| # taz.de -- Berlins Erzbischof Koch über Homoehe: „Differenzieren werde ich … | |
| > Er ist Erzbischof der schwulsten Stadt östlich des Rhein. Heiner Koch hat | |
| > auch gar nichts gegen Homosexuelle. Nur eine Ehe sollen sie nicht führen | |
| > dürfen. | |
| Bild: „Ich wäre nicht zu einer Veranstaltung gegangen, die von der AfD mitge… | |
| taz: Erzbischof Koch, Sie sind der Fachmann der deutschen katholischen | |
| Bischöfe in Sachen Familie, der sogenannte Familienbischof. Ist es nicht | |
| Familie, wenn zwei Erwachsene in Liebe ein Kind erziehen, auch wenn diese | |
| beiden Erwachsenen homosexuell sind? | |
| Heiner Koch: Familie ist vieles, die Großeltern gehören dazu, auch die | |
| sozialen Eltern. Den Begriff fasse ich sehr weit. Und ich habe hohen | |
| Respekt davor, wenn zwei Menschen sagen, wir übernehmen Verantwortung für | |
| Kinder. Aber Ehe ist für uns der entscheidende Begriff, nicht der Begriff | |
| der Familie. | |
| Das bedeutet? | |
| Ehe ist für uns, wenn Mann und Frau sich versprechen, ein Leben lang | |
| zusammenzubleiben. Und wenn sie offen sind für Nachkommen, wenn sie sagen: | |
| Wir wollen Vater und Mutter eigener Kinder werden. Aber dieser Ehebegriff | |
| hat sich weitgehend geändert. Für die einen muss die Ehe nicht ein ganzes | |
| Leben dauern, anderen ist die Offenheit für Kinder nicht wichtig, und für | |
| wieder andere müssen nicht Mann und Frau die Treue versprechen. | |
| Aber wenn nun zwei Homosexuelle verpartnert sind und in irgendeiner Weise | |
| zu einem Kind gekommen sind, wäre das dann nicht Familie und eine gewisse | |
| Form von Ehe? | |
| Es ist keine Ehe, denn in einer homosexuellen Partnerschaft sind Vater und | |
| Mutter der Kinder – je nach Konstellation – jemand anderes. | |
| Aber geht denn die katholische Kirche auf solche Partnerschaften zu? | |
| Ich will alle Formen des Zusammenlebens unterstützen, die dem Menschen | |
| dienen und Verbindlichkeit schaffen in dieser Gesellschaft. Trotzdem würde | |
| ich aus einem Einzelfall, der sehr positiv sein kann, nie eine Regel | |
| machen. Ich glaube, für ein Kind ist es das Beste, wenn es mit Vater und | |
| Mutter groß wird. | |
| Nun hat die katholische Kirche ja ein besonderes Verhältnis zu | |
| homosexuellen Menschen. Sie sagt ihnen, ihr seid hoch geachtet, aber ihr | |
| dürft eure sexuelle Neigung nicht leben. Ist das nicht ziemlich weltfremd? | |
| Ich kann verstehen, dass die Betroffenen das so sehen. Gleichzeitig | |
| beanspruche ich nicht für die Kirche die Aufgabe, eine Überautorität zu | |
| allen Fragen der Sexualität zu sein. | |
| Sondern? | |
| Als Kirche betrachten wir die menschliche Sexualität nicht isoliert, wir | |
| sehen sie in einem größeren Zusammenhang: Liebe, Verantwortung, | |
| Dauerhaftigkeit und Weitergabe von Leben und Lust und Freude in der | |
| Sexualität gehören zusammen. Diese ganzheitliche Perspektive reißen wir | |
| nicht auseinander. Ich finde das nicht weltfremd, sondern menschen- und | |
| lebensfreundlich. | |
| Ist das das Entscheidende: die Weitergabe des Lebens. Das können | |
| homosexuelle Paare theoretisch nicht – deshalb sollen sie ihre Sexualität | |
| nicht leben? | |
| Das ist der Hintergrund. Deshalb können sie Sexualität im umfassenden Sinne | |
| nicht leben. Trotzdem habe ich Respekt davor, wie sie ihre Sexualität leben | |
| – weil ich davon ausgehe, dass sie es verantwortungsvoll tun. Ich lasse | |
| mich nicht zum obersten Richter über die Sexualität von Menschen machen. | |
| Das ist nicht meine Aufgabe. | |
| Nun ist Berlin eine Stadt, die geprägt ist auch durch die homosexuelle | |
| Community. Wir hatten einen homosexuellen Regierenden Bürgermeister. Werden | |
| Sie in dieser Stadt mit Ihren Botschaften zur Homosexualität noch gehört? | |
