# taz.de -- Senatorin Pop über Energiepolitik: „Wir fangen fast bei null an�… | |
> Noch ist das landeseigene Stadtwerk „ein Geheimtipp“, so Berlins | |
> Wirtschaftssenatorin Pop (Grüne). Das soll sich ändern durch den Bau von | |
> Solar- und Windkraftanlagen. | |
Bild: Wann drehen sich die ersten Windräder fürs Berliner Stadtwerk? | |
taz: Frau Pop, auch nach Rechnung des rot-rot-grünen Senats sind die ersten | |
100 Tage im Amt vorbei. Hatten Sie sich den Start so vorgestellt? | |
Ramona Pop: Es kommt meist anders als man denkt. Und früher waren die | |
ersten 100 Tage die Schonfrist; heute muss sich die Politik in dieser Zeit | |
beweisen. Wenn ich auf unser 100-Tage-Programm schaue, finde ich: Da haben | |
wir schon gut was hingekriegt. | |
Was kam denn anders, als Sie dachten? | |
Der Terroranschlag vom Breitscheidplatz war ein Schock. Das ist für uns und | |
die ganze Stadt eine sehr einschneidende Erfahrung gewesen – und ist es bis | |
heute geblieben. Auf der anderen Seite gab es die Personaldiskussionen in | |
der Koalition. Ich hätte nicht gedacht, dass das gleich so losgeht. | |
Sie meinen die Causa Andrej Holm, den nach wenigen Wochen zurückgetretenen | |
Staatssekretär Wohnen mit Stasivergangenheit. Eigentlich hatte sich die | |
Koalition von Anfang an vorgenommen, viel untereinander zu kommunizieren. | |
Das hat nicht so geklappt. Reden Sie jetzt miteinander? | |
Ja. Der Koalitionsausschuss tagt regelmäßig, es gibt regelmäßige informelle | |
Termine, wir treffen uns auch mal außer der Reihe zum Mittagessen. Die | |
Senatssitzung dauert gerne eineinhalb bis zwei Stunden, anders als unter | |
Rot-Schwarz, wo es manchmal nur 15 Minuten waren. Wir diskutieren die | |
Themen wirklich – miteinander, nicht nach dem Motto: „Jeder macht seins“. | |
Sind Sie mit der Bilanz der Grünen in der Koalition zufrieden? | |
Ja. Wir haben uns in meiner Senatsverwaltung fünf Projekte für die ersten | |
100 Tage vorgenommen und wirklich etwas auf den Weg gebracht. Etwa die | |
Senkung des Preises für das Sozialticket … | |
… auf 27,50 Euro … | |
Das war eine alte grüne Forderung. Ziemlich geräuschlos ging die Entlastung | |
der Situation in den Bürgerämtern vor sich, wo es wieder schnell Termine | |
gibt. | |
Das ging so schnell, dass es nicht das Verdienst von Rot-Rot-Grün sein | |
kann. | |
Na ja, aber wir haben geschafft, das Personal, das lange versprochen war, | |
tatsächlich dort einzusetzen, wo es gebraucht wurde. Daran hat es | |
offensichtlich vorher gehakt. Auch die Räumung der Turnhallen haben wir | |
gewuppt – zusammen mit der Zusage, dass die Hallen richtig saniert werden, | |
und nicht bei jeder einzelnen Kachel geschaut wird, ob die vorher schon | |
kaputt gewesen ist. | |
Wir werden sehen, ob das auch schnell passiert … | |
Ja. Aber das sind zumindest Themen, die die Stadt bewegen und die wir | |
schnell abgearbeitet haben. Dazu kommt das Stadtwerk, das jetzt zu einem | |
echten Akteur in der Klimapolitik werden kann, weil wir dafür die | |
gesetzlichen Grundlagen geschaffen haben. | |
Warum werden dort nicht viel, viel mehr Menschen Kunde? Schließlich bietet | |
es einen extrem günstigen Öko-Stromtarif an. Trotzdem bleiben die Berliner | |
bei Vattenfall. | |
SPD und CDU stritten bis zuletzt um das Stadtwerk und blockierten dessen | |
Entwicklung. Deshalb ist es – noch – ein sehr kleiner Betrieb, der so gut | |
wie keinen Strom vertreiben durfte. Es war eher eine Art Geheimtipp. Wir | |
haben jetzt 100 Millionen Euro mobilisiert, damit es wachsen, Werbung | |
machen und mehr Kunden gewinnen kann. Und damit es in die Energiewende | |
investieren kann – also in Windkraft- und Photovoltaikanlagen, in | |
Mieterstrommodelle und die energetische Sanierung der öffentlichen | |
Liegenschaften über Intracting – Investitionen, die sich über die | |
Energieeinsparungen langfristig selbst finanzieren. Da haben wir noch viel | |
vor uns. Aber wir fangen ja erst an. | |
Rufen Sie die Berliner zum Wechsel auf? | |
Klar. Jetzt legen wir los, ohne die früheren Beschränkungen, denen das | |
Stadtwerk unterlag. | |
