# taz.de -- 50 Jahre 2. Juni 1967: „Kurras war ein Waffennarr“ | |
> Fünfzig Jahre nach seinem Tod fordert die Geschichtswerkstatt einen | |
> Platz, der nach Benno Ohnesorg benannt ist. Die tödlichen Schüsse seien | |
> immer noch aktuell. | |
Bild: Vor dem tödlichen Schuss: Demo gegen den Schah am 2. Juni 1967 | |
taz: Wenn ein Schüler sie nach Benno Ohnesorg fragt, was antworten Sie ihm? | |
Jürgen Karwelat: Dass das ein Student war, der rein zufällig ums Leben | |
gekommen ist, weil er in eine ganz verrückte Situation geraten war. 2. Juni | |
1967, Studentendemonstration in West-Berlin, viele Studenten waren auf der | |
Straße, und ihn hat es zufällig erwischt. Er wurde von einem Polizisten | |
erschossen. | |
Der Todestag von Benno Ohnesorg jährt sich am 2. Juni zum fünfzigsten Mal. | |
Wie aktuell ist das Ereignis noch? | |
Nicht nur der Todestag, sondern auch die politische Bewegung drumherum | |
haben Auswirkungen bis heute. Die Studentenbewegung, die damals schon auf | |
Hochtouren war, hat unsere Gesellschaft verändert. Offene Diskussionen, | |
Mitsprache, Wohngemeinschaften, Kinderläden, das alles gehört heute dazu. | |
Auch die Berliner Geschichtswerkstatt ist ein spätes Kind der | |
Studentenbewegung. | |
Warum? | |
Sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen, sich der Geschichte der | |
kleinen Leute annehmen, das hat damals angefangen, und das machen wir bis | |
heute. Das ist eine glatte Linie. | |
Auf der anderen Seite gibt es eine ebenso glatte Linie des 2. Juni 1967 mit | |
der gleichnamigen Bewegung zum linken Terrorismus. | |
Das war ein absoluter Irrweg. Aber es war eine Minderheit, die Attentate | |
verübt und Leute umgebracht hat. | |
Die Zäsur 2. Juni, der Tod eines unschuldigen Studenten, Molotow-Cocktails | |
auf Springer: Warum spricht man heute eigentlich von den Achtundsechzigern | |
und nicht von den Siebenundsechzigern? | |
Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Und eigentlich haben die Studenten | |
schon sechsundsechzig angefangen. Ich vermute mal, es liegt daran, dass | |
achtundsechzig sehr, sehr viel passiert ist. Außerdem hat achtundsechzig | |
mit Frankreich auch diese internationale Perspektive. | |
In Berlin gibt es inzwischen eine Rudi-Dutschke-Straße, für die Sie sich | |
selbst sehr engagiert haben. Sie waren der Initiator für den Namen | |
Rosa-Luxemburg-Steg am Tiergarten. Aber auch 50 Jahre nach seinem Tod gibt | |
es in Berlin keinen Benno-Ohnesorg-Platz. | |
Offenbar, weil bisher niemand richtig die Initiative ergriffen hat. Bislang | |
erinnert an den Tod von Benno Ohnesorg eine Gedenkstele an der Krummen | |
Straße, ganz in der Nähe des Hinterhofs, in dem er erschossen wurde. Man | |
hätte natürlich die Krumme Straße umbenennen können. Die führt direkt auf | |
die Deutsche Oper, wo die Demonstrationen gegen den Schah und seinen Besuch | |
in der Oper stattgefunden hat. | |
Wo ist das Problem? | |
Das ist eine lange Straße, da gibt es entsprechend lange Diskussionen. Aber | |
natürlich wäre es eine Möglichkeit, den jetzigen Shakespeareplatz zu | |
nehmen. Das hielten wir auch bei uns in der Berliner Geschichtswerkstatt | |
für eine gute Lösung. | |
Haben die langen Diskussionen, die Sie ansprechen, auch damit zu tun, dass | |
nicht nur ein unschuldiger Student erschossen wurde, sondern auch der, der | |
geschossen hat, für unschuldig erklärt und freigesprochen wurde? | |
Ich hoffe, dass wir darüber hinaus sind. Auch Konservative und Gegner der | |
Studentenbewegung müssen heute zugeben, dass der Prozess gegen Kurras | |
manipuliert worden ist. Polizeikollegen haben gelogen oder sich angeblich | |
nicht mehr erinnert. | |
Auch für die Linke könnte es ein schwieriges Gedenken sein. Karlheinz | |
Kurras, der Schütze, hat für die Stasi gearbeitet, wie wir seit einigen | |
Jahren wissen. | |
Warum sollte sich die Linke mit dem Geheimdienst der DDR solidarisieren? | |
Sie war ja selber Objekt der Beobachtung. Da sehe ich keine Probleme. | |
Das Verhältnis der Studentenbewegung zur DDR war nicht immer so klar, wie | |
Sie es jetzt schildern. | |
Natürlich gab es die eher traditionellen Marxisten, die sich in Richtung | |
DDR orientiert haben. Die waren in der DKP organisiert oder hier in | |