| Oder ist es etwas, womit Sie im Grunde niemanden mehr erreichen? | |
| Oft kann ich erst im Gespräch deutlich machen, was unser Anliegen ist, | |
| nämlich ein ganzheitliches Verständnis von Liebe und Sexualität. Und dann | |
| machen Sie in Berlin nur dann auf sich aufmerksam, wenn Sie einen | |
| profilierten Standpunkt haben. Mir geht es aber nicht ums Auffallen. Ich | |
| werbe dafür, dass und wie menschliches Leben gelingen kann. | |
| Aber was heißt das für Homosexuelle? | |
| Es ist doch die Frage, ob ich für unterschiedliche Wirklichkeiten den | |
| gleichen Begriff verwende. Oder anders gesagt: Differenzierung ist nicht | |
| Diskriminierung. Aber differenzieren werde ich weiterhin. | |
| Aber ist es nicht eine gewisse Diskriminierung, wenn man Homosexuellen | |
| sagt, ihr dürft eben nicht die volle Sexualität leben? | |
| Ich sage homosexuellen Paaren, dass sie die volle Sexualität nicht leben | |
| können. Denn sie können nicht Eltern, können nicht Vater und Mutter werden. | |
| Gut, aber das ist Fortpflanzung, nicht Sexualität. | |
| Noch einmal: Fortpflanzung und Sexualität werde ich nicht trennen. Die | |
| Sexualität und die Kinder, die daraus entstehen, gehören zusammen. Ich | |
| widerspreche, wenn Homosexuelle diskriminiert werden, wenn sie wegen ihrer | |
| sexuellen Orientierung sogar verfolgt werden. Aber als Kirche, als | |
| Familienbischof will ich genauso für andere Familienformen kämpfen, die in | |
| der Debatte völlig untergehen, wie Alleinerziehende, kinderreiche Familien, | |
| die finanziell diskriminiert werden, oder Familien mit behinderten Kindern. | |
| Auch die brauchen dringend eine starke Lobby. | |
| Haben Sie eigentlich einen schwulen Freund oder Bekannten? Und empfehlen | |
| Sie dem wirklich: Du sollst nicht mit deinem schwulen Partner schlafen? | |
| Sie wollen mich jetzt immer in die Rolle drängen, dass ich der Oberlehrer | |
| in Sachen Sexualität bin, darauf lasse ich mich nicht ein. | |
| Aber das ist doch ein konkretes Problem, wenn Sie einen schwulen Freund | |
| haben. | |
| Ein Freund ist ein Freund, kein Problem. Schon als Studentenseelsorger, | |
| aber auch in meiner Kölner Zeit hatte ich immer wieder mit homosexuell | |
| veranlagten Menschen zu tun, junge wie alte, auch sterbende. Ich habe ihnen | |
| meinen Standpunkt immer deutlich machen können. Die Homosexuellen, mit | |
| denen ich vor allem zu tun habe, fühlen sich oft doppelt als Außenseiter: | |
| zum einen in der katholischen Kirche, mehr aber noch in ihrer | |
| Homosexuellen-Community. Wenn sie sich da als Katholiken outen, was die da | |
| zu hören bekommen! | |
| Nun gibt es ja von Jesus kein einziges Wort zum Thema Homosexualität. Warum | |
| ist sich die Kirche so sicher, dass man sich versündigt, wenn man | |
| Homosexualität lebt? | |
| Sie wollen, dass ich ein generelles Urteil über einen einzelnen Menschen | |
| treffe, das werde ich nicht tun. | |
| Aber das ist doch von der Kirchenlehre so festgelegt. | |
| Die Lehre der katholischen Kirche sieht den Menschen ganzheitlich, dazu | |
| gehört seine Sexualität, sie lässt sich nicht getrennt betrachten. Dass | |
| dann der einzelne mit seiner Konstituierung, mit seiner Geschichte, mit | |
| seinen Erfahrungen, mit seiner Prägung umgehen und seine Sexualität | |
| verantwortlich leben muss, bestreiten wir als Kirche doch nicht. Ich traue | |
| jedem Menschen Verantwortungsbewusstsein und Gewissen zu, darin werde ich | |
| ihn unterstützen. | |
| Nun gibt es ja im Evangelium den besonderen Ausdruck über den Apostel | |
| Johannes, das sei der Apostel gewesen, den Jesus liebte. Warum tut sich die | |
| katholische Kirche da so schwer mit dem Begriff „Liebe zwischen Männern“? | |