Sie sind laut Medienberichten nicht Stadtwerk-Kundin. | |
Das hole ich aber nach. Und das werde ich dann so machen, dass Sie und alle | |
anderen Berliner es mitbekommen, damit noch mehr Berliner wechseln. | |
Sie sind noch bei Vattenfall? Nein! | |
Könnte denn Ihre gesamte Verwaltung schnell wechseln? Das wäre ja auch ein | |
Signal… | |
Wir arbeiten daran, dies schrittweise möglich zu machen. Aber es gibt für | |
die gesamte Energieversorgung des Landes bestehende Lieferverträge. Da | |
werden wir jetzt Stück für Stück in die Verhandlungen gehen. Unsere | |
Verhandlungsstrategie werde ich hier nicht verraten. | |
Aber einen Zeitplan haben Sie? | |
Diese Verträge sind früher auf sehr lange Zeit geschlossen worden. In den | |
kommenden Jahren laufen sie nach und nach aus: der Zehn-Jahres-Vertrag mit | |
Vattenfall über die Wärmeversorgung der Liegenschaften des Landes | |
beispielsweise Ende dieses Jahres. Da werden wir verhandeln und die Themen | |
Dekarbonisierung und CO2-Einsparungen in künftige Verträge aufnehmen. Wir | |
dürfen auch nicht vergessen, dass wir in Berlin mit der Energiepolitik und | |
dem Stadtwerk fast bei Null anfangen. Es gab in den letzten 10 bis 15 | |
Jahren keine nennenswerte Energiepolitik des Landes Berlin. Mit der | |
Privatisierung von Gasag und Bewag waren sowohl die Unternehmen wie auch | |
das Verwaltungs-Know-how weg. Das Stadtwerk ist zurzeit noch ein Betrieb | |
mit sieben Mitarbeitern. Es muss erst wachsen, damit wir nach und nach in | |
die Energieversorgung des Landes einsteigen. | |
Sie haben vorhin angekündigt, Wind- und Solarenergieanlagen bauen zu | |
wollen. Wo denn? | |
Wir wollen Mieterstrommodelle mit Photovoltaik auf den dafür geeigneten | |
Dächern entwickeln. Dafür wird es einen „Masterplan Solar“ geben. Windkra… | |
in Berlin ist bekanntermaßen nicht so einfach zu realisieren, deswegen | |
beteiligen wir uns an Windparks im Umland. Natürlich könnte man auch – wie | |
es andere Stadtwerke tun – in große Offshore-Windparks in der Nordsee | |
investieren. Wir wollen aber am Anfang regional bleiben. Dafür wird es auch | |
Beteiligungsmodelle geben, so dass Bürger Anteile erwerben können. | |
Wann geht es los mit dem Bau von Windkraftanlagen? | |
Das wird sehr zügig passieren: in den nächsten zwei bis drei Jahren. | |
Wollen Sie in Brandenburg zuerst die Flächen des Landes Berlin, die | |
sogenannten Stadtgüter, nutzen? | |
Das wird geprüft. | |
Da dürfte mit Protesten von Anwohnern zu rechnen sein. | |
Bislang gab es keine nennenswerten Proteste. Und damit das so bleibt, gibt | |
es die Bürgerbeteiligungsmodelle: Um den Menschen die Windkraftanlagen | |
emotional näher zu bringen und zu sagen: „Das ist Ihre Beteiligung an der | |
Energiewende.“ | |
Sie wollen das Angebot an Mieterstrom ausbauen: Wie reagieren denn die | |
landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auf dieses Ziel? | |
Einige Wohnungsbaugesellschaften sind schon selbst auf die Idee gekommen, | |
da aktiv zu werden, und die Stadtwerke werden ihnen anbieten, diese | |
Leistungen zu übernehmen. | |
Wie viele Kunden soll das Stadtwerk am Jahresende haben? | |
Ich bin kein Fan davon, den Erfolg über Kundenzahlen zu bemessen. Wichtiger | |
ist, dass wir uns CO2-Einsparziele setzen und diese erreichen. Aber man | |
kann ja mal nach Hamburg schauen: Dort sind die Stadtwerke schon bei über | |
100.000 Kunden angekommen. | |
Berlin soll 2050 klimaneutral sein. Spielt das Stadtwerk dabei eine | |
tragende Rolle? | |
Das Stadtwerk ist unser Berliner Akteur der Energiewende und kann viel | |
agiler und flexibler auf dem Energiemarkt agieren als die Großen. Aber das | |
Klimaziel ist eine Gemeinschaftsaufgabe, an der alle arbeiten müssen – auch | |
die anderen Energieversorger. Mit Vattenfall führen wir schon Gespräche | |
über den Kohleausstieg, und demnächst wollen wir den „Steuerungskreis | |
Energiewende“ ins Leben rufen, in dem diese Fragen mit allen Akteuren an | |
einem Tisch besprochen werden. | |
Für die Grünen gehörte Vattenfall immer zu den Bösen – jetzt müssen Sie … | |
Wirtschaftssenatorin mit dem Energieriesen kooperieren. Wie geht das? | |
