# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: „Eine von uns“ | |
> Die Eltern der Autorin flohen aus dem Iran in die USA. Immer wieder | |
> erlebte sie Rassismus, dabei hatte sie Vorfahren aus der ganzen Welt. | |
Bild: Demonstranten in New York kämpfen darum, dass diese Geflüchteten trotz … | |
Dieses Jahr wird mein Sohn acht, so alt, wie ich war, als die iranische | |
Revolution ausbrach und meine US-amerikanische Mutter mit mir in die | |
Vereinigten Staaten ging. Mein iranischer Vater blieb in Teheran. Als | |
Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde und mein Sohn meinen iranischen | |
Mann und mich fragte, ob wir nun nach Teheran umziehen müssten, taten wir | |
das Gleiche wie meine Eltern damals: Wir logen und sagten ihm, er solle | |
sich keine Sorgen machen. | |
Nach dem Umzug mit meiner Mutter in die USA versuchte ich jahrelang, | |
unsichtbar zu werden. Denn jedes Mal, wenn der Iran in den Nachrichten | |
erwähnt wurde, bedeutete das für mich, dass ich in der Schule gemobbt | |
wurde, und ich stand Todesängste aus. Auf den Autos der Eltern, die ihre | |
Kinder abholten, prangten Aufkleber mit der Parole „Bomb bomb bomb / bomb | |
bomb Iran“, die man zur Melodie von „Barbara Ann“ von den Beach Boys hät… | |
singen können. Ich verbarg meine Herkunft, so gut es ging. Im Mittleren | |
Westen, wo wir lebten, war das nicht leicht; die Leute fragten mich | |
ständig, woher ich käme. Wenn ich „von hier“ erwiderte, bohrten sie nach: | |
„Und deine Eltern?“ Ich wusste, welche Demütigungen mein Vater jedes Mal am | |
Flughafen in Detroit über sich ergehen lassen musste, wenn er uns besuchen | |
kam. Wir warteten immer eine Ewigkeit in der Ankunftshalle, denn trotz | |
seiner Greencard wurde sein Reisegepäck bis ins Kleinste durchsucht, wurden | |
alle Schriftstücke in persischer Sprache, die er dabei hatte, kopiert. | |
Stets kam er als Letzter heraus. | |
Meine Großmutter sagte, ich solle die Bescheinigung, dass ich zu den | |
Nachfahren der „Mayflower“ gehörte, mit in die Schule nehmen. „Du bist | |
amerikanischer als deine Klassenkameraden!“, sagte sie im Brustton der | |
Überzeugung. Sie betrieb Ahnenforschung und hatte unsere Familie sogar bis | |
zu Wilhelm dem Eroberer zurückverfolgt. Wir waren in der | |
Mayflower-Gesellschaft, bei den Töchtern der Amerikanischen Revolution, | |
hätten der Hugenottengesellschaft beitreten können, und unsere Vorfahren | |
hatten in der Amerikanischen Revolution und im Bürgerkrieg gekämpft. | |
Vor Kurzem habe ich einen Gentest zur Herkunftsanalyse gemacht, weil ich | |
neugierig war, wie viel von unserer Familiengeschichte bloß Mythos war. Zu | |
meiner Überraschung stellte sich das meiste als wahr heraus. Fasziniert sah | |
ich die vielen Farben, die auf der digitalen Karte von Europa über den | |
Nahen Osten und Asien bis hinauf nach Skandinavien aufleuchteten – eine | |
Geschichte der Migration, der Immigration und der Konflikte. | |
Meine Großmutter erklärte ihre olivfarbene Haut mit „dem spanischen Blut“, | |
das mit der Armada ins Land gekommen sei, als „die“ „uns“ angegriffen | |
haben. Und als ich nun – Generationen später – ein kleines Stück Spanien | |
auf der Karte mit meinen Herkunftsländern markiert sah, hätte ich ihr gern | |