| Das griechische Wort für Liebe, das da steht, hat mit Sexualität nichts zu | |
| tun. Das ist aber wirklich keine theologische Neuigkeit. Liebe bedeutet | |
| auch Sexualität, ist aber so viel mehr. Natürlich sollen sich auch Männer | |
| lieben, aber Sie reduzieren erneut Liebe auf den Aspekt der Genitalität. | |
| Nein. Ich sage nur: Zur Liebe gehört eben auch Sexualität. Liebe ist | |
| umfassend. | |
| Aber zwei Männer, die sich lieben, die einander von Herzen in tiefer | |
| Freundschaft verbunden sind, die sich aufeinander verlassen können, die zu | |
| ihrem Wort stehen – wenn Sie das alles zusammenfassen mit: Die haben ein | |
| sexuelles Verhältnis, dann zeigt es im Grunde, in welche Engführung von | |
| Sexualität und Liebe wir heute geraten sind. | |
| Nein, ich würde eben nicht sagen: Engführung. Sondern es gehört eben alles | |
| zusammen. Sexualität gehört auch zur Liebe. | |
| Ja, zu jedem Menschen. Wenn Sie Sexualität verstehen auch im Sinne von | |
| Emotionalität: ja. Sie unterstreichen damit meine These: Der Mensch ist ein | |
| sexuelles Wesen – nicht erst beim Geschlechtsverkehr. Und insofern hat jede | |
| Liebe eine sexuelle Dimension. Aber nicht so, wie heute Sexualität oft | |
| verstanden wird, in diesem eng geführten Begriff von Befriedigung. Wenn Sie | |
| Sexualität als ganzheitlichen Grundzug aller menschlichen Beziehungen | |
| verstehen, stimme ich Ihnen zu. | |
| Sie sind auf einer Veranstaltung, dem „Marsch für das Leben“, mitgegangen … | |
| eine Demonstration, auf der auch Beatrix von Storch, die Vizechefin der | |
| AfD, mitmarschiert ist. War Ihnen das nicht unangenehm, zumal Sie des | |
| Öfteren rechtspopulistische Positionen und Vereinigungen wie Pegida oder | |
| die AfD deutlich angegriffen haben? | |
| Ich wäre nicht zu einer Veranstaltung gegangen, die von der AfD mitgetragen | |
| wird. Bei fast allen Veranstaltungen können Menschen auftauchen, deren | |
| Position ich nicht teile, und das gilt nicht nur für die AfD. In einer | |
| pluralen Stadt trifft man die dollsten Vertreter immer wieder. Mein | |
| Anliegen war, den ungeborenen Menschen zu schützen und zu stärken – eine | |
| Dimension, die manchen mittlerweile offenbar verloren gegangen zu sein | |
| scheint. Als sei Abtreibung ein Mittel der Geburtenregelung. Als Christen | |
| wollen wir keine Grenzen setzen, ab wann menschliches Leben schützenswert | |
| ist und wann nicht mehr. Lasst leben! Lasst leben! | |
| So allgemein würden dem alle zustimmen. | |
| Ich habe das in meinem Grußwort zum „Marsch für das Leben“ zusammengebrac… | |
| mit allen Dimensionen des Lebens: Lasst die Flüchtlinge leben, lasst | |
| Menschen mit Behinderung leben, grenzt nicht aus! Ich bin danach kritisiert | |
| worden, dass ich meine Rede für die Flüchtlingsdebatte missbraucht hätte. | |
| Aber für mich ist es ein und dasselbe Thema: Lasst leben! Und zwar vom | |
| ersten Augenblick des Menschen an bis zum letzten. Ob behindert oder nicht | |
| behindert. Sortiert nicht aus! Und setzt keine zeitlichen Fristen. Das ist | |
| mein Grundanliegen. | |
| Und da hatten Sie kein Problem damit, dass solche Leute wie Beatrix von | |
| Storch neben Ihnen gelaufen sind? | |
| Sie ist keinen einzigen Augenblick neben mir gelaufen. Und außerdem kann | |
| ich dann zu keiner Veranstaltung mehr gehen, weil vielleicht auch Leute | |
| dort sind, deren Position ich womöglich nicht teile. Das gilt nicht nur für | |
| die AfD. | |
| Pegida und AfD sind auch ein Zeichen dafür: Man hat den Eindruck, dass die | |
| Gesellschaft so gespalten ist, wie man das früher nicht für möglich | |
| gehalten hätte. Als früherer Dresdner Bischof haben Sie diese Angst vor | |
| allem der Pegida-Anhänger vor Flüchtlingen und Fremden früh gesehen, eine | |