West-Berlin in der SEW. Aber der nichtorthodoxe Teil der Linken war | |
deutlich größer. Es wäre also falsch zu sagen, die Linke wäre von der DDR | |
gesteuert gewesen. | |
Die Bereitschaftspolizei, der Kurras angehörte, hatte zur damaligen Zeit | |
auch paramilitärische Aufgaben. Es herrschte dort ein absoluter Korpsgeist. | |
Wie sehr hat sich denn die Kultur der inneren Sicherheit in den vergangenen | |
fünfzig Jahren verändert? | |
Dein Feind, der Polizist, hieß es damals. Dieses krasse Gegeneinander, hier | |
Polizei, dort Protestierende gibt es wohl nur noch bei einigen | |
linksradikalen Gruppen. Mittlerweile weiß auch die Linke, dass ein Staat | |
ohne Polizei nicht organisiert sein kann. Wir müssen darauf achten, dass | |
Regeln eingehalten werden und im Zweifel jemand innerhalb der Polizei da | |
ist, der sagt: Halt, stopp! | |
Damals gab es nicht nur Ermittlungspannen, sondern auch Hinweise darauf, | |
dass vieles vertuscht wurde. Das ist ja das Gegenteil von Regeln einhalten. | |
Der Freispruch für Kurras konnte damals nur zustande kommen, weil die | |
Polizei vertuscht hat. Wenn alle ausgesagt hätten, was sie gesehen haben, | |
hätte es zu einer Verurteilung kommen müssen. Das war tatsächlich ein | |
Korpsgeist, den es in dieser Form sicher heute nicht mehr gibt. Heute gäbe | |
es da auch andere Institutionen, die aufpassen. Der Außendruck auf die | |
Polizei wäre bestimmt größer. Verrückt ist ja: Wenn die Polizei damals | |
gewusst hätte, dass Kurras Stasi-Agent war, hätten die den mit Sicherheit | |
so belastet, dass er verurteilt worden wäre. | |
Also auch ein wenig deutsch-deutsche Geschichte, die da vor fünfzig Jahren | |
stattfand, mit Berlin als Hotspot des Kalten Krieges. Der Schriftsteller | |
Uwe Timm war ein Freund von Benno Ohnesorg, er hat ihm auch ein | |
literarisches Denkmal gesetzt: Hat er sich mal darüber geäußert, wie das | |
Leben vom Benno Ohnesorg weitergegangen wäre? | |
Ich hab vor kurzem mit Uwe Timm gesprochen. Beide sind wir uns einig, dass | |
man da nur mutmaßen kann. Ohnesorg war ein sozial engagierter Mensch, der | |
vielleicht noch Sozialwissenschaften studiert oder einen sozialen Beruf | |
ergriffen hätte. Vielleicht wäre er Lehrer oder Leiter eines Kinderladens | |
geworden. So ein sozialer Typ war er. | |
Bei der Gedenkveranstaltung am 2. Juni, die Sie organisieren, wird auch Uwe | |
Soukup dabei sein, der vor einigen Jahren den ganzen Fall noch einmal | |
aufgerollt hat. Hat das eigentlich die Öffentlichkeit noch interessiert, | |
als rauskam, dass Kurras bei der Stasi war? | |
Ja, es ging ja bis zu der Mutmaßung, dass vielleicht sogar die Stasi | |
Ohnesorg auf dem Gewissen hatte. Dass es ein Auftragsmord war. Aber das ist | |
sehr unwahrscheinlich. Die wollten eher einen Spitzel in der West-Berliner | |
politischen Polizei haben, um da Informationen rauszuholen. Und eben nicht: | |
Kurras erschießt einen Studenten, daraufhin gibt es Revolte und in | |
West-Berlin bricht die Revolution aus. So blöde war die Stasi nicht. | |
Also hat er seinem Auftraggeber einen Bärendienst erwiesen? | |
Da bin ich ganz sicher. Er ist ja auch kurz danach „abgeschaltet“ worden. | |
Die Stasi hat alles versucht, um die Verbindung zu vertuschen. | |
Das heißt, er war im Moment des Schusses eher Polizist als | |
Stasi-Mitarbeiter? | |
Er war mit Sicherheit Waffennarr, der gerne mal zuschlug und ein harter | |
Hund war. Wahrscheinlich ist ihm damals die Sicherung durchgebrannt aus | |
Hass gegen die Studenten. Polizist war er aber auch nicht in diesem Moment. | |
Polizisten sollen ja keine Demonstranten erschießen. | |
Es ist ja auch die Frage aufgetaucht, ob mit dieser Stasi-Mitgliedschaft | |
die Geschichte der Achtundsechziger umgeschrieben werden muss. Was meinen | |
Sie dazu? | |
Ich glaube nicht, dass man an der bisherigen Interpretation etwas ändern | |
muss. Ich sehe die Studentenbewegung, die es schon vorher gab, als | |
weltweite Bewegung, in Frankreich, in den USA, die die Gesellschaft | |
demokratisieren wollte. Daran ändert auch ein Kurras nichts. | |
28 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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