Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- EU-Hilfe für libysche Küstenwache: Eine heikle Bitte vom Türsteh…
> Libyen will von Europa aufgerüstet werden, Deutschland prüft. Was
> Flüchtlinge aufhalten soll, könnte Schleuser fördern.
Bild: Die libysche Küstenwache hilft Flüchtlingen – wenn man ihr glaubt
Tunis/Berlin taz | Deutschland prüft einen Forderungskatalog der libyschen
Einheitsregierung zur Aufrüstung der libyschen Küstenwache zwecks
Eindämmung der Fluchtbewegungen über das Mittelmeer Richtung Europa. Dies
bestätigt die Bundesregierung in ihren Antworten auf eine schriftliche
Frage und eine kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten der Linken, die
der taz vorliegen.
Während Libyens Premier Fayez Serraj für die mit ihm verbündeten Milizen um
Krankenwagen und medizinische Ausrüstung bittet, umfasst die
Forderungsliste für die Küstenwache, die am 22. Februar an die
EU-Kommission ging und jetzt von Deutschland, der EU und EU-Mitgliedstaaten
geprüft wird, auch bewaffnete Patrouillenboote – hochseetaugliche
Fregatten, die mit schweren Waffen gegen Schmuggler vorgehen könnten, auch
außerhalb der Küstengewässer. „Auf See variiert der Bedarf zwischen wenigen
80 bis 100 Meter langen Hochseepatrouillenbooten, einigen mittelgroßen
Patrouillenbooten, 30 bis 60 Meter lang, für die Hoheitsgewässer, und einer
Großzahl an 7 bis 18 bzw. 10 bis 15 Meter langen Festrumpfschlauchbooten“,
schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort an den Linken-Abgeordneten
Andrej Hunko.
Die Anfrage von Fayez Serraj stellt die EU vor diplomatische und legale
Probleme. Nach dem geltenden Libyen-Friedensabkommen, ausgehandelt vom
deutschen UN-Sondergesandten Martin Kobler, ist der Geschäftsmann aus
Tripolis formell nicht im Amt. Zwar haben UNO und EU Serraj und seinen
siebenköpfigen Präsidialrat offiziell anerkannt – das in Ostlibyen tagende,
im Mai 2014 gewählte Parlament verweigert ihm aber die Zustimmung und
bekämpft ihn mit Hilfe des zum Armeechef ernannten „Feldmarschalls“ Khalifa
Haftar. Libyen ist faktisch zerfallen.
Im ostlibyschen Cyreneika sehen viele in Serraj eine Marionette des Westens
und werfen ihm Kooperation mit Islamisten vor – in westlibyschen Städten,
auch in der Hauptstadt Tripolis, hingegen fürchtet man, dass mit Hafter
ehemalige Gaddafi-Anhänger an Einfluss gewinnen.
Inzwischen haben viele der seit 2014 von Tunis aus arbeitenden
Libyen-Diplomaten die Hoffnung auf eine Einigung aufgegeben. Hinter
verschlossenen Türen sprechen beide Seiten zwar über eine Veränderung des
Abkommens. „Das ist unmöglich, solange der Krieg weitergeht“, sagt aber der
ehemalige libysche Botschafter in Berlin, Aly Masednah-Kotany. „Zwar will
die Mehrheit der Libyer aufgrund der wirtschaftlichen Krise einen
Kompromiss, doch wir haben es längst mit einem Stellvertreterkrieg zu tun,
in dem mehrere Golfstaaten, die Türkei, Ägypten und europäische Länder
ihren Einfluss in dem ölreichen Nachkriegslibyen sichern wollen.“
## Waffennachschub über das Mittelmeer
Der Waffennachschub für Libyen kommt meist über das Mittelmeer. Das macht
europäische Ausstattungshilfe für die Küstenwache einer Kriegspartei
heikel. „Die Küstenwache ist keine einheitliche Organisation“, warnt der
Abgeordnete Hunko. „Frontex berichtete vor einem Jahr, dass das
Schleusergeschäft fest in den Händen von Polizei- und Militärangehörigen
ist. Es handelt sich bei der Truppe also eigentlich um eine kriminelle
Vereinigung, die keinesfalls durch EU-Millionen zum Türsteher der Festung
Europa ausgebaut werden darf.“
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Islamisten aus der Küstenstadt Misrata
im Westen Kämpfer und Waffen mit Fischerbooten nach Bengasi im Osten
schicken. [1][Dort kämpft Hafters Armee] gegen eine Allianz von religiösen
Milizen. Während Hafter von Ägypten und Russland beliefert wird, erhalten
die während des Aufstandes gegen Muammar al-Gaddafi entstandenen Milizen
Geld und Waffen aus der Türkei und Katar.
