| # taz.de -- Nick Srnicek zur Post-Arbeitsgesellschaft: „Arbeiten ist nichts E… | |
| > Um etwas zu verändern, fehlen den Linken konkrete Strategien. Nick | |
| > Srnicek will nun mit einem neuen Modell den Neoliberalismus eindämmen. | |
| Bild: Werden wir in Zukunft gut leben ohne Arbeit? | |
| taz: Herr Srnicek, die Jobs werden immer schlechter, die Löhne sinken, die | |
| Mieten hingegen steigen, die Unzufriedenheit wächst – eigentlich eine | |
| ideale Situation für die Linke – aber sie gewinnt einfach nicht. Wieso? | |
| Nick Srnicek: Die Gründe dafür sind vielfältig. Linke Institutionen, wie | |
| Parteien oder Gewerkschaften, die jahrzehntelang dafür gesorgt haben, dass | |
| es zumindest so etwas wie eine linke Macht in westlichen Gesellschaften | |
| gab, befinden sich seit Jahrzehnten auf dem absteigenden Ast. | |
| Sozialdemokratische Parteien sind sogar zu neoliberalen Hybriden geworden. | |
| Das wirtschaftliche Fundament hat sich außerdem maßgeblich verändert: Als | |
| die meisten Menschen noch morgens in die Fabrik gegangen sind, fiel es | |
| leichter, politische Aktionen zu koordinieren. Heute leben wir in einer | |
| Dienstleistungsgesellschaft. Die Menschen haben unterschiedliche Jobs und | |
| Realitäten, und es ist viel schwieriger, diese Interessen auf einen Nenner | |
| zu bringen. Drittens ist die Linke selbst heute sehr kopflos: sie ist in | |
| der Defensive und setzt auf kurzfristige politische Aktionen, die schnell | |
| wieder verpuffen und oft ergebnislos bleiben. Es existiert keine | |
| langfristige Strategie oder Perspektive. | |
| Beobachten Sie das eigentlich nur als Wissenschaftler oder erleben Sie es | |
| auch persönlich? | |
| Ich habe diesen Frust selber erlebt. Ich war nach der Finanzkrise bei | |
| „Occupy London“ aktiv. Wir waren voller Hoffnung, wollten die | |
| Finanzwirtschaft ändern und direkte Demokratie voranbringen, bis dann | |
| innerhalb kürzester Zeit alles auseinandergefallen ist und ich mich gefragt | |
| habe: Was ist denn eigentlich schiefgelaufen? Mir wurde klar, es wurde | |
| überhaupt nicht mehr über das gesprochen, was sein könnte. Es gab keinen | |
| konkreten Zukunftsentwurf, auf den wir uns hätten einigen können. | |
| Marxisten wie David Harvey argumentieren, dass die Stadtproteste heute das | |
| Potenzial haben, widerständige Strukturen zu entwickeln, die über das | |
| eigene Milieu hinausgehen und in denen die Klassen- und Eigentumsfragen | |
| zunehmend gestellt werden. Sehen Sie das auch? | |
| Nicht wirklich. Der neoliberale Kapitalismus ist einfach zu allmächtig als | |
| dass diese defensive Politik dagegen ankommen könnte. Die Proteste gegen | |
| Zwangsräumung, die es in vielen Städten gibt, sind zwar sehr wichtig – dort | |
| kämpfen Menschen dafür, dass sich die Lebenssituation der Menschen nicht | |
| noch mehr verschlechtert –, aber sie verteidigen doch bloß den Status quo. | |
| Es fehlt auch hier eine Strategie wie man über eine Feuerlöschpolitik | |
| hinaus etwas erreichen könnte. | |
| Was schlagen Sie stattdessen vor? | |
| Mein Kollege Alex Williams und ich schlagen in unserem Buch „Die Zukunft | |
| erfinden“ eine Post-Arbeitsgesellschaft vor, also eine Gesellschaft, in der | |
| Menschen ohne Arbeit gut leben können. Wir würden zwar noch im Kapitalismus | |
