| # taz.de -- Landesbühne wird „gemeinverständlich“: Ein Theater mit Potenz… | |
| > In der Peripherie so Theater machen wie in der Stadt: Das war Anspruch | |
| > der Landesbühne Niedersachsen Nord. Doch der neue Intendant will schlicht | |
| > mehr Zuschauer | |
| Bild: Maximal auf Pointe inszeniert – und voll erfolgreich: „Die Feuerzange… | |
| Es war einmal ein kleines Großstadttheater: Die Landesbühne Niedersachsen | |
| Nord in Wilhelmshaven machte einiges los, Hausautoren lieferten Texte, | |
| Dramaturgen buchten politisch aktuelle Stoffe und die Inszenierungsansätze | |
| so einiger Regietalente bildeten die künstlerische Vielfalt der | |
| deutschsprachigen Bühnenkunst ab. Das Spielplankonzept des langjährigen | |
| Intendanten Gerhard Hess: in Ostfriesland und den angrenzenden Gemeinden | |
| inhaltlich und ästhetisch kein anderes Theater machen, als man es etwa in | |
| Berlin tun würde. Zwölf Städte folgten diesem Ansatz, schlossen sich zu | |
| einem Zweckverbund zusammen, um das fahrende Volk der Landesbühne | |
| regelmäßig zu Gast zu haben. Sie behielten diese Tradition auch bei, als | |
| zum Ende der Spielzeit 2012/13 Hess vorzeitig abdankte, und Olaf Strieb | |
| Intendant wurde. | |
| ## Geld zurück nach Werwolf-Stück | |
| Nehmen wir Emden: Dorthin geladen war im Oktober vergangenen Jahres das | |
| Horror-, Grusel-, Vampir- und Liebesfilmklischees parodierende Musical | |
| „Fletsch – Saturday bite fever“. Darin wird ein verklemmter Stolperjunge | |
| erst von der angeschmachteten Blondine wahrgenommen, als er zum Werwolf | |
| mutiert. Frauen und ihre Lust auf das Tier im Manne also: ein lustiges | |
| Thema, nun inszeniert von Carola Unser. Glaubt man der örtlichen Presse, | |
| kamen etwa 60 Besucher zur Vorstellung – nach der Pause sollen noch elf im | |
| Parkett gesessen haben. Der Mehrheit scheint es also nicht gefallen zu | |
| haben, zu schräg, zu trashig, so lautete der veröffentlichte Tenor der | |
| Geflüchteten. | |
| Sowas kommt vor. Kunst darf und kann scheitern, nicht jede Darbietung muss | |
| von jedem goutiert werden. Intendant Strieb scheint aber derart erschrocken | |
| gewesen zu sein, dass er in einer bundesweit wohl einmaligen Art reagierte: | |
| Er versprach den enttäuschten Zuschauern die Erstattung des | |
| Eintrittspreises. Also erschienen „Fletsch“-Geschädigte im Emder Kulturbü… | |
| – und erhielten ihr Geld zurück. | |
| Damit nicht genug: Obwohl eine Produktion nach der Generalprobe als | |
| abgenommen gilt und nach der Premiere den Urheberrechtsschutz eines | |
| Kunstwerks genießt, enteignete Strieb die Inszenierung zudem seiner | |
| Regisseurin, entfernte ihren Namen aus dem Programmheft, übernahm selbst | |
| die „künstlerische Gesamtverantwortung“ und arbeitete den Abend nach seinem | |
| Gusto um. Team- und vertrauensbildende Maßnahmen eines Theaterchefs sehen | |
| anders aus. Während eines eigens anberaumten Gesprächs über Gründe und | |
| Folgen seines Tuns verweigerte Strieb dazu jede Aussage. Aber immerhin ging | |
| „Fletsch“ in der Intendanten-Version weiter über die Bühne. | |
| Personell hat sich unter Strieb, dessen Vertrag im Oktober bis zum Ende der | |
| Spielzeit 2022/23 verlängert wurde, einiges getan: Von den 17 Mitgliedern, | |
| die das Schauspielensemble zu seinem Amtsantritt 2013 hatte, sind heute | |
| noch vier in Wilhelmshaven fest engagiert. Der leitende Dramaturg und die | |
| für avancierte Theaterformate verantwortliche Chefin der Kinder- und | |
| Jugendtheatersparte, „Fletsch“-Regisseurin Unser, sind gegangen, | |
| inzwischsen ist der dritte Pressesprecher ist im Amt, und Oberspielleiterin | |
| Eva Lange verlässt jetzt das Haus – nach elf Jahren und 25 Inszenierungen. | |
| Zusammen mit Carola Unser übernimmt sie 2018 die Intendanz am Hessischen | |
| Landestheater in Marburg. Langes Job in Wilhelmshaven wiederum übernimmt | |
