# taz.de -- Debatte Sport als Millionengeschäft: Boykottiert die Bundesliga! | |
> Die finanziellen Exzesse im Spitzensport zerstören den freien Wettbewerb. | |
> Vorhersehbare Ergebnisse der Ligen langweilen doch nur. | |
Bild: Diese Ecke wird ihnen präsentiert von taz.de | |
Ich habe die Nase voll. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass der Spitzensport | |
als eine besonders korrupte Abart des entfesselten Neoliberalismus | |
entlarvt wird. Erst am letzten Wochenende, im Revier, wo einst Bergarbeiter | |
die Stadien füllten und heute Gazprom gegen Evonik spielt, stülpte sich ein | |
Spieler nach einem Torerfolg eine dämliche Maske über den Kopf. Am nächsten | |
Tag startete ein führender Sportartikelkonzern aus den USA eine | |
Werbekampagne für seinen neuen Schuh: „The Masked Finisher“. | |
„To finish“ bedeutet fertig machen, und was der Mann im gelben Trikot – im | |
Doppelpass mit den Konzernapparatschiks – fertiggemacht hat, war der letzte | |
Rest sportlichen Anstands. Die Emotionen der Fans sind offensichtlich auch | |
eine profitable Ressource, die es zu nutzen gilt. Absehbar, wie bald alles | |
in klirrende Münze verwandelt wird: „Dieser Strafstoß wird Ihnen | |
präsentiert von Penny; diese Ecke von Edeka.“ | |
In der MLB, der US-amerikanischen Baseball-Profiliga, wird schon jeder | |
Homerun an Sponsoren verscherbelt, wie auch jede Computeranimation über die | |
Flugkurve des Balls oder die Laufgeschwindigkeit des Spielers. Nur die | |
Nationalhymne ist noch nicht verpachtet, aber das kann ja noch kommen. | |
Der medial allgegenwärtige Spitzensport, an erster Stelle und mit großen | |
Abstand natürlich Fußball, hat inzwischen finanzielle Dimensionen erreicht, | |
die jegliche Meritokratie, von Gerechtigkeitssinn nicht zu reden, | |
verspotten. Die Bundesligaklubs geben in etwa eine Milliarde Euro allein | |
für Gehälter aus. Vor einigen Jahren gab es in der Chefetage von VW ein | |
böses Erwachen, als publik wurde, dass Wolfsburgs Topspieler Diego ohne | |
Prämien mehr verdiente (8,2 Millionen) als Herr Sanz, Vorstand des Konzerns | |
VW und VfL-Aufsichtsratschef mit Prämien (7,7 Millionen). Anders | |
verglichen: Selbst ein Kicker bei einem abstiegsbedrohten Verein verdient | |
ein Vielfaches mehr als ein Professor, von Krankenschwestern oder | |
Grundschullehrern ganz zu schweigen. | |
Zudem zerstören solche Exzesse, wie im richtigen Leben, den freien | |
Wettbewerb. Momentan ist Darmstadt 98 Schlusslicht. Nein, nicht nur in der | |
Tabelle, sondern auch bei den monatlichen Gehältern (nur läppische 0,38 | |
Millionen.) Vorletzter in beiden Auflistungen ist – was für eine | |
Überraschung – FC Ingolstadt (bescheidene 0,42 Millionen). Spitzenreiter, | |
wahrscheinlich in jeder Statistik, ist der FC Bayern (stolze 5,2 | |
Millionen). Wer die Ergebnisse der Bundesliga für spannend hält, ist wohl | |
ein Anhänger der Diktatur des vorweggenommenen Ausgangs. | |
## Abzockparadiese | |
Und wer argumentiert, all das gebe der freie Markt halt her, wodurch es für | |
manche auf alchemistische Weise gerechtfertigt erscheint, lügt sich etwas | |
ins Fäustchen. Denn dieser Protz wäre unmöglich ohne all die direkten und | |
indirekten Subventionen. Die öffentliche Hand bezahlt nicht nur die Stadien | |
(meist Zuschüsse der jeweiligen Stadt sowie des Bundeslandes), sondern auch | |