| Angst, die die Gesellschaft derzeit so spaltet. Haben Sie eine Erklärung | |
| dafür, dass vor allem dieses eine Thema zu so vielen Spaltungen führt? | |
| Es gibt dafür nicht einen Grund – aber an dem Thema wird vieles deutlich: | |
| Da ist zum einen die Überforderung vieler Menschen, Wirklichkeit | |
| differenziert wahrzunehmen. Dann kommt es schnell zu Antworten, die | |
| scheinbar alles lösen: Wir vereinfachen, und dann ist es so. | |
| Weil einfache Antworten leichter zu schlucken sind. | |
| Ja. Hinzu kommt die Heimatlosigkeit vieler Menschen, die in dieser Welt | |
| oftmals kein Zuhause mehr haben, das ihnen eine Standfestigkeit gibt und | |
| ihnen ermöglicht, auch Spannungen auszuhalten. | |
| Spannungen auszuhalten ist schwer. | |
| Ja. Eine Rolle spielt auch die Frage nach Werten, nach Sinn, nach Maßstäben | |
| für das Leben. Es kommt vieles zusammen – dazu in Dresden das Gefühl: Wir | |
| sind im Südosten eh vergessen, abgehängt, immer am Rande. Plötzlich | |
| tauchten die Medien auf, und viele hatten das Gefühl: Die interessieren | |
| sich für uns, wir sind wer, wir können auffallen. | |
| Aber reicht das als Erklärung? | |
| Nein, Pegida wurde auch gezielt gesteuert und durch bestimmte Personen auch | |
| radikalisiert. | |
| Ist nicht ein Problem, was auch die Kanzlerin angedeutet hat, dass wir uns | |
| in ein postfaktisches Zeitalter hineinbegeben, in dem vielen Leuten | |
| Argumente und Fakten nichts mehr bedeuten und sie nur noch das hören | |
| wollen, was ihren eigenen Vorurteilen entspricht? | |
| Das erlebe ich bei vielen Themen, diese Echo-Mentalität. Man hört nur das, | |
| was einen bestätigt. Und alles, was einen infrage stellt und zur | |
| Veränderung herausruft, blendet man aus. Das halte ich für ganz gefährlich. | |
| Was aber bedeutet das, wenn Argumente und Vernunft nicht mehr zählen: Sind | |
| wir dann am Ende der Aufklärung? | |
| Nein. Denn es gibt weiterhin viele, die differenziert argumentieren, die | |
| auf andere Menschen zugehen, die sich selbst in Frage stellen. Sie | |
| verhindern, dass diese Echo-Mentalität zur Grundströmung wird. Allerdings | |
| haben wir wohl zu lange gedacht, dass das, was wir übernommen haben, | |
| selbstverständlich ist, etwa unser Demokratie-Verständnis. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Demokratie fängt ja viel früher an als mit dem Ankreuzen eines Wahlzettels. | |
| Demokratie ist eine Haltung der Achtung des anderen, auch der Minderheiten, | |
| auch derer, die nicht meiner Meinung sind. Demokratie heißt nicht: 50 plus | |
| 1 Prozent setzen sich brutal durch. Demokratie will vielmehr möglichst | |
| viele Menschen mitnehmen. Es ist auch das Aushalten von Niederlagen und | |
| Spannungen. Vielleicht müssen wir wieder das lernen, was angeblich | |
| selbstverständlich war: die Achtung vor der Würde des Menschen. | |
| Gibt es nicht auch eine Erosion der Empathie – oder christlich: eine | |
| Erosion der Nächstenliebe in der Gesellschaft? | |
| Empathie, das Einfühlen in den anderen, wäre mir fast zu wenig. Es fehlen | |
| einem die Worte, wie Flüchtlinge manchmal behandelt werden, manche spucken | |
| vor ihnen aus, Flüchtlinge haben mir das selbst erzählt. Aber das geht | |
| weiter: Liebe ist kein Gefühl, sondern eine Entscheidung, den anderen | |
| wertzuschätzen, zu tragen und ihm zu helfen, zu leben. Das schließt Kritik | |
| nicht aus. Ganz im Gegenteil. Aber Respekt, Wertschätzung und Achtung | |
| scheinen mir verloren gegangen zu sein. Vielleicht haben wir in der | |
| Gesellschaft zu wenig dieses achtungsvolle Miteinander gefördert. | |
| 30 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Gessler | |
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