von 157 Zeugnissen, die an diesem Abend am Rande des Sarona | |
Parks in Tel Aviv vorgetragen werden. So erinnert Schovrim Schtika daran, | |
dass die Besatzung bereits 50 Jahre andauert. Die einzelnen, kurzen | |
Schilderungen ergeben am Ende ein großes Bild davon. Fünf Stunden lang | |
lesen Schriftsteller, Künstler, Aktivisten, Politiker und Soldaten selbst | |
die Zeugnisse. Sie stehen auf einer kleinen, niedrigen Bühne, gut 200 | |
israelische Zuhörer sitzen hier draußen auf Holzstühlen und auf Bastmatten. | |
Gleich gegenüber liegt HaKyria, ein abgeriegeltes Viertel, Sitz des | |
Verteidigungsministeriums und der Armee. Doch der Veranstaltungsort war | |
nicht beabsichtigt, sondern wurde von der Stadt vorgegeben, erklärt Jehuda | |
Shaul, Mitgründer der Organisation. „Wir sind ja nicht gegen die Armee. Wir | |
sind nur gegen die politische Mission, die sie erfüllen soll. Wir wollen, | |
dass die IDF eine Armee der Verteidigung ist, nicht der Besatzung.“ | |
## „Packt doch eure Sachen und zieht nach Gaza“ | |
Das aber sehen in Israel viele ganz anders. Schovrim Schtika wurde längst | |
gebrandmarkt als linke, israelfeindliche, verräterische Organisation. | |
Vorbeifahrende Autos hupen immer wieder, um die Veranstaltung zu stören. | |
Und auf der anderen Straßenseite brüllt ein Mann mit einem Megafon: „Ihr | |
seid Müll. Schaut euch an. Ihr habt nicht einen Tropfen Jüdischkeit in | |
euch. Packt doch eure Sachen und zieht nach Gaza.“ | |
Die Stimmung ist gegen die Gruppe. Schovrim Schtika hat das jüngst wieder | |
zu spüren bekommen, als das Justizministerium Ermittlungen gegen ihren | |
Sprecher Dean Issacharoff eingeleitet hat. Der Sohn des designierten | |
israelischen Botschafters in Deutschland hatte erzählt, als Soldat einen | |
Palästinenser blutig geschlagen zu haben. | |
Justizministerin Ajelet Shaked sagte daraufhin, wenn das wirklich passiert | |
sei, müsste gegen ihn ermittelt werden. Rechte Politiker werfen den | |
Soldaten von Schovrim Schtika vor, zu lügen und die Armee verunglimpfen zu | |
wollen. Dean Issacharoff wurde befragt. Noch laufen die Ermittlungen, | |
weshalb er selbst nichts dazu sagen darf. | |
Tatsächlich läge es sogar im Interesse von Schovrim Schtika, dass Soldaten | |
zur Rechenschaft gezogen werden. „Dean, ich und die anderen wären mehr als | |
glücklich, aussagen zu dürfen“, sagt Jehuda Shaul. Doch er ist sich sicher, | |
dass hinter den Ermittlungen kein Paradigmenwechsel der rechten Regierung, | |
sondern politisches Kalkül steckt: „Wenn man Leute zur Rechenschaft ziehen | |
will, dann muss man gegen alle von uns ermitteln. Aber es geht ja nicht | |
darum, Dean vor Gericht zu stellen, sondern darum, zukünftige Soldaten | |
davon abzuhalten, das Schweigen zu brechen.“ | |
## Druck von rechts | |
Der Druck von rechts ist groß, das weiß die Schriftstellerin Dorit | |
Rabinyan, die an diesem Abend gekommen ist, um eines der Soldatenzeugnisse | |
vorzulesen. Ende 2015 wurde ihr Buch „Wir sehen uns am Meer“ für den | |
Schulunterricht verboten. Es geht darin um die Liebesgeschichte zwischen | |
einem Palästinenser und einer Israelin, für den nationalreligiösen Minister | |
Naftali Bennett eine Gefahr für die jüdische Identität. Dorit Rabinyan | |
zählt zu den Verrätern. | |
An diesem Abend aber ist sie von Unterstützern umgeben, von anderen | |
kritischen Künstlern, Autoren und Aktivisten. „Seitdem sie mich angegriffen | |
haben, fühle ich, dass Solidarität wichtiger ist denn je“, sagt sie. „Wir | |
sind im Belagerungszustand und sie tun alles, um unsere Suche nach der | |
Wahrheit für ein Ende der Besatzung zu dämonisieren.“ | |
2 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Lissy Kaufmann | |
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