| leben, kapitalistische Akkumulation wäre noch der wirtschaftliche und | |
| gesellschaftliche Motor, aber wir würden den Neoliberalismus massiv | |
| eindämmen. Das wäre schon mal eine viel bessere Situation als heute, wo es | |
| nur noch wenige Jobs gibt, die gut bezahlt sind, und sehr viel Konkurrenz | |
| und Armut herrscht. | |
| Wie wollen Sie diese Post-Arbeitsgesellschaft erreichen? | |
| Die Linke sollte gemeinschaftlich für Automatisierung, für Verkürzung der | |
| Arbeitszeit, für ein bedingungsloses Grundeinkommen und gegen das | |
| neoliberale Arbeitsethos kämpfen. Das sind die vier Pfeiler der | |
| Post-Arbeitsgesellschaft. | |
| Ist das Ersetzen der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinen nicht das | |
| Grundprinzip des Kapitalismus? | |
| Das stimmt. Trotzdem haben wir heute eine andere Ausgangslage als in der | |
| Vergangenheit. Früher gab es viel Arbeit und eine starke Arbeiterbewegung, | |
| die dann für kürzere Arbeitstage gekämpft hat. Bis vor ein paar Jahrzehnten | |
| hatten wir auch immer wieder Phasen von starkem Wirtschaftswachstum, in | |
| denen neue Jobs entstanden sind. Beides gibt es heute so nicht mehr und | |
| somit auch keine Vollbeschäftigung. Viele Leute arbeiten schon heute gar | |
| nicht mehr oder in schlecht bezahlten Jobs. Die Linke sollte eine Situation | |
| vorantreiben, in der immer weniger Menschen arbeiten müssen und trotzdem | |
| gut leben können. Es muss ein Umdenken geben. Arbeiten ist nichts | |
| Erstrebenswertes. Wir werden nie wieder Vollbeschäftigung haben, die Zahl | |
| der schlecht bezahlten Jobs wächst stetig. Es ist also besser, für die | |
| Abschaffung der Arbeit zu kämpfen, also für mehr Beschäftigung, die sowieso | |
| unrealistisch ist. | |
| Sie werben für das bedingungslose Grundeinkommen. Ein Lieblingsprojekt von | |
| Silicon-Valley-Milliardären und Investmentbankern, die sich damit aus | |
| Umverteilung und anderen sozialen Verträgen lösen wollen. Sollte uns das | |
| nicht skeptisch stimmen? | |
| Absolut. Und deswegen müssen wir uns das Thema aneignen und von links | |
| dagegenhalten. Derzeit wird die Debatte von Leuten wie Elon Musk bestimmt, | |
| also von rechten Neoliberalen. Es ist sehr gefährlich, ihnen dieses Feld | |
| einfach zu überlassen. Eine linke Version des bedingungslosen | |
| Grundeinkommens ist aber kein Feigenblatt, sondern eins von vielen | |
| Instrumenten zur Umverteilung von Reichtum und Macht. Wenn die Menschen ein | |
| bedingungsloses Grundeinkommen haben, können sie Jobs, die sie nicht | |
| wollen, ablehnen. Sie haben außerdem Zeit für politisches Engagement und | |
| können einfach streiken, weil sie finanziell abgesichert sind. Das wäre ein | |
| riesiger Schritt. | |
| Sie kritisieren die Linke dafür, dass sie sehr schwach ist. Würde es sie | |
| nicht noch mehr schwächen, für ein bedingungsloses Grundeinkommen zu | |
| kämpfen, das sie am Ende vielleicht gar nicht durchsetzen können? | |
| Mein Ziel ist ja nicht das Grundeinkommen, sondern die | |
| Post-Arbeitsgesellschaft. Das Grundeinkommen ist lediglich einer der | |
| Pfeiler, auf denen sie steht. Wir müssen das Gesamtpaket erstreiten. Und | |
| mal ganz ehrlich: Alles, was wir erkämpfen werden, ist doch besser als das, | |
| was wir jetzt haben? | |
| Und da hilft auch die Reduzierung der Arbeitszeit für alle? | |
