# taz.de -- Marine Le Pen auf Wahlkampftour: Identität, Identität, Identität | |
> Die Rechtsextreme bleibt sich treu: Sie verspricht den Austritt aus Euro | |
> und EU. Ihr Publikum kommt aber nur beim Thema Einwanderung in Wallung. | |
Bild: Marine Le Pen, Kandidatin des Front National für das Amt der Staatspräs… | |
PARIS taz | Keine Gegendemonstrantin hat sich bis hierher verirrt, | |
neugierige Normalbürger, die sich einfach mal vor der Stichwahl um die | |
französische Präsidentschaft informieren möchten, sieht man ebenfalls | |
nicht. Den Ort, den der französische Front National (FN) sich Anfang dieser | |
Woche für seine letzte große Kundgebung vor der Stichwahl vom Sonntag | |
ausgesucht hat, liegt am Arm der Welt. Genauer gesagt, am nördlichen Rand | |
des Ballungsraums Paris, in der Nähe des Flughafens Roissy-Charles de | |
Gaulle, 25 Kilometer entfernt vom Pariser Stadtzentrum. | |
Wie an den Auto- und Buskennzeichnen zu erkennen ist, sind die Anwesenden | |
aus ganz Frankreich angereist, kaum jedoch aus dem Raum Paris, abgesehen | |
vom westlich von Paris gelegenen Verwaltungsbezirk Les Yvelines – dem | |
reicheren Teil des Großraums um die französische Hauptstadt. | |
Die Leute aus der Region Paris, die hierherkamen, zählen offensichtlich | |
nicht zum ärmeren Teil der Bevölkerung, obwohl die Kandidatin des FN – | |
Marine Le Pen – überdurchschnittlich in den sozialen Unterklassen und weit | |
weniger in den Oberschichten mit höherem Bildungsstand gewählt wird. Unter | |
den aufgereihten Bussen finden sich aber auch Kennzeichnen aus | |
Nordfrankreich, etwa aus Lille, und aus Orten bis nach Nizza am Mittelmeer | |
herunter. | |
Der Front National hat also alles, was aktiv und mobil ist, herangekarrt. | |
26.000 Quadratmeter fasst die Halle, die er für sein Großereignis | |
angemietet hat, und ausweislich der Betreibergesellschaft des Messegeländes | |
bietet sie Platz für 25.000 Personen, Sitz- und Stehplätze | |
zusammengerechnet. Doch – Überraschung: Weite Teile der großen Halle sind, | |
mehr oder weniger notdürftig, mit Vorhängen verdeckt. Diese sollen die | |
vielen langen, leeren Sitzreihen verdecken. | |
Auch der französischen Presse fällt das auf, eine Journalistin von Le Monde | |
wird später von 6.000 Anwesenden sprechen, während der Front National | |
behauptet, es seien über 20.000 gewesen. Dass die rechtsextreme Partei zwar | |
mittlerweile eine breite Wählerschaft aufweist, ihr Organisationsgrad und | |
Mitgliederstand – geschätzt auf real rund 50.000 – weit dahinter | |
zurückhinkt, ist den Expertinnen kein Geheimnis. | |
## Es geht um Bilder | |
Vor Marine Le Pen spricht der rechtsbürgerliche ehemalige | |
Präsidentschaftskandidat Nicolas Dupont-Aignan. Er erhielt im ersten | |
Wahlgang 4,7 Prozent und unterzeichnete am Wochenende danach einen | |
„Koalitionsvertrag“ mit der Kandidatin des Front National. Dupont-Aignan | |
spricht nur kurz und wirkt dabei aalglatt. | |
Aber auch Marine Le Pen selbst wird die Sache abkürzen: Die ganze | |
Veranstaltung, Ankündigung des Redners und der Rednerin und ein bisschen | |
Stimmungsmache inbegriffen, wird nach anderthalb Stunden vorbei sein. Sie | |
sollte vor allem Bilder für das Fernsehen produzieren. Die Ausführungen zu | |
Sachthemen, wie der Europapolitik – der FN tritt für einen Austritt aus | |
Euro und EU aus, erklärt jedoch im Vertrag mit Dupont-Aignan, ein solcher | |
sei „nicht die Voraussetzung für jegliche Wirtschaftspolitik“, was eine | |
vorübergehende Akzeptanz dieses Rahmens unterstellt – werden eher mit | |
Gleichmut aufgenommen. In Schwung kommt der Saal bei den Attacken auf | |
Emmanuel Macron, den Marine Le Pen als „Banker“, „Vertreter der Finanzwel… | |
und „Globalisten“ attackiert. | |
