# taz.de -- Bundeswehr in Mali: In der Hitze von Camp Castor | |
> Ein Soldat, der auf den Einsatz wartet, Männer, die im Schatten dösen – | |
> alles scheint ruhig zu sein in Gao. Aber was, wenn der Ernstfall | |
> eintritt? | |
Bild: Soldat und Hubschrauber. Szene aus Camp Castor | |
GAO taz | Es ist ein liebevoller Blick, den Stephan K. für „sein Baby“ hat. | |
Er lässt ihn von Cockpit über die Blätter bis hin zu den offenen Türen | |
wandern. Dahinter verbergen sich Beatmungsgeräte, Monitore zur | |
Patientenüberwachung, ein Defibrillator, eine Spritzenpumpe – all das, was | |
ein Rettungswagen auch an Bord hat. Der einzige Unterschied ist der | |
Einsatzort: Stephan K.s „Baby“ steht als einer von vier Hubschraubern des | |
Typs NH-90 im Camp Castor am Rande der nordmalischen Stadt Gao. | |
Auch in dem riesengroßen schützenden Zelt in hellem Beige klettert die | |
Temperatur in den Mittagsstunden auf über 40 Grad Celsius. Der 48-jährige | |
Soldat, der am größten Auslandseinsatz der Bundeswehr teilnimmt und deshalb | |
nicht seinen vollen Namen nennen möchte, muss im Hubschrauber knien. Dabei | |
überprüft er jedes Gerät auf Einsatzbereitschaft. Hier ein Knopfdruck, da | |
der Blick in eine Box. Irgendwann nickt Stephan K., der sich vor neun | |
Jahren für die Luftrettung entschied, und sagt: „Sanitätstechnisch sind wir | |
einsatzbereit.“ | |
Gleichzeitig hofft er, dass er einen Einsatz bis Mitte April, wenn er | |
vorläufig nach Deutschland zurückkehrt, nicht miterleben muss. Einen | |
„scharfen Einsatz“, wie sie im Camp sagen, mit zwei Schwerverletzten hat es | |
bisher einmal gegeben. Der Angriff auf einen Konvoi und der anschließende | |
Flug ist bei den Heeresfliegern bis heute Thema. | |
K. hat sich für einen Moment in die offene Tür des Hubschraubers gesetzt. | |
Er trägt einen langärmligen Fliegeroverall, schwere Schuhe, seine Waffe auf | |
der linken Seite. Sein Gesicht glänzt vor Schweiß. „Dann kommen natürlich | |
die Fragen hoch. Was passiert nach dem Aufenthalt im Krankenhaus? Es gibt | |
ja keine Rehamaßnahmen.“ Stephan K., der auch für die Ausbildung der | |
Rettungssanitäter zuständig ist, ist einer der wenigen Soldaten, die das | |
Camp Castor überhaupt verlassen dürfen. | |
Der Einsatz in Gao gilt als gefährlich. Das Umland ist nicht sicher, | |
islamistische Gruppen verüben immer wieder Überfälle und Anschläge. Auch | |
Gao selbst ist immer wieder Anschlagsziel. Die große Mehrheit der aktuell | |
727 deutschen Soldaten in Gao lebt auf dem gut gesicherten | |
Bundeswehrgelände. Nur während der An- und Abreise geht es im geschützten | |
Fahrzeug und in Schutzweste zum Flughafen, der nur wenige Hundert Meter | |
entfernt liegt. Man klagt über die schlechte Landebahn, die immer mehr zur | |
Schotterpiste wird. | |
Noch vor ein paar Jahren hätte niemand damit gerechnet, wie strategisch | |
wichtig der Flughafen mit seinem halb verfallenen sandgelben Gebäude einmal | |
werden würde. | |
Nach Gao selbst kommen nur jene Soldaten, die Patrouillen fahren. Auf | |
Dschihadisten oder Banditen soll das abschreckend wirken. Gleiches gilt für | |
den Einsatz der deutschen Hubschrauber, auch wenn sie nur zu Übungsflügen – | |
etwa eine Staublandung in der Wüste – aufsteigen. Zur Aufklärung weren auch | |
