# taz.de -- „Unser letzter Sommer“ in der ARD: Streitende Nachbarn | |
> Ein Spielfilm widmet sich der deutschen Besetzung in Polen während des 2. | |
> Weltkriegs. Das ist gar nicht so leicht und unschuldig bleibt am Ende | |
> niemand. | |
Bild: Junge Liebe während der Besatzung | |
Wenn es in einem Film um die deutsche Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg | |
geht, liegen die Nerven regelmäßig blank. In Polen. Und das nicht erst, | |
seit dort die PiSer regieren und etwa in der Kontroverse um das neue Museum | |
des Zweiten Weltkriegs in Danzig deutlich gemacht haben, wie ernst es ihnen | |
mit der Durchsetzung ihrer polenzentristischen statt universalistischen | |
Sichtweise ist. | |
Es war auch nicht allein das „Unsere Mütter, unsere Väter“-Machwerk aus d… | |
Nico-Hofmann-Schmiede, das für Befremden und Empörung sorgte. Meinte da | |
doch das deutsche Staatsfernsehen (ZDF), es sei nun ausgerechnet an ihm, | |
ein nicht nur deutsches Publikum darüber aufzuklären, was für arge | |
Antisemiten es nämlich auch in Polen seinerzeit gab, namentlich in der | |
Untergrundarmee. Auch Edward Zwicks mit Daniel Craig besetzter | |
Hollywood-Actionfilm über die jüdischen Bielski-Partisanen war in Polen | |
zuvor auf Kritik gestoßen. | |
Die polnische Antwort auf „Unsere Mütter, unsere Väter“ hieß „Warschau… | |
und zelebrierte den Heldenmut und die Opferbereitschaft der Heimatarmee | |
vorbehaltlos pathetisch unter Einsatz aller filmischen | |
Überwältigungsstrategien. Das verfilmte Denkmal entstand „unter der | |
Schirmherrschaft“ des damaligen polnischen Präsidenten Bronisław | |
Komorowski, der kein PiSer war, sondern gegen deren Kandidaten später | |
unterlag. „Warschau ’44“ lief in deutschen Kinos und im ZDF – keine | |
allgemeine Empörung, kein lautes Befremden. Die Kritikerin der FAZ fand es | |
ein bisschen kitschig – und dass wir eine Menge davon erführen, „was den | |
Polen vor Augen steht, wenn sie an den Zweiten Weltkrieg denken.“ | |
Das etwa ist die Ausgangslage, derer man sich bewusst sein sollte, um | |
ansatzweise zu erahnen, was für eine diffziles Unterfangen eine | |
polnisch-deutsche Koproduktion über die deutsche Besetzung Polens für die | |
Beteiligten sein muss. Michał Rogalskis (Buch und Regie) „Unser letzter | |
Sommer“ kam 2015 genau drei Tage vor dem Sieg der PiSer bei den | |
(polnischen) Parlamentswahlen in die (deutschen) Kinos. | |
## Polnischer Antisemitismus | |
Es dauert genau vier Minuten und 17 Sekunden, der Vorspann ist gerade | |
vorbei, bis ein Pole sagt: „Hitler ist, was er ist. Aber dafür, dass er uns | |
endlich von den Juden befreit hat, werden ihm die Polen ein Denkmal setzen. | |
Stimmt’s?!“ Damit wäre die Sache mit dem polnischen Antisemitismus also | |
geklärt (ganz im Sinne von „Unsere Mütter, unsere Väter“). | |
Und Romek, der sich das betreten angehört hat, kann sich erfreulicheren | |
Dingen zuwenden: zum Beispiel einem an den Bahngleisen gefundenen | |
Plattenspieler und der hübschen Nachbarstochter, die auch dem Deutschen | |
Guido gefällt. Drei schöne, (noch) unschuldige junge Menschen, erste Liebe, | |
sexuelles Erwachen … Erst mal hören sie Swing und tanzen dazu – als | |
