| # taz.de -- NSU-Opfer-Anwalt über Burak Bektaș: „Das rechte Auge ist trübe… | |
| > Vor fünf Jahren wurde Burak Bektaș in Berlin erschossen. Der Mord ist | |
| > nicht aufgeklärt. Ein Gespräch über eine fragwürdige Ermittlung. | |
| Bild: Eine Demonstrantin trägt zum Gedenken an Burak Bektas sein Porträt am K… | |
| taz: Herr Özata, fünf Jahre nach dem Mord an Burak Bektaş ist kein Täter | |
| gefasst. Wird überhaupt noch ermittelt? | |
| Onur Özata: Das ist die große Frage. Wir haben als Vertreter der Familie | |
| Bektaş zuletzt im Winter Akteneinsicht genommen. Da konnten wir nicht | |
| erkennen, dass noch ermittelt wird. Aber es kann auch sein, dass wir nicht | |
| über alles informiert werden. In einem laufenden Ermittlungsverfahren kann | |
| die Staatsanwaltschaft auswählen, was sie den Akten beilegt und was nicht. | |
| Erst wenn das Verfahren irgendwann eingestellt wird, würden wir die | |
| kompletten Akten bekommen. | |
| Die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“ kritisier… | |
| die Ermittlungsbehörden seien, wie beim NSU, auf dem „rechten Auge“ blind. | |
| Sehen Sie das auch so? | |
| Ich würde es nicht so drastisch formulieren. Man ist nicht „blind“ auf dem | |
| rechten Auge, aber der Blick ist trübe. Man schaut schon nach rechts, aber | |
| nicht in der nötigen Intensität, wie ich meine. | |
| Haben Sie ein Beispiel? | |
| Wenn ich die Akten anschaue, sehe ich zum Beispiel nicht, dass Anfragen | |
| gemacht wurden an andere Verfassungsschutzbehörden, dass etwa ein Abgleich | |
| gemacht wurde mit den ganzen Tötungsdelikten seit 1990, bei denen ein | |
| rechtes Motiv vermutet wird. Das Bundeskriminalamt hat ja nach der | |
| Selbstenttarnung des NSU noch mal rund 3.300 Tötungsdelikte untersucht, | |
| sowohl versuchte als auch vollendete. Davon blieben knapp 800 übrig, bei | |
| denen ein rechtes Motiv für möglich gehalten wird. Diese Fälle könnte man | |
| mit dem Burak-Mord abgleichen und schauen, ob es Zusammenhänge gibt. Meines | |
| Wissens wurde das nicht gemacht. | |
| Wo sehen Sie noch Leerstellen? | |
| Die Tat ist ja im Süden Berlins, im Stadtteil Rudow, passiert, was | |
| bekanntermaßen ein rechtes Pflaster ist und zudem an der Grenze nach | |
| Brandenburg liegt. Ich sehe aber nicht, dass geschaut wurde, ob die rechte | |
| Szene von dort etwas mit dem Mord zu tun hat. Überhaupt hat man wenig über | |
| die Grenzen Berlins hinaus recherchiert. Dabei arbeiten Rechtsterroristen | |
| natürlich bundesweit, das hat man ja beim NSU gesehen. | |
| Sie vertreten auch drei Opferfamilien beim Münchener NSU-Prozess. Welche | |
| Parallelen sehen Sie? | |
| Wir haben ein migrantisches Opfer und einen Tatablauf, der an den NSU | |
| erinnert: ein Einzeltäter, der wortlos schießt und verschwindet. Es gibt | |
| zudem keine Vorbeziehung zwischen Täter und Opfer, auch kein | |
| Bekennerschreiben. Die Parallele zum NSU drängt sich also auf. Aber mein | |
| Ansatz ist ein anderer. Der NSU ist im November 2011 aufgeflogen, ein | |
| halbes Jahr vor dem Burak-Mord. Und wir haben ja seitens der Politik | |
| erklärt bekommen, dass sie aus dem NSU gelernt habe. Ich sehe allerdings | |
| nicht, dass sich das in der polizeilichen Arbeit im Fall Burak | |
| niederschlagen hat. | |
| 2015 gab es in Neukölln auch den Mord an dem Engländer Luke Holland. Dafür | |
| wurde im vorigen Jahr der Neonazi Rolf Z. verurteilt. Beim Prozess haben | |
| Sie Hollands Eltern als Nebenkläger vertreten. Was hat der Fall mit Burak | |
| Bektaş zu tun? | |
| Im Fall Burak Bektaş gab es einen Hinweis auf Rolf Z. Ein Kinobetreiber war | |
