# taz.de -- Pestizideinsatz in Brandenburg: Zuverlässig tödlich | |
> Helikopter versprühen massenhaft Insektengift zum Schutz von | |
> Eichenwäldern. Naturschützer und Forstbesitzer streiten über das | |
> Vorgehen. | |
Bild: Der Umgang mit den kleinen Tierchen ist unter anderem Anlass für den Str… | |
BERLIN taz | Von wegen, über allen Gipfeln ist Ruh’. Naturschützer und | |
Forstbesitzer streiten heftig über den richtigen Umgang mit Schadinsekten | |
im Wald. Noch bis Ende Mai fliegen in Brandenburg wieder die Helikopter, | |
die das Insektengift Dipel ES auf insgesamt 16 Eichenwälder sprühen, um den | |
Eichenprozessionsspinner zu vernichten. Dessen Raupen können Eichen kahl | |
fressen, wenn sie massenhaft auftreten; bei Menschen können sie schwere | |
Allergien auslösen. Andere Bundesländer warten derzeit noch ab, wie stark | |
sich die Schädlinge in ihren Forsten vermehren. | |
Nur wenige Insektengifte dürfen im Kronenbereich des Waldes eingesetzt – | |
also aus der Luft gesprüht – werden: Hauptsächlich sind das Dipel ES, das | |
auf dem Wirkstoff des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis beruht, sowie | |
Karate Forst Flüssig mit dem Wirkstoff Lambda-Cyhalothrin. Dieses Mittel | |
tötet schnell und zuverlässig alle Insekten im betroffenen Gebiet. | |
In Brandenburg gab es im vergangenen Jahr mächtig Ärger, weil die | |
zuständigen Behörden nach Ansicht der Waldbesitzer zu lange zögerten, bis | |
sie erlaubten, von der Kiefernbuschhornblattwespe Forste mit Karate Forst | |
Flüssig zu behandeln. Nun seien Tausende von Hektar Kiefernwald von | |
Kahlfraß betroffen und drohten einzugehen. Die Waldbesitzer kritisieren die | |
aus ihrer Sicht unangemessen hohe Bürokratie. „Auf den Äckern setzen | |
Landwirte ständig Pflanzenschutzmittel ein“, sagt Martin Hasselbach, | |
Geschäftsführer des Waldbesitzerverbandes Brandenburg, „im Forst hingegen | |
verwenden wir sie nur im Notfall.“ Im Falle eines erneuten starken Befalls | |
fordert er mehr Handlungsfreiheit. | |
Zugelassen sind Dipel ES und Karate Forst nur unter Auflagen. Lediglich die | |
Hälfte einer Waldfläche, die von Eichenprozessionsspinner oder | |
Kiefernbuschhornblattwespe befallen ist, darf behandelt werden. In | |
Naturschutzgebieten sind Insektizide ganz verboten. Diese Regeln sind viel | |
zu lasch, kritisieren dagegen Umweltverbände wie Nabu oder Greenpeace und | |
fordern Totalverbote. | |
„Der Wirkstoff Cyhalothrin gehört zu den gefährlichsten, die in der EU | |
zugelassen sind“, sagt Sandra Hieke, Waldexpertin von Greenpeace. „Er | |
gefährdet Wasserorganismen und Bienen, reichert sich in der Umwelt an und | |
greift in das Hormonsystem von Menschen und Tieren ein.“ Daher seien die | |
Vorschriften sinnvoll, sagt Ingo Brunk, Insektenforscher am Institut für | |
Forstzoologie der TU Dresden. Er ist Mitautor einer Studie über den Einsatz | |
von Dipel ES und Karate Forst Flüssig, die im Auftrag des Bundesumweltamts | |
erstellt und kürzlich veröffentlicht wurde. | |
Für Dipel ES, das selektiv nur gegen Falter und Schmetterlinge wirke, wird | |
darin ein großer Forschungsbedarf festgestellt: „Bis die Raupen sterben, | |
werden sie von Vögeln und Fledermäusen gefressen“, sagt Brunk. Noch sei | |
unklar, welche Wirkung diese Nahrung bei ihnen entfalten würde. Fledermäuse | |
sieht er vor allem durch das Gift Karate Forst ernsthaft gefährdet: Die | |
Flugsäuger müssen jede Nacht die Hälfte ihres Körpergewichts an Insekten | |
fressen. Sterben großflächig Insekten, hungern die Fledermäuse. | |
„Ein standortgerechter Wald braucht Schädlinge nicht zu fürchten“, sagt | |
Ingo Brunk von der TU Dresden. Eine Eiche könne mehrere hundert Jahre alt | |
werden, „irgendein Ast ist immer tot“, sagt Brunk. Aus | |
naturschutzfachlicher Sicht sei das gar nicht schlecht, weil totes Holz | |
wertvoller Lebensraum für zahlreiche Tiere sei. Mit den Insektengiften | |
würden Monokulturen geschützt, die den örtlichen Verhältnissen von Boden, | |
Klima und Wasserhaushalt nicht gewachsen seien. | |
17 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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