gesagt: „Grandma, die, das sind wir!“ | |
Dabei ging es mir gar nicht um meine Abstammung. Ich wollte als die, die | |
ich war, anerkannt werden. Auch wenn ich zur Hälfte von der „Mayflower“ | |
stammte, war das nicht die Hälfte, über die ich mich definierte. Ich hatte | |
meine ersten acht Lebensjahre unter Iranern, Amerikanern und Europäern | |
verbracht, und Politik hatte keine Rolle gespielt. Als | |
iranisch-amerikanisches Kind im Teheran der 1970er Jahre fühlte ich mich | |
nie auf die Weise fremd wie später in den USA. | |
## Der Hass gegen die Muslime | |
Erst im Studium in Washington, D. C., hörte ich mit dem Versteckspielen | |
auf. Im Aufenthaltsraum meines Wohnheims sah ich im Fernsehen, wie | |
amerikanische Familien während des ersten Golfkriegs aus dem Irak evakuiert | |
wurden. Sah, wie sich Kinder mitten in der Nacht an einem nahöstlichen | |
Flughafen von ihren nahöstlichen Vätern trennen mussten, – und war an mich | |
selbst erinnert. Am nächsten Tag plante ich ein Teach-in. Nachdem ich vor | |
hunderten Menschen geredet hatte, sagten mir viele: „Ich hatte keine | |
Ahnung, dass du aus dem Nahen Osten kommst.“ Es war an der Zeit, dass ich | |
die Identität, die ich jahrelang zu verbergen gesucht hatte, wieder annahm. | |
Ich verbrachte ein Jahr in Kairo, ein Jahr in Teheran und kehrte dann für | |
die Doktorarbeit in Anthropologie und Iran-Studien in die USA zurück. | |
Am 11. September 2001 lebte ich seit zehn Jahren in New York und schrieb an | |
dieser Dissertation. In New York fühlte ich mich zum ersten Mal seit meiner | |
Kindheit im Iran auf der Welt zu Hause. Das sollte sich plötzlich ändern. | |
Nach 9/11 wurde in vielen Vierteln zu den Waffen gerufen. Gegen die | |
Muslime. Manche Bürger nahmen das Recht in die eigene Hand und verprügelten | |
Menschen, die nichts mit dem Anschlag auf die Twin Towers zu tun hatten. | |
Sogar Sikhs, die man für Muslime hielt, wurden zusammengeschlagen, | |
beschimpft oder sogar umgebracht. Beim Arzt im Wartezimmer oder in der | |
Schlange beim Einkaufen musste ich mir üble Kommentare zu Muslimen anhören. | |
Ich bekam Angst vorm Fliegen, nicht nur weil eine Bombe hätte explodieren | |
können, sondern auch, weil es die Hölle war, mit einem US-Pass zu reisen, | |
auf dem als Geburtsland der Iran vermerkt war. Penibelst achtete ich | |
darauf, dass ich nichts Persisch Geschriebenes mit an Bord nahm, und sprach | |
auf Flughäfen kein Persisch. | |
Ich schwieg auch, als es zu weiteren vermeintlich harmlosen Vorfällen kam. | |
Mehrfach und sogar schon in der Vorschule musste mein Sohn sich sagen | |
lassen, dass Muslime böse seien und der Iran ein kriegstreiberischer Staat. | |
Und das alles, bevor wir ihm überhaupt richtig erklären konnten, was der | |
Islam ist und was es heißt, aus dem Iran zu stammen, aber nicht dort | |
geboren zu sein. Als wir einmal in unserem Lieblingsimbiss Ramensuppe essen | |
wollten und in der Schlange standen, um zu bezahlen, suchte mein Mann | |
offenbar etwas zu lange das passende Kleingeld zusammen, und plötzlich | |
brüllte jemand hinter uns, er solle dorthin zurückgehen, wo er hergekommen | |
sei. Im letzten Frühjahr wurden Frauen im Hidschab zum Verlassen eines | |
