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# taz.de -- Versöhnungsgottesdienst in Hildesheim: Erinnerungen heilen
> Katholische und evangelische Kirche demonstrieren bei einem Gottesdienst
> Eintracht. Prominente Gäste unterstreichen die Bedeutung des Ereignisses.
Bild: Auch die Kanzlerin wohnte dem Gottesdienst bei
Hunderttausende, ja Millionen von Toten – das ist das Ergebnis der
Reformation vor 500 Jahren und des daran geknüpften Dreißigjährigen Krieges
von 1618 bis 1648. Vor allem die deutschen Territorien wurden zum großen
Teil verwüstet. Totaler Krieg, Terror, Folter, Hunger und Epidemien, waren
die Folge eines gesamteuropäischen Ringens, an dessen Anfang ein Mönch und
Theologie-Professor an der Provinzuniversität Wittenberg stand, der 95
Thesen zur Reform der Kirche veröffentlichte. Aber bewegt das noch
jemanden? Muss man heute noch diese uralten Wunden heilen, Schuld bekennen
und um Verzeihung bitten?
Die katholische und evangelische Kirche, der hierzulande rund 45 Millionen
Menschen angehören, meinen: Ja. Kirchen glauben an Symbole – und sie haben
ein langes Gedächtnis. Deshalb gab es am Samstag Abend, ein halbes
Jahrtausend nach dem Beginn der Reformation des Martin Luther, in
Hildesheim einen ökumenischen Gottesdienst in der St. Michaelis-Kirche.
Daran nahm praktisch die gesamte deutsche Staatsspitze teil:
Bundespräsident Joachim Gauck in seiner fast letzten Amtshandlung,
Bundestagspräsident Norbert Lammert und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Alle
zu Gast in einem hoch symbolischen Gottesdienst, der unter dem Motto stand:
„Healing of memories“ – die Erinnerungen heilen, angelehnt an das
gleichnamige Motto in Südafrika, das zum Ziel hatte, die mentalen Folgen
der Apartheid zumindest ein wenig in den Griff zu bekommen.
Das ist Pathos – und an ihm mangelte es dem ökumenischen Gottesdienst
beileibe nicht. Ein zentrales Symbol der Feier: Etwa zehn junge Männer und
Frauen richteten in einer schlichten Geste ein mächtiges Eisengestell auf,
das in der Mitte des Kirchenschiffs lag und am ehesten einer riesigen
Panzersperre glich. Und, siehe, aufgerichtet wurde aus der Sperre ein Kreuz
mit Schenkeln in alle Himmelsrichtungen. Dazu exquisiter Solo- und
Chorgesang aus fünf Jahrhundert, das alles in einer Abteikirche aus dem 11.
Jahrhundert, die zum Weltkulturerbe gehört, unter einer 800 Jahre alten
Deckenbemalung, die schöner in Mitteleuropa nicht zu finden ist. Was
braucht es da noch Worte?
Und doch gab es viele von ihnen – auch weil mehr als ein Wortgottesdienst
kirchlich und theologisch derzeit nicht möglich ist im Miteinander von
evangelischer und katholischer Kirche. Gegen ein gemeinsames Abendmahl,
Zeugnis und zentrale Feier des christlichen Glaubens, sperrt sich die
katholische Kirche. Dafür mehrmals das Bekenntnis von historischer Schuld
samt der Bitte um Vergebung, geäußert von den Spitzen der evangelischen und
katholischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard
Kardinal Marx.
## Gemeinsam in die Zukunft schauen
Dabei waren die eher schlichten Sätze der beiden vielleicht ihre stärksten:
„Uns Christen bekommt niemand mehr auseinander“, sagte Marx. Bedford-Strohm
und Marx erklärten beide im Namen ihrer Kirchen: „Wir danken euch, dass es
euch gibt.“ Und das Duzen der beiden befreundeten Münchner Bischöfe, die
gerade mal fünf Radminuten voneinander entfernt arbeiten, war am Ende wohl
beredter als alles, was in diesem Gottesdienst angesichts seines
historischen Anspruchs gesagt wurde.
Pathetische Worte können ins Leere gehen, Symbole und Gesten können
scheitern – und doch war dieser Gottesdienst und ist dieses einjährige
Reformationsjubiläum, das im vergangenen Herbst begann, etwas Besonderes:
Erstmals wird es nicht in Abgrenzung gegen die andere Konfession begangen
wie in den fünf Jahrhunderten zuvor, sondern im Bemühen, die eigene Schuld
und das Versagen zu benennen und gemeinsam in die Zukunft zu schauen.
In wenigen Jahren werden die Christinnen und Christen nicht mehr die
Mehrheit in Deutschland ausmachen. Ob von ihnen jemand katholisch oder
evangelisch ist, wird dann niemanden mehr ernsthaft interessieren. Und das
zu Recht. Der ökumenische Gottesdienst am Samstag Abend in St. Michaelis zu
Hildesheim war ein wichtiger Schritt dorthin.
12 Mar 2017
## AUTOREN
Philipp Gessler
## TAGS
Evangelische Kirche
Katholische Kirche
Reformation
Martin Luther
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Verschwindende Dinge
Sexismus
Reformation
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