# taz.de -- Terrorverdacht gegen Bundeswehroffizier: Im Visier | |
> Franco A. und sein Netzwerk in der Bundeswehr führten Listen mit | |
> potenziellen Opfern. Die fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen. | |
Bild: Dunkle Ecken soll die Betroffene Anne Helm meiden, empfiehlt das LKA Berl… | |
BERLIN taz | Am 28. April klingelt das iPhone von Anne Helm. Am anderen | |
Ende der Leitung spricht eine Frau vom Landeskriminalamt Berlin. Es ist | |
Freitag, 15.06 Uhr, Helm sitzt in einer S-Bahn zwischen Leipzig und | |
Zwickau. Abends soll sie in Kirchberg, Sachsen, einen Vortrag halten, über | |
die Neue Rechte, über Demokratie und Toleranz. | |
Zum Schluss des Telefonats weiß Anne Helm, 30, Parlamentarierin der | |
Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, dass ihr Name in irgendwelchen | |
Unterlagen auftaucht – im Zusammenhang mit Ermittlungen bei der Bundeswehr. | |
Sie müsse sich aber keine Sorgen machen. Dann legt sie auf. | |
Am anschließenden Wochenende kommen die Sorgen doch. Anne Helm deaktiviert | |
die Push-Mitteilungen auf ihrem Handy und verordnet sich Ruhe, wie sie der | |
taz erzählt. | |
Franco A. ist einer von denen, dessen Nachname die Republik nur als | |
Buchstaben kennt: A. ist Beschuldigter in einem der wohl spektakulärsten | |
Ermittlungsverfahren der letzten Jahre. Der Verdacht gegen den | |
Bundeswehrsoldaten lautet, dass er als Teil eines rechtsterroristischen | |
Netzwerks und mit Munition des deutschen Heeres möglicherweise einen | |
ehemaligen Bundespräsidenten, einen aktuellen Bundesminister oder eine | |
Parlamentarierin erschießen wollte. Also konkret: Anne Helm. Eine | |
überzeugte Antifaschistin. | |
## Nicht nur prominente Ziele | |
Zwei Wochen ist es nun her, dass Helm den Anruf vom LKA Berlin erhielt. | |
Seitdem kam heraus, dass Franco A. nicht allein war, sondern mindestens | |
zwei Mitstreiter hatte. Viele Fragen wurden im Skandal um ein mögliches | |
rechtsextremes Terrornetzwerk in der Bundeswehr gestellt: Etwa, ob | |
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit ihrer harschen Kritik den | |
Zusammenhalt in der Truppe schwächt. Und wie es sein kann, dass bei der | |
Bundeswehr niemand merkt, wenn 1.000 Schuss Munition verschwinden. Eine | |
Frage jedoch fällt, mal wieder, etwas stiller aus: Was ist eigentlich mit | |
den Betroffenen, die die Täter offensichtlich im Visier hatten? | |
„Todesliste.“ „Feindesliste.“ „Hassliste.“ Es gibt viele reißerisc… | |
für die handgeschriebenen Notizen, die die Ermittler in einem | |
Taschenkalender aus dem Jahr 2015 bei Franco A. fanden. Oder für die | |
konkrete Namensliste, die bei dem inzwischen ebenfalls festgenommenen | |
Soldaten Maximilian T. aus dem Jägerbataillon 291 im französischen Illkirch | |
beschlagnahmt wurde. Auf diesen von den Beschuldigten angefertigten Listen | |
fanden sich neben den Namen prominenter Politiker wie Joachim Gauck oder | |
Heiko Maas auch die Namen von Aktivisten und antirassistischen | |
Organisationen, die nicht von Dienstwegen her über Personenschutz verfügen. | |
Es sind Namen wie der von Anne Helm. | |
Auch die renommierte und unter Rechtsextremisten verhasste Amadeu Antonio | |
Stiftung ist darunter. „Die Unbedarftheit, mit der uns die Behörden | |
begegnen“, sagt deren Vorsitzende Anetta Kahane, „ist extraordinär.“ Als | |
Kahane an diesem Donnerstag aus dem Sicherheitsgespräch mit dem Berliner | |
LKA kommt, ist sie aufgelöst vor Wut. Der Umgang der Polizei mit ihr als | |
Betroffener, sagt sie, sei „inkompetent, undurchsichtig und fachlich | |
blamabel.“ | |
Damit ist sie nicht allein. Da ist in Nordrhein-Westfalen Aiman Mazyek, | |
Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, der darauf verweist, dass einige | |
seiner Mitarbeiter inzwischen nicht mehr zur Arbeit kämen. „Nach dem | |
sogenannten Sicherheitsgespräch mit dem Staatsschutz haben wir mehr Furcht | |
als zuvor“, sagt er. Alles, was die Polizei im Wesentlichen gesagt habe, | |