die kleine Drohne Luna sowie das etwas größere Aufklärungsflugzeug | |
eingesetzt. | |
## Auf zur Staublandung | |
Im Zentrum von Gao sind die weißen Fahrzeuge mit dem Aufdruck „UN“ | |
sichtbarer. Die UN-Mission Minusma in Mali hat landesweit über 11.000 | |
Blauhelme stationiert. Auf den Dächern flattern kleine blaue Flaggen mit | |
Logo im Wind. An einigen Ecken stehen auch Soldaten der malischen Armee, | |
die zum Beispiel am Platz der Unabhängigkeit für Abschreckung sorgen | |
sollen. Am frühen Nachmittag ist die Stadt, die einst Wirtschaftsmetropole | |
des Nordens war und in der heute etwa 100.000 Menschen leben, so träge, | |
dass die UN-Fahrzeuge für einen Moment überdimensioniert wirken. | |
Nur wenige Hundert Meter entfernt nahe der größten Einkaufsstraße ändert | |
sich das. Zwiebelverkäufer dösen im Schatten, junge Männer fahren auf | |
Mopeds durch die Gegend. Bewacht werden hier nur noch ein paar Banken, vor | |
denen mit Sand gefüllte Fässer aufgestellt worden sind. Schon im | |
vergangenen Jahr klagten Bewohner in der Region über Wegelagerer, | |
Raubüberfälle und schwer bewaffnete Banditen. Sie dürften schon wenige | |
Kilometer vom Stadtzentrum entfernt leichtes Spiel haben, weil die Straßen | |
dort zu kaum noch erkennbaren Sandpisten werden. Die Checkpoints wirken | |
halbherzig aufgebaut, und die malischen Soldaten machen nicht den | |
Eindruck, es mit schwer bewaffneten Terroristen aufnehmen zu wollen. | |
Dabei wäre es ihre Aufgabe, auf Terroristejagd zu gehen. Dafür sind | |
außerdem Soldaten der französischen Barkhane-Mission im Rahmen eines | |
bilateralen Abkommens vor Ort. Sie kämpfen auch mal in der Wüste gegen | |
islamistische Gruppen. Die gut 11.000 Blauhelme haben dafür kein Mandat. | |
Sehr zum Unmut der Bevölkerung. In fast jedem Gesprächen heißt es | |
irgendwann: In Gao sieht man sie zwar, aber niemand bewacht beispielsweise | |
die Straße, die durch die Wüste in Richtung Norden nach Kidal führt. | |
Soldaten wiederum beklagen, dass die Menschen vor Ort das nicht verstehen | |
wollen. | |
## „Gefährlichste Mission der Welt“? | |
Kader Touré schiebt das Tor zum Hinterhof auf. Dort befindet sich das | |
Studio des Radiosenders Annia, den er leitet. Er stammt aus Timbuktu, lebt | |
aber seit 27 Jahren in Gao. „Ohne die Soldaten der Minusma wäre die Lage | |
schlimmer“, sagt er, als er hinter dem Mikrofon in dem düsteren Studio | |
sitzt. Was er meint, wird schnell deutlich. | |
Immer wieder kommt er auf die Besetzung durch die islamistische Gruppierung | |
Mujao – die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika – zu sprechen, | |
die Gao von April 2012 bis Januar 2013 besetzte. Im übrigen Norden waren | |
al-Qaida im Islamischen Maghreb sowie Ansar Dine – die sogenannten | |
Verfechter des Glaubens – aktiv. Die Gruppen legten die Scharia mit | |
besonderer Härte aus; die Wirtschaft brach zusammen, Banken funktionierten | |
nicht mehr, 200.000 Menschen flüchteten. Nachdem Frankreich 2013 die | |
Islamisten verjagt hatte, kam die UN-Mission, um gemeinsam mit Malis | |
Regierung den Norden wieder unter Kontrolle zu bekommen. | |
Für die Bundeswehr wird der Einsatz oft als die „gefährlichste Mission der | |
Welt“ bezeichnet. In Gao hat sich bei vielen Bundeswehrsoldaten neben dem | |
