# taz.de -- Warum TV-Serien wie Fast Food sind: Er fühlt sich schmutzig | |
> Serien wie „Homeland“ oder „The Americans“ locken mit Cliffhangern wie | |
> McDonalds mit Fett. Unser Autor will davon loskommen. Oder bessere | |
> Serien. | |
Bild: Übrigens, das ist nicht unser Autor | |
[1][TV-Serien] sind wie Fast Food: Man isst und isst, es schmeckt, man wird | |
gierig. Bis einem schlecht wird. Satt und zufrieden ist man aber eigentlich | |
nie. Ein guter Film dagegen ist wie ein ausgewogenes Abendessen: eine | |
Erfrischung als Vorspeise, etwas zum Kauen, danach etwas Süßes. Und Käse | |
schließt den Magen. | |
Jahrelang schwärmten alle für tolle TV-Serien. Begeistert erzählte man | |
sich, wie originell Serien erzählen können, wie sehr sie dem Film überlegen | |
sind. Doch ein Buch, das so simpel aufgebaut ist wie Serien, würde kaum | |
jemand in die Hand nehmen: [2][„Homeland“] – Terrorkitsch, „Breaking Ba… | |
Drogenkitsch, „The Americans“ – Agentenkitsch. Das wären schlechte Krimi… | |
die man beim Lesen in der Bahn in einem anderen Umschlag versteckt. | |
Und nein, das ist keine Geschmackssache: In Aristoteles’ Dramentheorie, auf | |
der bis heute Filme und Bücher aufbauen, gibt es die Katharsis, die | |
Reinigung. Wer aus einem tollen Kinofilm kommt oder einen guten Roman zu | |
Ende gelesen hat, ist melancholisch, weil es vorbei ist, aber fühlt sich | |
leichter und besser als vorher. Diesen Moment haben Serien nicht, sie | |
wollen ihn auch nicht. Sie sind episodenhaft erzählt, die Struktur der | |
Folgen ähnelt sich, selbst bei „House of Cards“ oder „Homeland“. | |
Wenn ich die halbe Nacht Serien schaue, auf dem Sofa vegetiere wie der | |
Junkie, der ich bin, zwischen zwei Folgen nur noch den Weg zum Kühlschrank | |
und zum Klo finde und dann der Abspann der letzten Folge über den | |
Bildschirm läuft, fühle ich mich nicht gereinigt, sondern schmutzig und | |
unzufrieden. Vielleicht ein wenig erleichtert, dass es geschafft ist. Warum | |
fühle ich mich nicht so schlecht, wenn ich einen Roman nicht weglegen kann? | |
## In die Länge gezogen, wie Kaugummi | |
Serien haben Cliffhanger, sie sollen uns süchtig machen wie Zucker oder | |
schlechte Drogen. Das führt dazu, dass sich Serien gleichen. Egal, ob es um | |
Drogenhandel, eine Werbefirma oder das Weiße Haus geht: Es gibt einen | |
Spannungsbogen über eine Staffel, von dem der Zuschauer nur häppchenweise | |
mehr erfährt. In jeder Folge hat der Held zusätzlich ein kleines Problem, | |
das er aber innerhalb von 45 Minuten lösen kann. Und kurz vor dem Ende | |
einer Folge passiert etwas Unvorhergesehenes, weshalb ich nach der Folge | |
den Fernseher nicht ausmachen kann. Wie spannend? Wie langweilig! | |
Es stimmt, einige der gefeierten Serien sind an ihrem Ausgangspunkt genial | |
– allerdings reicht diese Genialität meist nur für eine Staffel. So wie | |
kaum ein zweiter Teil eines Kinofilms gelungen ist, hätten auch „Homeland“, | |
„The Americans“, „Breaking Bad“ keine zweite, dritte, vierte Staffel | |
gebraucht. Das Ergebnis ist reihenweise Enttäuschung. | |
Dass eigentlich spannende Geschichten in die Länge gezogen werden wie | |
Kaugummi, ist nicht dramaturgischen Gründen geschuldet, sondern vielmehr | |
finanziellen Erwägungen. Serien sind durch ihre Produktionsbedingungen | |
bestimmt – und weil der finanzielle Erfolg über die weitere Dramaturgie | |
entscheidet, sind sie in noch viel stärkerem Ausmaß als ein Kinofilm ein | |
kulturindustrielles Produkt. | |
Kunst ist das nicht, die Serienmacher aber können kaum dafür haftbar | |
gemacht werden: Für Indiefilme gibt es Dutzende Förderungen, und schon ein | |
paar tausend Dollar können reichen. Serien sind teurer – und sie sind | |
gezwungen, den Geschmack eines Massenpublikums zu treffen. | |
## Natürlich, es gibt es Ausnahmen | |
Vier Stunden sehen Deutsche fern – jeden Tag. Vor wenigen Jahren war diese | |
Zahl für viele Akademiker undenkbar, man war merkwürdig stolz, keinen | |
Fernseher zu haben. Heute schauen sie wegen Netflix und Amazon Prime | |
Stunde um Stunde. Zum klassischen Fernsehen kommt beim Serienschauen über | |
Streamingdienste nun ein weiteres Element hinzu: Algorithmen haben die | |
Produktion von Serien und damit unsere Sehgewohnheiten verändert. | |
Amazon und Netflix sagen, dass sie die Sehgewohnheiten ihrer Zuschauer bei | |
der Produktion ihrer Inhalte berücksichtigen. Anders als im Kino, wo die | |
Menschen mit den Füßen abstimmen, können die Anbieter heute genau sagen, in | |
welcher Szene ihre Zuschauer abschalten. Also, wann es langweilig wird. | |
Adorno kritisierte, dass die Kulturindustrie ihre Produkte zu einer | |
„unerträglichen Uniformität“ treibe. Auf Serien trifft das umso mehr zu, | |
weil sie geschrieben werden, während sie bereits auf dem Markt sind: „Die | |
Konsumenten werden als statistisches Material auf der Landkarte der | |
Forschungsstellen, die von denen der Propaganda nicht mehr zu unterscheiden | |
sind, in Einkommensgruppen, in rote, grüne und blaue Felder aufgeteilt.“ | |
Das böse Fernsehen? Das ist, Adorno hin oder her, ein unerträglich | |
konservatives Argument. Doris Akrap hat vor wenigen Tagen in der taz zu | |
recht darauf hingewiesen, dass viele Serien seit Anfang der Neunziger Jahre | |
progressiv darin waren, Geschlechterrollen, Rassismus und Machtverhältnisse | |
zu beschreiben: „The Wire“ ist nur das am häufigsten genannte Beispiel. | |
Eine Kritik an Serien ist deshalb auch keine an der Auswahl ihrer Stoffe, | |
die jener des Kinofilms oft voraus sind, sondern an Form, Dramaturgie und | |
Produktionsweise. | |
Natürlich, es gibt Ausnahmen, die kein Fast Food sind, sondern Gourmet. | |
„The Wire“, „Leftovers“. Und es ist kein Zufall, dass immer öfter | |
Anthologien geschrieben werden. „Fargo“ etwa funktioniert über zehn Folgen, | |
dann ist die Geschichte abgeschlossen. Die zweite Staffel hat mit der | |
ersten nichts zu tun. In Serien wie „The Mirror“ sind die einzelne Episoden | |
nur thematisch, nicht inhaltlich verbunden. Vielleicht ist das der Ausweg | |
aus dem Serienkoma. | |
27 May 2017 | |
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## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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