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# taz.de -- Reformations-Musical in Niedersachsen: Luther-Show als Beruhigungsm…
> Die Landesbühne tourt mit einer abgespeckten Fassung des Eisenacher
> Oratoriums „Luther! Rebell wider Willen“ durch den Nordwesten – ganz oh…
> protestantische Selbstkritik.
Bild: Auf Altarräume herunter gerechnet: Luther-Spektakelchen auf der Landesb�…
Die Horizonte sind fern, die Naturräume offen im einst von Eiswüsten
plattgedrückten Norden Deutschlands – scheinbar ideal zum Gedeihen der
ausgenüchterten Geisteslandschaften des Protestantismus. Die fünf
Bundesländer mit Küstenanschluss sind säkulare Horte des Luthertums. Und
zelebrieren dieses Jahr sachlich trunken den 500. Geburtstag der
Reformation.
Nur aus dem Westfälischen wächst ein kleines katholisches Furunkel in die
evangelische Glückseligkeit empor. Der nordwestliche Außenposten wurde
gleich neben der niederländischen, kurz vor der ostfriesischen Grenze
errichtet: Papenburg ist dort einsam letzte Bastion der Papstanhänger.
Einst ragte nur eine spärliche Herberge im Burgdesign aus dem Moor und
diente den von Münster ins Friesland reisenden Bischöfen als Nachtlager.
Aber 750 Jahre später sind die höchst infektiösen Folgen noch erlebbar.
Heute reckt sich Papenburg in geradezu steriler Sauberkeit rechts und links
an einem Torfkanal entlang – von den 37.000 Einwohnern sind etwa 60 Prozent
Katholiken, sechs Sakralbauten stehen ihrem zinnobernden Ritual-Theater zur
Verfügung.
Nur knapp 6.000 Papenburger zählt die evangelisch-lutherische Gemeinde, die
zwei Kirchen und Kapellen bespielt. Eine echte Minderheit. Mutig hinein in
diesen Außenposten der Antireformation wagt sich die Wilhelmshavener
Landesbühne Nord mit dem ersten Gastspiel ihrer Gotteshäusertour. Gegeben
wird das pro-reformatorische Oratorium „Luther! Rebell wider Willen“.
In der allem Prunk abholden, neugotisch kühlen Nikolaikirche haben sich 100
Andächtige versammelt. „Die Eröffnung des Papenburger Lutherjahres“ soll
gefeiert werden, verkündet der Pastor. Und meint damit explizit „das
Pathos, sich frei zu entscheiden“.
Eine kleine Einstimmung zur folgenden Huldigung ist vor dem Kirchentore zu
sehen. In einem Schaukasten wird in putziger Anmut mit Luther-Figuren aus
Playmobilplastik das Leben des kühnen 95-Thesen-Ritters und Spalters der
abendländischen Christenheit als 3-D-Stationendrama-Comic gezeigt.
Viel mehr erzählt die Aufführung erstaunlicherweise auch nicht. Sie ist als
biografische Anekdotensammlung angelegt, die der alte Luther und sein
Kumpel Lucas Cranach rückblickend assoziieren. Mit dem Malerstar als
Conférencier der reformatorischen Turbulenzen.
## Im Donnerblech-Gewitter
Zu Beginn winken Darsteller in Bergarbeiterkostümen mit einem Hammer – als
Verweis auf die volksnah prolligen Wurzeln des Kirchenreformers. Der
Legende gemäß wird er sogleich von einem Donnerblech-Gewitter mit
schwerstem Lichtblitzbombardement heimgesucht. Dankbar überlebend
beschließt er, zukünftig nicht als Student der Juristerei für Gerechtigkeit
zu kämpfen, sondern als Mönch um seinen Glauben zu ringen. Sein Vater
kommentiert: „Dir hat der Teufel ins Gehirn gekackt.“
Spotlights fallen fortan auf den Bruder Martin im Erfurter
Augustinerkloster, den aufmüpfigen Doktor Luther zu Wittenberge und
schließlich den untergetauchten Übersetzer der Bibel, die er für
authentische Offenbarungsworte Gottes hält.
Addiert wird dem Schaukastenwissen die Hinwendung zur Fettleibigkeit – die
ehemalige Nonne Katharina von Bora legt Luther im Wortsinne flach, es
folgen Hochzeit und sein Praxis gewordenes Bekenntnis zu Schmausen, Saufen,
Sex. Im gestischen Hin und Her von ängstlicher Einkehr und expressiver
Empörung soll Luther als Zerrissener kenntlich werden, der am Ausgang des
Mittelalters mit ermutigend aufklärerischen Thesen eine Zeitenwende
stimuliert, für deren Folgen er nicht einstehen will.
