# taz.de -- ARD-Komödie über Alzheimer: Moral der ganz schlichten Art | |
> Hartmuts Frau Erika hat die letzten 40 Jahre vergessen – also lässt er | |
> für sie die Siebziger aufleben. Ein Feelgood-Film über Demenz. | |
Bild: Erika (Gisela Schneeberger, l.) hat Alzheimer. Hartmut (Erwin Steinhauer,… | |
Die Menschen werden immer älter, die Fernsehzuschauer sowieso – Demenz, | |
Alzheimer sind da ein Thema. Auch im Film. International glänzten Julie | |
Christie, Emmanuelle Riva und Julianne Moore – hierzulande spielten Klaus | |
Maria Brandauer, Matthias Habich und gar Dieter Hallervorden überzeugende | |
Demenzkranke. | |
Über diese Art Geschlechtertrennung könnte man jetzt sinnieren, aber: Vom | |
heutigen Abend an gibt es auch eine deutsche Schauspielerin in einer | |
Alzheimer-Rolle. Kann Gisela Schneeberger glänzen? Dafür ist ihre Rolle zu | |
anspruchslos. Der Kontrollverlust, die Erkenntnis, die Erklärung gegenüber | |
den Liebsten werden ihr nicht abverlangt. Erika ist darüber schon hinaus, | |
wie die unsympathische blonde Ärztin Erikas Hartmut (Erwin Steinhauer) | |
erklärt: „Ihre Frau befindet sich seit ein paar Wochen am Beginn der Stufe | |
drei. (…) Die Frau, die Sie kannten, existiert nicht mehr.“ | |
Die unsympathische blonde Ärztin und der Sohn (Simon Schwarz) finden es an | |
der Zeit für ein Heim. Dessen unsympathische blonde Leiterin darf die | |
schönste, weil (leider nicht vorbehaltlos, wie die Schlussszene zeigt) | |
bösartige Idee des Films vortragen: „Und büchst trotzdem mal einer aus, | |
dann müssen unsere Mitarbeiter nur vor die Türe treten. Haben Sie die | |
Bushaltestelle draußen gesehen? Haben wir gebaut, mitsamt Halteschild, | |
Fahrplan, einer Sitzbank. Nur – es kommt nie ein Bus.“ | |
Sagt der Enkel zum Sohn: „Magst du die Oma nicht mehr?“ „Wieso?“ „Wei… | |
sie hier einsperren willst.“ Die Jungen und die Alten sind unschuldig, die | |
Mittelalten sind verdorben. Die Moral dieses Alzheimer-Feelgood-Films ist | |
von der ganz schlichten Art. Darüber wird sich nicht wundern, wer als einen | |
von zwei Drehbuchautoren Uli Brée identifiziert (Klaus Pieber ist der | |
andere, Regie Nils Willbrandt): Deutschlands erfolgreichsten Export ins | |
österreichische Fernsehen nach, nein vor Dirk „Willkommen Österreich“ | |
Stermann. Brée hat etliche „Tatorte“ geschrieben und eine flache „Desper… | |
Housewives“-Adaption in der Wiener Suburbia („Vorstadtweiber“). Eines der | |
größten TV-Ärgernisse der vergangenen Jahre war aber seine Befassung mit | |
dem „Down-Syndrom“. Schon „So wie du bist“ (2012) hatte eine zum | |
Fremdschämen schlichte Moral und der Autor keine Skrupel, sie von einer | |
Filmfigur auch noch ausformulieren zu lassen: „Dabei empfinden Menschen mit | |
Down-Syndrom viel intensiver als wir. Wenn alle so fühlen würden wie sie, | |
vielleicht säh die Welt ein bisschen anders aus!“ | |
## Zurück in die 70er | |
Ja, und wenn alle Menschen Alzheimer hätten, dann wär das ganze Leben ein | |
Kindergeburtstag! Hartmut hat nämlich gelesen, dass Menschen mit Alzheimer | |
„sich eine eigene Welt erschaffen, die in der Vergangenheit liegt“. Da hat | |
er einen Geistesblitz: „Ich dreh die Zeit zurück! Wir machen alles, wie es | |
war!“ Damals in den Siebzigern, die für Erika und Hartmut die schönste Zeit | |
waren, wie kurze Rückblenden illustrieren. | |
Bald sieht also das ganze Haus aus wie Spießbürgers Traum von der Playboy | |
Mansion und Hartmut trägt Langhaarperücke zum Oberhemd in Kackbraun und | |
Orange. Eine Komplikation gibt es noch, die unsympathische blonde Ärztin | |
hatte es angedeutet: „Alzheimer-Patienten versuchen, alte Konflikte zu | |
klären. Dinge, die sie belasten. Ungeklärte Probleme.“ Die Rückblenden | |
handeln nicht nur von Erika und Hartmut, es ist noch ein zweites Pärchen zu | |
sehen. Mit den Nachbarn haben sich Erika und Hartmut schon vor Jahren | |
zerstritten. Da muss der Zuschauer nur zwei und zwei zusammenzählen, um | |
nicht so lange auf dem Schlauch zu stehen wie Hartmut: „Nach 40 Jahren Ehe | |
gibt es keine ungelösten Probleme!“ | |
Am Ende hält ein Bus an der Haltestelle. Und drin sitzen Julie Christie und | |
Emmanuelle Riva und Julianne Moore … Nein. Drin sitzt nur Didi | |
Hallervorden. | |
26 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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