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# taz.de -- NSU-Mord im Café: Log der Verfassungsschützer?
> Beim NSU-Mord in Kassel war ein Verfassungsschützer vor Ort.
> Wissenschaftler stellten nun fest: Er muss die Tat mitbekommen haben.
Bild: Hat er gelogen? Verfassungsschützer Andreas Temme verlässt nach seiner …
BERLIN taz | Er bleibt bis heute dabei. Nichts will Andreas Temme vom Mord
an Halit Yozgat mitbekommen haben. Keinen Schuss will der
Verfassungsschützer gehört haben, als am 6. April 2006 der NSU den
21-Jährigen in seinem Kasseler Internetcafé ermordete. Auch Yozgats Leiche
will er nicht gesehen haben, als er das Geschäft verließ.
Der Fall zählt bis heute zu den mysteriösesten im NSU-Komplex: Warum war
ausgerechnet der Verfassungsschützer Andreas Temme beim Mord der
Rechtsterroristen in Kassel am Tatort? Warum hatte er sich als einziger der
Anwesenden nicht als Zeuge gemeldet?
Als Verdächtiger wurde Temme nach der Tat kurzzeitig festgenommen,
wiederholt musste er im NSU-Prozess in München und in
Untersuchungsausschüssen aussagen. Und immer wieder betonte er: Nichts habe
er mit dem Mord zu tun, nichts habe er mitgekriegt.
Nun aber wankt Temmes Version erneut. Über Wochen hatten Wissenschaftler
den Mord an Halit Yozgat neu untersucht: das Team von „Forensic
Architecture“ der Londoner Goldsmith University. Die Experten arbeiten
sonst unter anderem mit Amnesty International zusammen und untersuchten
etwa Kriegsverbrechen in Syrien. Diesmal wurden sie beauftragt [1][vom
Projekt „NSU-Tribunal“], das im Mai einen mehrtägigen Kongress über die
rechtsterroristische Verbrechensserie in Köln veranstaltet.
Für ihre Untersuchung hatten die Londoner Experten eigens das Kasseler
Internetcafé nachgebaut, im März im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“.
Mit einer Geräuschsimulation stellten sie die Schüsse auf Halit Yozgat
nach. Mit Kameras und Computertechnik rekonstruierten sie Temmes Weg von
seinem damals genutzten PC bis zum Verlassen des Internetcafés. Als
Grundlage nahmen sie Ermittlungsakten und ein Polizeivideo, in dem Temme
den Ermittlern seinen Weg damals vorführte.
Die Wissenschaftler kamen zu einem klaren Schluss: Temme muss den Leichnam
von Halit Yozgat gesehen haben – in dem Moment, als der 1,94 Meter große
Mann sein Geld auf den Tresen legte, hinter dem der erschossene 21-Jährige
lag. Und er habe auch die Schüsse gehört: Selbst mit dem Schalldämpfer auf
der Waffe müssten diese 40 Dezibel über den Hintergrundgeräuschen des
Internetcafés gelegen haben. Sie seien damit „klar vernehmbar“ gewesen. Der
entsprechende Bericht liegt der taz vor. Er soll kommende Woche öffentlich
präsentiert werden.
## Yozgats Vater: „Temme lügt“
Die Familie Yozgat hält den Mord an Halit bis heute für unaufgeklärt.
„Temme lügt“, betont Vater Ismail Yozgat immer wieder. „Entweder er deckt
die Täter oder er war selbst an dem Mord beteiligt.“ Halit Yozgat war das
neunte und letzte migrantische Opfer des „Nationalsozialistischen
Untergrunds“.
Temme dagegen verteidigt sich: Er habe nur privat in dem Internetcafé auf
einem Flirtportal gechattet. Um dies vor seiner Frau zu verbergen, habe er
sich nicht als Zeuge gemeldet. Temme arbeitet heute im Regierungspräsidium
Kassel.
Die Familie von Halit Yozgat und Unterstützer wollen nun am Donnerstag, dem
11. Jahrestag des Mordes, in Kassel auf die Straße gehen. „Kein nächstes
Opfer! NSU-Komplex auflösen“, lautet der Aufruf ihrer Demonstration.
Bereits kurz nach dem Mord an Yozgat hatten rund 4.000 Menschen in Kassel
eine Aufklärung der seinerzeit noch ungelösten NSU-Mordserie gefordert.
„Kein zehntes Opfer“, hieß es damals.
2 Apr 2017
## LINKS
[1] http://nsu-tribunal.de/
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Verfassungsschutz
Kassel
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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Halit Yozgat
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