Richtig zum Kochen bringt das FN-Publikum aber nur das Thema Einwanderung. | |
„On est chez nous, on est chez nous!“, wird dann skandiert – was so viel | |
bedeutet wie „Wir sind hier zu Hause“, an diesem Ort aber impliziert: Wir | |
sind die Herren im Haus, nicht die Einwanderer. | |
Vor allem eines verspricht Marine Le Pen: Identität, Identität und nochmals | |
Identität. In langatmigen Passagen beschwört sie die Landschaften | |
Frankreichs, seine Küsten vom Ärmelkanal über den Atlantik bis zum | |
Mittelmeer, seine Mittelgebirge, seine Bergketten. Am Tag darauf ein | |
Anhaltspunkt für ironische Kommentare, denn es stellt sich heraus, dass | |
diese Stellen im Redetext geklaut wurden: Sie waren fast wörtlich aus einer | |
Ansprache des konservativen Kandidaten François Fillon von Mitte April | |
abgekupfert. Viele Zeitungen schreiben daraufhin von „Plagiat“. | |
## Angeblich volle Absicht | |
Marine Le Pen lässt sich davon nichts anhaben und erklärt in einer Replik: | |
Nein nein, das sei volle Absicht gewesen. Hätte sie nicht die Medien auf | |
diese Fährte gelockt, dann hätten sie auch nicht von diesem Teil ihrer Rede | |
gesprochen. So aber sei diese Rede „Hunderte von Malen ausgestrahlt und | |
kommentiert worden“. Sie wisse schließlich, wie der Medienbetrieb | |
funktioniere. | |
Ob es ihr schadet oder nutzt, muss vorläufig dahingestellt bleiben. In den | |
Tagen vor dem Meeting in Villepinte kopierte Marine Le Pen oft auch, | |
ungeniert, den Linkskandidaten Jean-Luc Mélenchon, dem der erste Wahlgang | |
einen vierten Platz bescherte. Le Pen bezeichnete sich auch selbst als | |
„insoumise“ (unbeusam), eine Anspielung auf den Namen von Mélenchons | |
Wahlplattform, „La France insoumise“. | |
Und bei einem Besuch am vorigen Sonntag in Gardanne – wo eine | |
Aluminiumfabrik riesige Umweltprobleme durch die Einleitung giftigen | |
Klärschlamms ins Mittelmeer verursacht – sprach Le Pen von der | |
„planification écologique“. Eine solche „ökologische Wirtschaftsplanung… | |
stand im Zentrum von Mélenchons Wahlprogramm. Aus Sicht von Le Pen, die den | |
Slogan nun taktisch aufgriff, handelt es sich allerdings nur um einen | |
Unteraspekt im Agieren eines wirtschaftlich aktiven, „starken Staates“. | |
## Missionsgebiet für den FN | |
In den öffentlichen Verkehrsmitteln zurück nach Paris finden sich fast | |
keine Anhänger von Marine Le Pen. Doch, dort: eine Gruppe von jungen Leuten | |
im Sakko, ein halbes Dutzend Männer und eine Frau, die aus der | |
FN-Veranstaltung kommen. Gestatten, Jean-François, Ségolène. Alle sind | |
zwischen 20 und 25, Studierende der Elitehochschule Sciences Po Paris. | |
Einer von ihnen darf nun Le Pens Wahlkampf im südwestfranzösischen | |
Département Ariège leiten, das vom FN als „Missionsgebiet“ betrachtet wir… | |
weil es zu 70 Prozent links und nur wenig Le Pen wählt. | |
Eine noch schwach strukturierte Partei wie der FN bietet Aufstiegschancen. | |
Auf den ersten Blick sehen die jungen Leute aus und hören sich an, als | |
könnten sie auch bei jeder x-beliebigen anderen Partei andocken, | |
Hauptsache, es bieten sich Karriereaussichten. | |
Doch der Eindruck täuscht. Auf der 45-minütigen Fahrt bis Paris-Zentrum | |
gibt es nur zwei inhaltliche Themen, die zur Sprache kommen: Einwanderung, | |
danach lange nichts, und dann fällt noch jemandem das französische | |
Fischereiproblem ein. Die Fahrt durch die nördlichen Vororte – den „Schock | |
der Rückkehr“ nennt das einer, der Rückkehr aus der wohligen Gemeinschaft | |
in der Halle – betrachten die junge Leute als Fahrt durch Feindesland. | |
4 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Bernard Schmid | |
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