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# taz.de -- Jugendfilm „Romys Salon“ über Demenz: Wenn die Oma wieder zum …
> Der klug erzählte deutsch-niederländische Jugendfilm „Romys Salon“ ist
> trotz des Themas Demenz keine Leidensgeschichte.
Bild: … muss halt die zehnjährige Enkelin das Ruder übernehmen
Bremen taz | Schrecksekunde auf dem Hamburger Hauptbahnhof: Romy hat im
Gewimmel ihre Großmutter aus den Augen verloren. Und weil die ist, was man
vielleicht „altersverwirrt“ nennt, könnte sie unwiederbringlich verloren
gegangen sein.
Es ist eine der dramatischen Szenen in „Romys Salon“: Eine Zehnjährige,
unterwegs in einem fremden Land, unter fremden Menschen – und ganz allein
verantwortlich für die ältere Frau, die ihre eigene Tochter schon mal für
ihre Mutter hält. Natürlich bewältigt die junge Heldin, gespielt von Vita
Heijmen, diese Krise souverän, so wie schon einige andere davor. Aber dabei
bleibt sie auch immer noch ein ganz normales Kind: neugierig, selbstbewusst
– und voller Liebe für ihre Oma, deren langsamen Verfall sie miterleben
muss.
Es sind in der jüngeren Vergangenheit mehrere Filme entstanden über
Menschen, die an Demenz oder Alzheimer leiden. Vom Verhältnis eines
Mädchens zu ihrem Großvater hat etwa 2014 Til Schweigers Erfolgsfilm „Honig
im Kopf“ mit seiner Tochter und Dieter Hallervorden in den Hauptrollen
erzählt; sehr viel weniger erfolgreich war dann 2019 Schweigers eigenes
Remake für den US-Markt.
Der deutsch-niederländische Jugendfilm „Romys Salon“ wirkt wie eine
realistische, mit Empathie statt mit kommerziellem Kalkül inszenierte
Antwort darauf. Zu befürchten steht, dass diesem Film kein so großer Erfolg
beschieden sein wird. Schon weil er konsequent aus der Perspektive eines
zehnjährigen Mädchens erzählt – da ist die Zielgruppe von vornherein
begrenzt. Dass es ein sehr guter, klug erzählter und mit sensibler Hand
inszenierter Film ist, wird daran kaum etwas ändern. Auch nicht, dass die
Deutsche Alzheimer Gesellschaft ihn lobt: „nicht nur für Kinder
ausgesprochen sehenswert“.
Regisseurin Mischa Kamp hat sich mit ähnlich authentisch die Lebenswelt von
Jugendlichen widerspiegelnden Filmen einen Namen gemacht. Ihr Debüt und
zugleich bisher größter Erfolg war „Ein Pferd für Winkie“ der 2007 auf d…
Berlinale Weltpremiere feierte. „Romys Salon“ nun basiert auf dem
gleichnamigen Jugendbuch der niederländischen Autorin Tamara Bos. Buch und
Film folgen ohne dramatische Überspitzung dem Verlauf einer
Demenzerkrankung – gesehen durch die Augen eines Scheidungskinds.
Romys Mutter arbeitet im Restaurant eines Autobahnrasthofs und ihr neuer
Freund will nicht, dass das kleine Mädchen dort den Betrieb stört. Also
wird sie abgegeben an Oma Stine, die einen Frisiersalon betreibt, zu dessen
Stammkundschaft vor allem Seniorinnen gehören. „Da ist es voller alter
Menschen“, hören wir eine pikierte Romy aus dem Off. Auch dass die Oma
streng ist und ein wenig ruppig, ärgert das Mädchen erst mal gewaltig.
Als Romy aber merkt, dass Stine Schwierigkeiten damit hat, die Kasse zu
bedienen, dass die Tageseinkünfte „verschwinden“, um sich später zwischen
den Polstern des Sofas wiederzufinden: Da ist die Enkelin dann stolz, dass
sie mithelfen kann. Und erst mal gefällt ihr, dass die Oma sich immer
weniger wie eine Erwachsene benimmt und sie mit Geschenken überhäuft oder
einen Wellnessaufenthalt in einem teuren Hotel bezahlt. Aber Romy merkt
allmählich auch, dass sie die Arbeit im Salon erledigt und wie eine
Erwachsene handeln muss – weil die Großmutter immer mehr zum Kind wird.
Bis auf ganz wenige Ausnahmen – wie reagieren die Eltern darauf, dass
Tochter und Großmutter zusammen auf Reisen gehen? – ist das aus Romys
Perspektive erzählt, Vita Heijmen ist in fast jeder Einstellung im Bild.
Sie spielt so nuanciert und lebendig, dass die Sicht durch Kinderaugen ein
erwachsenes Publikum nie unterfordert.
Und die Krankheit? Wird hier ungewöhnlich undramatisch präsentiert, in
ihren verschiedenen Stadien, komplex und ungeschönt. Und obwohl sich der
Film ja an ein junges Publikum richtet, darf die Oma auch mal so
verzweifelt sein, dass sie der Enkelin anvertraut, darüber nachzudenken,
sich umzubringen: „Spritze rein und das war’s!“
Beppie Melissen als Oma Stine liefert die intensive Charakterstudie einer
erkrankten Frau. Gerade weil das in keinem Moment erträglicher gemacht
wird, funktioniert der Film so gut: Er will ja vermitteln, wie sich das
anfühlt – das Erschrecken darüber, wie brutal die Krankheit immer mehr die
vertraute Persönlichkeit zerstört.
„Romys Salon“ ist nicht Leidensgeschichte, sondern zeigt auch, wie Romy
ihrer Großmutter zu Momenten des Glücks verhelfen kann: Die alte Frau kommt
eigentlich aus Dänemark und lebt nun immer mehr in ihren Erinnerungen; sie
spricht Dänisch und hat Heimweh. Daher die große Reise zum Finale,
dramaturgisch geschickt vorbereitet, sodass zuvor zufällig scheinende
Erzählfragmente – etwa das teure Smartphone, das Stine Romy schenkt, oder
deren Vertrautheit mit den Fernfahrern – auf einmal bedeutsam werden und
die Geschichte weiterbringen. Und das so raffiniert und schlüssig, wie es
in Jugendfilmen wirklich selten passiert.
31 Jan 2020
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Jugendfilm
Demenz
Altern
Rente
Fernsehfilm
Spielfilm
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