sei, dass es keine akute Bedrohung gebe. | |
Da ist Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit, einer Berliner | |
Aktivistengruppe. „Es scheint so, als müsste der politische Mord erst nach | |
Deutschland zurückkehren, damit die Behörden aus ihrem Dornröschenschlaf | |
erwachen“, sagt Ruch. Und sein Mitstreiter Stefan Pelzer, selbst nicht auf | |
der Liste, ergänzt: „Wir erhalten permanent Drohungen von Rechtsextremen. | |
Und wir bemühen uns seit zwei Jahren darum, dass die Daten einiger unserer | |
besonders bedrohten Mitarbeiter nicht für jeden im Melderegister einsehbar | |
sind. Aber alles, was uns selbst jetzt von der Polizei gesagt wird, ist, | |
dass wir nicht bedroht sind.“ | |
## Abstrakt oder konkret | |
Und da ist eben Anne Helm. Sie sieht eine neue Qualität: „Hier ging es ja | |
eben nicht um eine Drohung. Hier ging es um klandestine Absichten, die in | |
Morden hätten enden können. Die wollten uns keine Angst machen, die wollten | |
etwas anderes.“ Helm wünscht sich ganz konkret vom Präsidenten des Berliner | |
Abgeordnetenhauses, dass ihr Parlamentsbüro besser geschützt wird. Doch so | |
lange das Berliner LKA nicht eine entsprechende Gefährdungseinschätzung | |
liefere, seien dem Präsidenten dafür die Hände gebunden. | |
Denn genau darum geht es: Wann eigentlich ist jemand abstrakt oder konkret | |
gefährdet, wie es in der Polizeisprache heißt? Geht es nach den | |
Polizeibehörden, so gilt das offenbar für niemanden derjenigen, die auf den | |
nun entdeckten Listen der mutmaßlichen Terrorgruppe auftauchten. Die Logik | |
der Beamten: Erstens ist noch zu klären, wie konkret die mutmaßlichen | |
Terroristen diesen Leuten überhaupt nach dem Leben trachteten. Und zweitens | |
sind die Verdächtigen festgenommen, die Gefahr also gebannt. | |
Doch das wurde den Betroffenen schon gesagt, als lediglich Franco A. | |
verhaftet war. Kurz darauf wurden weitere Verdächtige festgenommen. Wer | |
will wissen, dass das wirklich alles war? | |
Die Sicht der Betroffenen ist eine andere: Sie alle haben jahrelange | |
Erfahrungen mit abstrakten und konkreten Bedrohungen. Erst waren es | |
Hetzkommentare im Netz, dann kamen die Hassbriefe ins Büro. 2016 stürmte | |
eine Gruppe der Identitären Bewegung dann etwa die Büroräume der Amadeu | |
Antonio Stiftung – und nun plötzlich finden sich diese Menschen auf | |
Terrorlisten wieder. „Hier hat sich nicht unsere subjektive Gefühlslage | |
verändert“, sagt Anetta Kahane, „hier haben wir es mit einer objektiv | |
veränderten Gefährdungslage zu tun. Wer uns vor diesem Hintergrund erzählen | |
will, wir hätten nichts zu befürchten, hat einfach keine Ahnung.“ | |
## Dunkle Ecken meiden? | |
Kahane sagt, sie wisse noch immer nicht, was es mit einer Skizze von der | |
Geschäftsstelle ihrer Stiftung auf sich habe, die bei den Verdächtigen | |
gefunden worden sein soll. Waren darauf nur Straßenkreuzungen notiert – | |
oder auch Details aus dem Inneren ihrer Räumlichkeiten? | |
Und so hat sich nun eine Situation ergeben, die es nach der Aufarbeitung | |
des Versagens im NSU eigentlich nicht mehr geben sollte: dass föderale | |
Strukturen eine rechtzeitige Einbeziehung der Betroffenenperspektiven | |
verhindern. Die Bundesanwaltschaft führt die Ermittlungen – und die | |
Landespolizeien vor Ort sollen Gefährdungsanalysen für Betroffene | |
vornehmen. Bei Anne Helm sei es am Ende so gelaufen, sagt sie: Ein Beamter | |
habe ihr empfohlen, nachts in dunklen Ecken etwas achtsamer zu sein. Helm | |
sagt dazu: „Wenn man Menschen empfiehlt, sie sollen sich in Folge von | |
Drohungen aus dem Fokus der Öffentlichkeit zurückziehen, dann war der | |
rechte Terror erfolgreich.“ | |
Die Berliner Polizei will die Vorwürfe nicht kommentieren. Ein Sprecher | |
sagt, die Fragen sollten an die Bundesanwaltschaft gerichtet werden. Die | |
Bundesanwaltschaft sagt, dafür sei sie nicht zuständig. | |
13 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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