Den erstmaligen Beweis für ständigen Waffennachschub lieferte Anfang Mai
die „Rhein“, ein vor Libyen kreuzendes deutsches Marineschiff. Litauische
und deutsche Soldaten fanden auf dem mit Autos beladenen libyschen Frachter
„El Mokhtar“ Waffen und Munition. Das Schiff war nach Misrata unterwegs.
Die zwischen den Autos versteckten Waffen waren ein Verstoß gegen das
Waffenembargo der UNO. Bisher waren die im Rahmen der EU-Mission Sophia
operierenden EU-Schiffe vor der libyschen Küste gegen 108 Schmuggler aktiv
gewesen und hatten 443 Boote festgesetzt, nie jedoch Waffentransporte.
Über die Waffentransporte aus Misrata nach Bengasi will der Marineoffizier
al-Skir sich nicht äußern. Zu gefährlich wäre das für den Leiter der
libyschen Marine in der ostlibyschen Stadt. Denn ein Teil der über 200
Brigaden unterstützt die Einheitsregierung, andere wollen den Kampf
fortsetzen und nun auch Premier Serraj von der Marinebasis Abu Sitta in
Tripolis vertreiben, wo er seinen Sitz hat; für den in einer Woche
beginnenden Ramadan haben sie eine Offensive vorbereitet.
Den Europäern werfen libysche Marineoffiziere schon lange vor, dem
Schmuggel zuzuschauen. Einer sagt: „Von uns verlangt man, die überladenen
Schlauchboote aufzubringen, wobei wir nicht einmal wissen, wohin mit den
Menschen. Und wir müssen gleichzeitig zusehen, wie geschmuggeltes Öl nach
Malta, Waffen aus der Türkei und Drogen nach Italien gebracht werden. In
Sichtweite der Schiffe der EU-Mission.“
18 May 2017
## LINKS
[1] /Buergerkrieg-in-Libyen/!5392770
## AUTOREN
Mirco Keilberth
Dominic Johnson
## TAGS
Libyen
Schwerpunkt Flucht
Schleuser
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Seenotrettung
Milizen in Libyen
Libyen
Fluchtrouten
Schwerpunkt Flucht
Libyen
Italien
Frontex
Libyen
Migranten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Waffenstillstand für Libyen: Große Versprechen, kleine Aussichten
Die Chancen auf einen Erfolg der Pariser Vereinbarung zwischen zwei
Vertretern Ost- und Westlibyens sind schlecht. Die Macht haben andere.
Anzeige gegen Dresdner Seenotretter: Straftat Leben retten
„Mission Lifeline“ bereitet sich auf den Mittelmeer-Einsatz vor. Die
Staatsanwaltschaft ermittelt – wegen „versuchten Einschleusens von
Ausländern“.
Machtkampf in Libyen: Gaddafi-Sohn wieder frei
Der Sohn des ehemaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi wurde aus
der Haft entlassen. Zuvor hatte ein Parlament seine Begnadigung
beschlossen.
Sigmar Gabriel in Libyen: Mal nach dem Rechten schauen
Der Außenminister will Gespräche mit der international anerkannten
Übergangsregierung führen und sich über die Flüchtlingslage informieren.
Weiteres Flüchtlingsdrama im Mittelmeer: Mindestens 34 Tote vor Libyens Küste
Rund 200 Flüchtlinge sind bei einer Rettungsaktion ins Meer gestürzt. Ihr
Boot soll mit 700 Menschen völlig überladen gewesen sein.
Flucht über das Mittelmeer: 1000 Geflüchtete gerettet
Am Dienstag waren die Schiffe der Hilfsorganisationen im Dauereinsatz.
Geflüchtete schildern ein Bootsunglück, bei dem womöglich über 100 Menschen
ertranken.
Kämpfe im Süden Libyens: Islamisten richten Massaker an
Ein Massaker an Rekruten trägt den Ost-West-Konflikt auch in die südliche
Sahararegion. Das könnte den Druck auf die Migrationsrouten erhöhen.
Einsätze vor der libyschen Küste: Helfer vor Italiens Behörden
Ein Staatsanwalt wirft Seenotrettern vor, Helfershelfer von Schleppern zu
sein. Die Gruppen müssen sich einer Anhörung im Parlament stellen.
EU-Pläne für Abschiebungen nach Libyen: Flüchtlinge sollen zurück ins Chaos
Die EU will in Libyen „Legalitätsinseln“ schaffen, um dort Lager
einzurichten. Die Linke spricht von einer Aufkündigung des
Flüchtlingsrechts.
Flüchtlinge auf dem Mittelmeer: 97 Menschen vor Libyen vermisst
Vor Tripolis ist ein Boot mit über 100 Flüchtlingen gekentert. Nur 23
überlebten. Mindestens 590 Menschen starben seit Anfang des Jahres vor
Libyens Küste.
Menschenhandel in Libyen: „Ein Jammertal für Migranten“
In Niger und Libyen werden Migranten für 200 bis 500 Dollar verkauft. Die
Menschen werden oftmals monatelang als Arbeitssklaven festgehalten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.