| nach dem Burak-Mord zur Polizei gegangen und hatte erklärt, Z. habe ihm ein | |
| paar Jahre zuvor mal eine Waffe gezeigt, und er könne sich vorstellen, dass | |
| der was mit dem Mord zu tun hat. Aber die Polizei erklärte, Rolf Z. hat | |
| keinen Bezug zu Neukölln – damit war die Sache erledigt. | |
| Aber Z. wohnte auch in Neukölln! | |
| Ja, und nicht nur das. Er hat eine Schwägerin, die in der Nachbarschaft von | |
| Buraks Familie wohnt. | |
| Wie bitte? | |
| Ja! Sie wohnt keine 500 Meter entfernt. Da lebte der Bruder von Rolf Z., | |
| der inzwischen verstorben ist, Z. ist da zeitweise täglich ein- und | |
| ausgegangen. Und der Kinobetreiber sagte, Z. habe ihm nicht nur eine Waffe | |
| gezeigt, sondern auch erzählt, dass er bei seinem Bruder „rumballert“. Wir | |
| haben dann im Verfahren gegen Z. durch einen anderen Zeugen, der dem Lager | |
| des Angeklagten angehörte, erfahren, dass im Keller dieses Hauses | |
| Schießübungen gemacht wurden. | |
| Die Polizei fand trotzdem, Z. habe keinen Neukölln-Bezug? | |
| Genau, obwohl er dort lebte, eine Schwägerin hat und Schießübungen machte. | |
| Das haben wir überhaupt nicht verstanden. | |
| Das war alles vor dem Mord an Luke Holland? | |
| Ja, kam aber erst im Holland-Prozess gegen Z. ans Licht. | |
| Gab es denn eine Gegenüberstellung von Z. mit den Freunden von Burak, die | |
| den Anschlag überlebt haben? | |
| Wir haben natürlich angefragt bei der Staatsanwalt, ob den Zeugen im Fall | |
| Bektaş nicht Fotos von Z. vorgelegt werden können. Die Antwort war: Nein, | |
| Z. käme als Täter nicht infrage. Er trage ja Bart, und die Bektaş-Zeugen | |
| hätten in ihrer Täterbeschreibung nichts von einem Bart gesagt. Dass man | |
| einen Bart abnehmen und wieder wachsen lassen kann, spielte da keine Rolle. | |
| Merkwürdig. | |
| Entweder weiß die Polizei etwas, was wir nicht wissen, sodass sie Z. als | |
| Täter ausschließen können. Oder sie haben eine andere Spur? Keine Ahnung. | |
| Im Urteil wurde auch nicht erwähnt, dass Z. ein Rechtsradikaler war. | |
| Ja, man konnte im Verfahren nicht gerichtsfest ermitteln, was sein Motiv | |
| war. Für uns lag schon nahe, dass er Luke Holland erschossen hat, weil er | |
| meinte, der sei ein Fremder, ein Ausländer, der hier nicht hergehört. Wir | |
| wissen, dass er sich für die NPD interessiert hat. Wir wissen auch, dass er | |
| Hitler-Devotionalien bei sich zu Hause hatte. Das wurde aber von Polizei, | |
| Staatsanwaltschaft und Gericht immer beschönigend als „Herrenzimmer“, als | |
| „Sammlung“ bezeichnet. | |
| Sie fordern nun, der Generalbundesanwalt solle den Fall übernehmen. Warum? | |
| Weil wir der Auffassung sind, dass der Fall von Bedeutung für die ganze | |
| Bundesrepublik ist, weil er wirklich den inneren Frieden hier | |
| beeinträchtigen kann. Wenn man sich mit den Menschen in Neukölln unterhält, | |
| besonders solchen mit Migrationshintergrund, hört man oft: Warum ist der | |
| Mord nicht aufgeklärt, richtet sich das gegen „uns“, hier gibt es so viele | |
| Rechte. Da gibt es Beunruhigung und ein zunehmendes Misstrauen – gerade vor | |
| dem Hintergrund des NSU. Wir haben die Einschaltung des | |
| Generalbundesanwalts aber auch gefordert, weil wir mit der Arbeit der | |
| Berliner Staatsanwaltschaft nicht zufrieden sind. | |
| Inwiefern? | |
| Wir haben den Eindruck, dass der zuständige Staatsanwalt nicht so richtig | |
| informiert ist über den Fall oder sich nicht so dafür interessiert. | |
| 5 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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| Anja Sturm | |
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