| Es gibt sowieso nicht mehr genug Jobs für alle, warum sollten dann nicht | |
| alle weniger arbeiten? Aktuell ist das doch noch sehr viel stärker | |
| gespalten. Manche Menschen arbeiten 60 oder 70 Stunden in der Woche, andere | |
| nur 20 oder weniger Stunden. Manche machen das freiwillig, für andere | |
| entsteht so große Not. Im idealen Szenario arbeiten nur die, die auch | |
| wollen, mehr. Die anderen müssen nicht. Ich finde, das klingt doch sehr | |
| gut, oder? | |
| Aber wie erreichen wir jetzt diese Post-Arbeitsgesellschaft? | |
| Da können wir einiges von den Vordenkern des Neoliberalismus lernen. Die | |
| meisten denken, der Neoliberalismus hätte sich ab den 1970er Jahren langsam | |
| etabliert und hätte dann nach und nach irgendwie die Welt übernommen. So | |
| war es aber nicht. Die Idee des Neoliberalismus gibt es schon seit den | |
| 1930er Jahren und wurde dann von einer kleinen, elitären Gruppe | |
| international etabliert. Die hatten eine Vision, einen Plan und einen sehr | |
| langen Atem. Sie wollten weg von der damals vorherrschenden | |
| Wirtschaftspolitik des Keynesianismus und ihn durch den Neoliberalismus | |
| ersetzen. Aus dieser Geschichte können wir lernen, wie es gehen könnte. | |
| Inwiefern? | |
| Wir brauchen einen langen Atem und eine langfristige Strategie. Die | |
| Vordenker des Neoliberalismus haben es so gemacht, wie es schon der Marxist | |
| Antonio Gramsci beschrieben hat: Sie haben sich die vorherrschende | |
| Hegemonie angeschaut und die Idee einer Gegenhegemonie entwickelt, die sie | |
| dann strategisch über Jahrzehnte platziert haben. Sie haben Think-tanks auf | |
| allen Kontinenten gegründet, sie waren in den Medien vertreten, haben | |
| Politiker beraten und haben in Talkshows gesessen. Sie haben so den Common | |
| Sense, die Art und Weise, wie Menschen denken und handeln, nach und nach | |
| grundlegend verändert. | |
| Und davon kann die Linke lernen? | |
| Es geht natürlich nicht darum, eins zu eins zu kopieren, was sie gemacht | |
| haben. Aber es kann sehr hilfreich dabei sein, eine langfristige Strategie | |
| zu entwickeln und sich zu überlegen wie man sie umsetzen kann. Die Linke | |
| beschäftigt sich derzeit entweder mit den nächsten Wahlen oder möchte am | |
| liebsten immer gleich die Revolution. Das ist einfach zu kurzfristig | |
| gedacht, um wirklich etwas bewegen zu können. | |
| Also lieber Hardcore-Lobbypolitik betreiben? | |
| (lacht) Lobbypolitik ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes! Wenn die | |
| Frage ist, wie wir eine revolutionäre Situation aufbauen können, müssen wir | |
| uns auch klarmachen, dass wir alle zivilgesellschaftlichen Bereiche | |
| verändern müssen. Die Linke konzentriert sich aber meist nur auf einen | |
| Bereich zu einer Zeit – mal ist es eine Partei, die nach links gedreht | |
| werden soll, mal sind es die Gewerkschaften, mal ist es die Kultur – und | |
| dann verliert sie wieder auf allen anderen Feldern. | |
| Wir sollten also linke Thinktanks gründen? | |
| Warum nicht? Thinktanks sind Orte, an den man sich jenseits der | |
| alltäglichen Politik konzentriert Gedanken über Strategien und die Zukunft | |
| macht. Und die braucht die Linke dringender denn je. | |
| 1 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Scholz | |
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