die nötige Infrastruktur, die angeblich allen zugute komme. Ebenso werden | |
die teilweise aufwendigen Polizeieinsätze von den Steuerzahlern getragen. | |
So wie die Umweltkosten nicht auf den Schultern der Produzenten und | |
Verkäufer lasten, werden diese öffentlichen Ausgaben nicht von den Vereinen | |
beglichen. | |
Die internationalen Verbände sind, wie allgemein bekannt, um keinen Deut | |
besser. Im Gegenteil: Großveranstaltungen wie Fußball-WM und Olympische | |
Spiele werden kontrolliert von kleinen Gruppen, in denen sich auffällig | |
viele mafiöse und autoritäre Figuren tummeln. Das IOC und die Fifa sind | |
Vereinigungen nach Schweizer Recht, was es ihnen ermöglicht, rechtsfreie | |
Räume zu schaffen, auch Abzockparadiese genannt. Im Umkreis des Stadions | |
gelten die Regeln von Fifa oder IOC. Die Austragungsländer überlassen ihnen | |
wesentliche Hoheitsrechte, setzen für sie Grenzkontrollen, Steuer-, | |
Arbeits- und Finanzgesetze außer Kraft. | |
Fifa und IOC betreiben diese „Kulturgüter der Menschheit“ als Monopol einer | |
elitären, neofeudal organisierten Gruppe. Während die Veranstalter, ergo | |
das Steuern zahlende Volk, seit Jahrzehnten stets Defizite tragen müssen, | |
machen IOC und Fifa unabhängig von Erfolg und Ausgang gewaltige Gewinne, | |
deren Verwendung auch keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt. | |
Klaus Zeyringer, dessen Buch „Fußball: Eine Kulturgeschichte“ eine | |
Pflichtlektüre zu diesem Thema ist, erzählt von einer Podiumsdiskussion, | |
bei der ein Cheftrainer auf Kritik an den exzessiven Gehältern hin | |
geantwortet habe: „Ja, aber wir haben ja auch viel mehr Zuschauer als alle | |
anderen.“ Abgesehen von der evidenten Tatsache, dass wohl niemand möchte, | |
dass existenziell wichtige Aufgaben – sagen wir zum Beispiel | |
Herzoperationen – vor Tausenden von Zuschauern stattfinden, deutet diese | |
unverschämte Hybris eines zu oft interviewten Kickanweisers ungewollt auf | |
die Lösung des Problems. | |
## Zuschauer als Mithelfer | |
Das System funktioniert einzig und allein, weil wir uns weiterhin die Rolle | |
des unkritischen Konsumenten gefallen lassen. Die massiven Gewinne | |
verdanken sich wesentlich der Abgeltung der Übertragungsrechte, die | |
inzwischen in die Abermilliarden gehen. Ein jeder von uns Glotzern und | |
Gaffern ermöglicht also den weltmeisterlichen Reibach. Wer den Fernseher | |
ausschaltet, könnte sich nicht nur endlich mal wieder selbst bewegen, | |
sondern bekämpft zudem auf effektive Weise die demokratiefeindliche | |
Ausnutzung des Sports. | |
Das ist, gebe ich zu, leichter gefordert als getan. Als Sportliebhaber | |
verbringe ich viel zu viel Zeit vor dem Bildschirm. Doch gerade wer den | |
Sport großartig findet, wer dem Reiz des Fußballspiels erlegen ist, wird es | |
endlich für notwendig erachten, diesen dringend von den beschriebenen | |
Machenschaften zu reinigen. Als Zuschauer sind wir in diesem Fall | |
Mithelfer. Das muss nicht sein. | |
Gerade wer die Nase voll hat, sollte zum Boykott schreiten. Etwa zur | |
nächsten Fußballweltmeisterschaft in Oligarchiya. Ich schwöre bei Thomas | |
Müllers Kopf und den Beinen von Ronaldo, ich schaue mir im Sommer 2018 kein | |
Match an! Wer macht mit? | |
8 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
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