So überzeugt der Rebell gegen den hier vom personifizierten Teufel
praktizierten Ablasshandel der geldgierigen Kurie kämpft und wider die
„Hölle Rom“ wettert, wo Wasser gepredigt und Wein gesoffen werde, so sehr
ihn der Ausschluss der Gläubigen von der Lektüre fremdsprachiger heiliger
Schriften und Liturgien in Rage bringt, so sehr wehrt er sich, dass mit der
Reformation der Startschuss gegeben ist zum Aufstand gegen das Konglomerat
aus geistlicher und ständisch geprägter weltlicher Macht.
Gegen die positioniert sich der fiktive Schriftgießer Stephan, eine Art
Thomas Müntzer. Er versammelt in Kampfmontur und mit
Heavy-Metal-Shouter-Getue ein wildes Revoluzzerteam mit schwarzen Fahnen
hinter sich. Während Luther auf der Kanzel behauptet: „Wer sich der
Obrigkeit widersetzt, widersetzt sich Gott.“
## Feste Burg statt Judenhass
Das ist empörend genug. Um Luther nicht weiter zu diskreditieren,
verzichtet das Stück darauf, auch noch seine Ausfälle gegen Juden,
Wiedertäufer und so weiter zu fokussieren, sondern feiert „Eine feste Burg
ist unser Gott“.
In diesen chorischen Beiträgen des bäuerlichen Volkes funktioniert die
Nikolaikirche mit reichlich Nachhall als aparter Klangraum, bei den Arien
und Liedern, wo Wortverständlichkeit hilfreich wäre, verhindert die dumpfe
Akustik das Verständnis. Was schade ist, da sich Librettistin Tatjana Rese
reimlustig als pointierte Versschmiedkünstlerin präsentiert. Sie ist auch
Regisseurin dieser Aufführung, die eine auf Altarräume heruntergerechnete
Spar-Version der Uraufführung am Landestheater Eisenach ist. Dort kam das
Werk mithilfe der Bundeskulturstiftung 2013 heraus und ist immer noch im
Repertoire – mit großem Orchester, dem Ballettensemble, üppigem Bühnenbild
und Videoprojektionen. Das alles fehlt nun.
Den Hauptdarsteller Matthias Jahrmärker hat die Landesbühne allerdings
gleich mitengagiert und den Komponisten Erich Radke beauftragt, die
Partitur für zwei Keyboards und je einen Bläser, Gitarristen, Bassisten und
Schlagzeuger umzuarrangieren. Versteckt hinter Spielpodien muss das Sextett
von einem Musikzitat zum nächsten hetzen, ohne eine einzige
ohrwurmtaugliche Melodie zu finden.
Ob Popfideles oder Nachbildungen der Sakralmusik: Mit Musical-Klangkleister
wird alles sterilisiert und derart hölzern gerockt, dass es eben gar nicht
rockt. Wobei dem Teufel mit jazzig grundiertem Gospel noch die besten
Passagen spendiert werden. In der einzig puren Spielszene, dem Reichstag zu
Worms, auf dem Luther seine Thesen widerrufen soll, ist zu erleben, wie
differenziert die Darsteller ihre Rollen hätten entwickeln können, wenn sie
nicht dauernd zu dieser Holterdipoltermusik singen müssten.
## Lutheraner genießen Disput
Aber so einen Pop-Gottesdienst gibt es in Papenburg nicht alle Tage: Die
lutheranisierten Zuschauer nehmen sich die Freiheit, enthusiasmiert zu
sein. Genießen den Disput über religiöse Überlieferung und
institutionalisierte Interpretation – als Suche nach dem ursprünglich
Gemeinten. Auch wenn die Aufführung nicht so weit geht, die Frage zu
stellen, ob Luther nicht selbst von seiner Interpretation so ergriffen war,
dass er zu einem Hassprediger moderner Prägung mutierte.
Die Landesbühne begnügt sich in der Diaspora mit ein bisschen Luther-Show:
Reformation als historisches Beruhigungs- statt selbstkritisches
Aufputschmittel.
11 Feb 2017
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Martin Luther
Luther
Reformation
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Comic
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Evangelische Kirche
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