Angriff auf den Konvoi allerdings ein anderer Anschlag eingebrannt: Auf dem | |
Weg in die Stadt liegt auf der rechten Seite das Lager der MOC, des in | |
Malis Friedensprozess vereinbarten Zusammenschlusses aus Regierungssoldaten | |
und ehemaligen Rebellengruppen, die gemeinsam Städte wie Gao sichern | |
sollen. Bei einem Anschlag von al-Qaida auf die MOC-Basis in Gao starben | |
Mitte Januar mindestens 70 Menschen. Heute ist der Eingang zwar besser | |
gesichert, doch trotzdem erinnert der Anschlag daran, dass die diffuse | |
Gefahr plötzlich sehr real werden kann. | |
In der großen Halle steht Stephan K. neben seinem „Baby“. Zweimal täglich | |
kommt ein Briefing aus der Hauptstadt Bamako, damit Piloten und | |
Rettungspersonal wissen, wo welcher Konvoi unterwegs ist und wo es im Fall | |
der Fälle hingehen könnte. An diesem Morgen bleibt es ruhig. Trotzdem sagt | |
der Soldat: „Ich halte den Einsatz für hochbrisant.“ Er war vorher viermal | |
in Afghanistan und Mazedonien und wird noch zweimal nach Gao kommen. | |
## Angst vor Sprengfallen | |
Sollten sie fliegen müssen, dann aus Sicherheitsgründen mit zwei | |
Hubschraubern. Einer landet und nimmt Patienten auf, der zweite bleibt zur | |
Überwachung in der Luft. Neben der Patientenversorgung geht es auch darum, | |
Angreifern kein hochwertiges Material zu überlassen. Viel wahrscheinlicher | |
als ein offenes Feuergefecht dürfte jedoch der Anschlag mit einem | |
Improvised Explosive Device sein. Im Camp Castor, das die niederländische | |
Armee errichtet hat, wird oft darüber gesprochen. Die Sprengstofffallen, | |
versteckt unter Brücken, in Wasserkanistern oder parkenden Autos, gelten | |
als größtes Sicherheitsrisiko. Manchmal kommt es innerhalb weniger Tage zu | |
mehreren Anschlägen. | |
Im Studio von Radio Annia bereitet Kader Touré die nächste Sendung vor. | |
Meist wird in Songhai, der am weitesten verbreiteten Sprache in der Region, | |
gesendet. Touré legt sich ein paar Zettel zurecht. Das Nachrichtenprogramm | |
wird nicht vom Minusma-Einsatz beherrscht, sondern aktuell auch von der | |
Konferenz zur nationalen Einigung, die am Montag in Bamako begonnen hat. | |
Zahlreiche Gruppierungen haben abgesagt, obwohl das Treffen als | |
richtungweisend für die Entwicklung des Landes galt. | |
Im Norden geht es längst nicht nur um Tausende Soldaten aus 50 Nationen, | |
sondern auch um die Frage, was aus dem Land künftig wird. Bevor die | |
Islamisten 2012 kamen, hatte ein Teil der Tuareg schließlich die Spaltung | |
vom Süden gefordert. „Die Fragen, wie die verschiedenen Gruppen | |
zusammenleben und wie sich unser Land wieder vereinigt, bleiben“, sagt | |
Touré und wippt fast unmerklich auf dem alten Stuhl hin und her. Die | |
wenigen Lichtstrahlen, die von draußen eindringen werden kräftiger. Der | |
Sonnenuntergang steht kurz bevor. | |
Kader Touré stellt sich auf einen langen Prozess ein. Gut sechs Kilometer | |
entfernt tut Stephan K. das Gleiche. „Das Gras wächst nicht schneller, wenn | |
man daran zieht“, sagt er. Das gilt auch für die Mali-Mission. Niemand geht | |
von einem schnellen Ende aus: Noch einmal schaut K. sein Baby an. „Ich | |
glaube an den Einsatz“, sagt er. | |
1 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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