Cafés aufgefordert, in das ich immer gern gegangen war. Noch ein Ort zum | |
Boykottieren. | |
## Unerwartete Solidarität | |
Trumps Sieg in den Vorwahlen war für viele ein Aufruf zu Rassismus und | |
Hass. Doch am Morgen nach seinem Triumph geschah etwas Wunderbares: Zum | |
ersten Mal seit 9/11 erklärten sich Leute auf Facebook, Twitter oder in | |
E-Mails solidarisch mit Muslimen. Gloria Steinem versprach, wenn sich „eine | |
von uns“ als Muslimin registrieren lassen müsse, würden „wir uns alle“ … | |
Muslimin registrieren lassen – die Identität eines Menschen solle nicht | |
länger von der Geburt bestimmt, sondern zur politischen Entscheidung | |
gemacht werden. | |
Ich habe eine iranische und eine amerikanische Geburtsurkunde. Letztere ist | |
von der US-Botschaft in Teheran ausgestellt und bescheinigt die „Geburt | |
eines amerikanischen Staatsbürgers im Ausland“. Ich wurde in einer Gemeinde | |
irischer Missionare in Teheran katholisch getauft und erzogen und bin nach | |
den Gesetzen des Islam Muslimin, weil mein Vater Muslim war. Werde ich | |
dadurch zur Immigrantin? | |
Meine Mutter ist Amerikanerin, in den USA geboren und aufgewachsen. Ihre | |
Vorfahren kamen, wie erwähnt, mit den Pilgervätern, und ihr Großvater war | |
aus Deutschland. In den 1970er Jahren reisten wir jeden Sommer in die USA, | |
und als wir nach den Umwälzungen im Iran dorthin zogen, wohnten wir bei | |
meiner amerikanischen Großmutter in deren Elternhaus. Ich schaute | |
„Sesamstraße“ und „Unsere kleine Farm“ und aß Kentucky Fried Chicken.… | |
bin Amerikanerin, Iranerin, Immigrantin, Bürgerin, katholisch-muslimische, | |
agnostische Ethnologin. | |
## Zusammen gegen den Verlust | |
Mein Vater wartete Jahre, bis er – widerstrebend – die amerikanische | |
Staatsbürgerschaft beantragte. Er befürchtete, er werde sich eines Tages | |
entscheiden müssen und bei einer solchen Entscheidung werde etwas verloren | |
gehen. Er starb, bevor Trump seinen Einreisestopp für Muslime verkündete. | |
Ich war an dem Abend in Los Angeles in der Oper. Mozarts „Entführung aus | |
dem Serail“ spielte im Orientexpress, dem Zug, mit dem man einst ganz | |
selbstverständlich zwischen Orient und Okzident hin- und herfahren konnte. | |
Ein europäischer Graf versucht, seine entführte Verlobte aus dem Harem | |
eines osmanischen Paschas in eben dem Orientexpress (auf der Fahrt von | |
Istanbul nach Paris) zu befreien. Eine sehr passende Oper für den Abend: | |
Entführung, Gefangene, eine Reise vom Orient in den „Westen“. Am Ende | |
schenkt der Muslim dem Grafen und seiner Verlobten die Freiheit. Er erzählt | |
ihnen, dass der Vater des Grafen zwar sein ärgster Feind gewesen sei, er | |
aber dessen Untaten nicht mit Untaten vergelten wolle. Er wolle sich als | |
der bessere Mensch erweisen. | |
Ein paar Meilen entfernt, am internationalen Flughafen von Los Angeles, | |
spielten sich derweil erregte, wütende Szenen ab. Menschen versammelten | |
sich dort zum Protest und ermahnten uns, dass wirklich etwas verloren geht, | |
wenn wir jetzt nicht handeln. | |
Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier | |
3 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Roxanne Varzi | |
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