Ich gehöre nicht zu denen, die die Welt in Freund und Feind unterteilen, | |
und Vattenfall hat für Berlin Investitionen in die Dekarbonisierung in | |
Milliardenhöhe versprochen. Diese möchte ich dann auch sehen. Ich bin | |
gespannt. | |
Sie wollen die Berliner Energieagentur zurückkaufen – auch da sitzt | |
Vattenfall im Boot. Werden die da mitspielen? | |
Eigentlich sind die Energieagenturen öffentliche Einrichtungen, Berlin | |
stellt eine Ausnahme dar. Wir haben uns dazu bekannt, die Agentur zu | |
kommunalisieren, um ihre Effekte nutzen zu können. Aber wir haben jetzt | |
gerade erst 100 Tage hinter uns, lassen Sie uns doch mal arbeiten. | |
Gespräche werden bereits geführt, so viel kann ich sagen. | |
Bislang gehört auch das Stromnetz Vattenfall. Der Konzern droht jetzt das | |
Konzessionsverfahren, an dem sich auch das Land beteiligt, durch Klagen für | |
Jahre zu blockieren. Kann ein Stadtwerk ohne Netz die Energiewende | |
voranbringen? | |
Dazu kann ich eigentlich nichts sagen, weil mein Haus die Energieaufsicht | |
führt und auf das Konzessionsverfahren nicht einwirken darf. Aber natürlich | |
wäre ein zügiges Ende des Verfahrens wünschenswert– allein wenn man an alle | |
Infrastrukturaufgaben denkt, die daran hängen, die Potenziale für die | |
Energiewende mit Hilfe der Digitalisierung. Aber wir können nicht darauf | |
warten, dass das Verfahren irgendwann vor Gericht ein hoffentlich gutes | |
Ende für das Land Berlin findet. Wir müssen loslegen, und das Stadtwerk | |
kann ja schon agieren. | |
Als Senatorin für Betriebe sind Sie nicht nur Vorsitzende des Aufsichtsrats | |
der Wasserbetriebe, sondern auch von der BVG und der BSR, große Unternehmen | |
mit einem gewaltigen Energieumsatz. Wie können Sie die grüner machen? | |
Da gibt es viele Möglichkeiten, angefangen bei der Elektrifizierung der | |
BVG-Busse. Ich schaue auf die deutsche Automobilindustrie und frage mich: | |
Wie kann es sein, dass die nicht in der Lage sind, einen vernünftigen | |
Stadtbus zu bauen, der elektrisch fährt? Das ist ein Armutszeugnis. Auch | |
das BVG-eigene Stromnetz, das zweitgrößte der Stadt, wird eine Rolle bei | |
der ökologischen Modernisierung spielen. Ich betrachte die | |
Landesunternehmen als natürliche Partner. Das betrifft bei den | |
Wasserbetrieben auch eine ökologische Wasserpolitik. Es werden | |
Milliardenbeträge investiert in die Modernisierung der Klärwerke und das | |
Regenwassermanagement, das verhindern soll, dass weiterhin nach Starkregen | |
Abwasser in die Spree gespült wird. Noch vor zehn Jahren wurden Sie mit | |
solchen Themen im Abgeordnetenhaus ausgelacht, heute ist allen die | |
Dringlichkeit klar. Denn mit dem Klimawandel nehmen solche | |
Starkregenereignisse zu. | |
Wird es eine Ausweitung der Biomüll-Sammlung geben? Mit den Mengen, die | |
noch in den Restmüll wandern, könnte die BSR eine zweite Vergärungsanlage | |
betreiben und doppelt so viel Biogas erzeugen wie heute. | |
Das Thema beschäftigt die Fraktionen schon länger. Inzwischen sagen einige: | |
Wenn die BSR das nicht hinbekommt, wird die Ausweitung der Biomüll-Sammlung | |
eben ausgeschrieben. Aber als Aufsichtsratsvorsitzende will ich natürlich | |
nicht, dass der BSR Aufgaben weggenommen werden. Wir streben eine höhere | |
Recyclingquote und auch eine höhere Biomüllquote an. | |
Mit Alba gibt es auch einen großen Privaten in der Abfallwirtschaft, und | |
als Wirtschaftssenatorin sollen Sie ja private Unternehmen unterstützen. | |
Wie geht das zusammen? | |
Der Abfallwirtschaftsbereich ist ein sehr regulierter Bereich, und es gibt | |
in Berlin eine bewährte Zusammenarbeit zwischen BSR und Alba. Zum Beispiel | |
betreiben sie eine gemeinsame Tochterfirma, die Restmüll zu Festbrennstoff | |
verarbeitet. Beide Unternehmen haben unterschiedliche Profile und können | |
auch voneinander lernen. Alba kann sich von der BSR bei Tarifen und | |
Gehältern etwas abgucken, mit der BSR diskutieren wir höhere | |
Recyclingquoten. | |
19 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
Bert Schulz | |
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