| Sascha Bunge, bis 2014 Oberspielleiter des Theaters an der Parkaue in | |
| Berlin. [1][Laut eigener Website] ist er häufig als Regisseur für | |
| Prosaadaptionen tätig, in Wilhelmshaven nun wird er als Brecht-affin | |
| angekündigt. | |
| ## Gute Zahlen, aber sonst? | |
| Warum die Landesbühne Nord derzeit als erfolgreich gilt, ist in den | |
| Aushangkästen des Hauses zu sehen: „Ausverkauft“- und | |
| „Zusatzvorstellung“-Aufkleber prangen dort. Die Zahlen stimmen ja auch: | |
| Deutlich mehr als 100.000 Besucher hat die Mission Strieb pro Saison | |
| verbucht. Gab es noch andere Gründe für die Vertragsverlängerung? Danach | |
| gefragt, lässt der Zweckverbandsvorsitzende – und Wilhelmshavener | |
| Bürgermeister – Andreas Wagners seine Sprecherin lediglich eine | |
| Pressemitteilung weiterleiten, in der steht: „Olaf Strieb und unsere | |
| Landesbühne – das passt einfach!“ Warum genau es „passt“, teilt man au… | |
| auf Nachfrage nicht mit. | |
| Vielleicht reicht es den Zuständigen, dass Strieb stets beteuert, gierig | |
| auf immer noch mehr Zuschauer zu sein? Inhaltlich-künstlerische Akzente | |
| sind nicht so sein Ding, Striebs Konzept ist das eines großen | |
| Kleinstadttheaters: Im Spielplan finden sich Stücke zum dies- und | |
| nächstjährigen Abiturthema, ein, zwei zeitlose Klassiker, vier- bis fünfmal | |
| Leichtverdauliches – Musical, Operette, Liederabend, Komödie –, ein Stück | |
| für Menschen ab 15 Jahren. | |
| Dazu drei Positionen für Striebs Antipodin, Eva Lange: Die | |
| Oberspielleiterin ist für die zeitgenössischen Arbeiten und politischen | |
| Themen zuständig. „Ich mache das, was spannend, sperrig, schwierig ist, was | |
| wehtun, einem zu nahe kommen kann“, sagt Lange selbst. In dieser Hinsicht | |
| könnte das Angebot der Landesbühne umfangreicher sein. Auch Erst- und | |
| Uraufführungen sollten wieder stattfinden wie zu Zeiten von Hess, als | |
| dessen Musterschülerin Lange gilt. „Man sollte das Publikum im Nordwesten | |
| nicht unterschätzen“, sagt sie. „Viele wollen, dass man ihnen auch was | |
| zumutet.“ | |
| Sie ist dem Haus dankbar für die Möglichkeiten, sich selbst künstlerisch zu | |
| profilieren. Hess habe sie immer provoziert, weniger brav zu sein, unter | |
| Strieb sei sie nun noch entschiedener geworden, auch kratzbürstiger, sagt | |
| Lange, „eine anstrengende Vertreterin eines Theaters der Gefährdung“. Zu | |
| ihrem Abschied schenkte sie dem Ensemble mit Dea Lohers „Unschuld“ noch mal | |
| herausfordernd differenzierende Spielmöglichkeiten – und dem Publikum einen | |
| Lange-typischen Abend: leidenschaftlich abstrahiert, liebevoll ernst und | |
| immer wieder ansatzlos komisch. | |
| Striebs Ansatz ist weniger komplex. Obwohl die Wirklichkeit „meistens | |
| gemein und eher nicht verständlich“ sei, wie er in der Saisonvorschau | |
| schreibt, sei es des Theaters Aufgabe, sie „gemeinverständlich abzubilden“. | |
| Dass Theater machen und ansehen auch eine gemeinsame Reise mit offenem Ziel | |
| sein könnte, lässt sich über Striebs Arbeiten kaum sagen – die sind | |
| eindeutig. In der laufenden Saison hat er die „Feuerzangenbowle“ gekonnt | |
| auf Pointe inszeniert. Handlung, Pennäler-Streiche und Pauker-Karikaturen | |
| werden prima verständlich dargeboten – eine Art Sprach- und Schulmuseum. | |
| Dass eine autoritär strukturierte Gesellschaft nicht nur Spaß bereitet, | |
| dass erbarmungslose Gruppenstrukturen nicht nur lachen machen, dass die | |
| Geschichte 1944 zum Nazidurchhaltefilm wurde: Statt irgendwo kritisch | |
| einzuhaken, wird alles nostalgisch gesehen. Das ist jetzt so los in | |
| Wilhelmshaven. Unter anderem. | |
| 5 May 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.saschabunge.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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