Metapher für Freiheit in Zeiten der Diktatur. Wie in Dominik Grafs „Der | |
Rote Kakadu“. | |
Der hochgelobte Jonas Nay verkörpert ja regelmäßig diese etwas naiven, | |
leicht verpeilten Romantiker, die über die ungeahnte Unanständigkeit auf | |
dieser Welt noch so aufrichtig großäugig staunen können. Er wird noch | |
staunen, es ist schließlich Krieg. Aber einstweilen gilt: Wenn das Krieg | |
ist – so lässt er sich aushalten. Deutsche und Polen freuen sich über an | |
den Bahngleisen eingesammelte Habseligkeiten der Juden aus dem Lager | |
(Treblinka). Sie genießen den Sommer. | |
## Ein Soldat! Ist immer Soldat! | |
Der nur mäßig zackige Feldwebel (André Hennicke einmal nicht als Bösewicht | |
– abgesehen von seiner Funktion als Polen besetzender Wehrmachtssoldat am | |
Rande eines Vernichtungslagers) erklärt dem neuen Oberleutnant: „Wir haben | |
hier auch kaum Probleme. Im letzten Jahr haben die Einsatzgruppen mit den | |
Juden so aufgeräumt, dass denen das Wasser im Arsch gekocht hat.“ | |
Die Probleme kommen, der Oberleutnant ist eins davon. Mit ihm hält ein | |
neuer Ton Einzug, genau der, wie man ihn aus etlichen Nazi-Filmen kennt: | |
„Ein Soldat! Ist immer Soldat! Egal ob er isst oder schläft oder scheißt! | |
Die Waffe! Die Waffe ist Teil von euch! Verstanden!“ Gudio hat er natürlich | |
schnell auf dem Kieker: „Ach, Hausmann. Vielleicht erklären Sie uns, warum | |
Sie hier sind. Ihr Jahrgang wird doch erst im Herbst eingezogen.“ „Herr | |
Oberleutnant. Naja. Ich hab mit ein paar Freunden – entartete Musik gehört. | |
Jazzmusik. Herr Oberleutnant.“ | |
Die immer wieder in Szene gesetzte wunderschöne polnische Natur wird ihre | |
Unschuld bewahren – Guido wird die seine verlieren. Darauf läuft der Film | |
hinaus. Und die Russen, die nicht koproduziert haben, sind nicht nur | |
Mörder, wie der Oberleutnant, sondern auch Vergewaltiger. | |
Fazit: Ein bisschen vorhersehbar vielleicht, aber sonst alles richtig | |
gemacht. Schön ausgewogen, angemessen differenziert. Den PiSern dürften der | |
Film trotzdem – oder genau deshalb – nicht gefallen, siehe Danzig. | |
13 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
## TAGS | |
Polen | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
Antisemitismus | |
ARD | |
Fernsehen | |
Vertriebene | |
Homeland | |
Fernsehfilm | |
Familie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jüdische Kontingentflüchtlinge: Eine Rente, von der man leben kann | |
Migranten aus Russland und Polen erhalten weniger Pension als | |
deutschstämmige Spätaussiedler. Die Grünen wollen das ändern. | |
Warum TV-Serien wie Fast Food sind: Er fühlt sich schmutzig | |
Serien wie „Homeland“ oder „The Americans“ locken mit Cliffhangern wie | |
McDonalds mit Fett. Unser Autor will davon loskommen. Oder bessere Serien. | |
ARD-Komödie über Alzheimer: Moral der ganz schlichten Art | |
Hartmuts Frau Erika hat die letzten 40 Jahre vergessen – also lässt er für | |
sie die Siebziger aufleben. Ein Feelgood-Film über Demenz. | |
Lars Kraumes „Familienfest“ im ZDF: Happy Birthday, Arschloch! | |
Ein prominentes Schauspieler-Ensemble trifft sich zum Zank am gedeckten | |
Tisch. Der Film ist genretypisch und erwartbar unsubtil. |