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# taz.de -- Ein Kurde als Zielobjekt: Immer in Bewegung
> Der Bremer Yücel Koc ist einer der höchsten Kurden-Funktionäre Europas
> und sollte ermordet werden. Wie lebt er damit?
Bild: Gegen den Terror des „Islamischen Staats“: Kurdische Demo in Hannover…
HAMBURG taz | Es ist noch nicht vorbei, sagt Yücel Koc. „Wir haben
Informationen über neue Gruppen.“ Der Satz klingt verfassungsschutzhaft,
aber harmlos für das, was Koc meint: Er meint „Gruppen“, die ihn, 52,
Gabelstaplerfahrer im DHL-Paketlager in Bremen und gleichzeitig einer der
höchsten Kurden-Funktionäre Europas, töten sollen.
So, wie drei PKK-Funktionärinnen in Paris im Januar 2013 getötet wurden.
Oder so, wie es Mehmet Fatih S., ein 31 Jahre alter Türke aus Hamburg, es
im vergangenen Jahr offenbar bei Koc plante. Im Oktober nahm das BKA S. in
Hamburg fest. Der Generalbundesanwalt hegte „dringenden Verdacht der
geheimdienstlichen Agententätigkeit“. S. soll für den türkischen
Geheimdienst Kurdenführer wie Yücel Koc ausgespäht haben – als Teil eines
Mordkommandos.
Seit einem halben Jahr weiß Koc von Attentatsplänen gegen ihn. Viele
hielten die Sache für eine Räuberpistole, von den Kurden in die Welt
gesetzt, um die Türkei zu diskreditieren. Propaganda in einem schmutzigen
Krieg, der auch in Deutschland geführt wird.
Doch die deutschen Behörden nahmen die Sache ernst. Sie fanden genug
Indizien, Dokumente, Aussagen, um S. festzunehmen. Der sitzt nun im
Gefängnis in Hamburg. Der Prozess am Landgericht wird vermutlich im Mai
eröffnet.
## Droh-SMS
Koc, ein freundlicher Mann, der immer etwas vernuschelt spricht, bekam SMS
mit Botschaften wie: „Du hast nicht mehr viel Zeit“. Er versteckt sich
nicht, sagt er am Telefon. Stattdessen bleibe er „immer in Bewegung“.
Bremen, wo seine Familie lebt, ist für ihn jetzt ein gefährlicher Ort. Ihn
zu treffen ist schwierig. „Nie lange in einer Stadt“ sei er jetzt, sondern
mal hier, mal da, Versammlungen, Demos. Das Netzwerk der Kurden in
Deutschland ist groß, es kann jemanden auffangen, der wie er seine Arbeit
kündigen musste. Er sei „immer politisch aktiv.“ Irgendwie ist es für Koc
auch fast so, wie es in den letzten drei Jahrzehnten meistens war.
1965 wurde er in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei geboren.
Als junger Mann zog er nach Istanbul, „wegen dem Krieg und wegen dem
Studium“. 1989 schloss er die Technische Universität als
Industrie-Ingenieur ab. Die Lage im Südosten des Landes eskalierte da, Koc
verließ das Land. 1990 kam er nach Bremen. An der dortigen Hochschule
wollte er promovieren. Aber daraus wurde nichts.
Für Koc stand nie infrage, dass die kurdische Sache für ihn an erster
Stelle steht. 1993 verbot Deutschland die PKK, rund 20 ihr nahe stehende
Vereine wurden aufgelöst. 1994 gründeten die Kurden in Duisburg einen neuen
Dachverband. Er hieß Yek-Kom. Aus seiner Nähe zur PKK machte er keinen
Hehl, gleichwohl blieb er immer legal. Koc war der Gründungsvorsitzende.
Die meiste Zeit brachte er seither als Aktivist zu. Etwas Geld verdiente er
mit einem kleinen Laden, doch der lief nicht gut, 2002 heuerte der
studierte Ingenieur bei DHL an, als Lagerarbeiter.
## Gesicht der Abwehrkämpfe
Koc lebte mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung nahe des Weserufers
in Bremen. Neben seinem Lagerjob war er Vorsitzender des lokalen
Kurdenvereins Birati. Jedes Mal, wenn in Bremen Kurden Schwierigkeiten
bekamen, wegen Öcalan-Fotos oder weil sie der PKK zu nahe gestanden haben
sollen, war es Koc, der Anwälte vermittelte und Journalisten bei süßem
Schwarztee aus kleinen Gläsern davon zu überzeugen versuchte, dass die
Kurden für eine gerechte Sache kämpfen.
Koc saß in seinem Büro, im ersten Stock eines Hauses im Bremer
Bahnhofsviertel, wo die Kurden ein etwas düsteres Stockwerk gemietet
hatten, an den Wänden hingen Bilder kämpfender Frauen und des gütig
dreinblickenden Öcalan, und Koc führte Abwehrkämpfe gegenüber dem deutschen
Staat, der sich als Partner der Türkei verstand und den Kurden die Räume
eng machte; ihre Vereine und Fernsehsender verbot, Konten einfror,
Aufenthaltserlaubnisse entzog.
Koc war das Gesicht dieser Abwehrkämpfe. Sein Ziel war, die Öcalan-treuen
Kurden zu einem politischen Faktor auch in Deutschland werden zu lassen. Er
suchte Nähe zur Linkspartei, Studentengruppen oder auch zu hohen Diplomaten
wie dem beigeordneten UN-Generalsekretär Hans-Christof von Sponeck, der auf
Koc’ Einladung in Bremen sprach.
## Politischer Drahtseilakt
Im Schatten des PKK-Verbots war Koc’ Arbeit ein jahrzehntelanges
Austarieren von sprachlichen Nuancen. Trat er zu nah an die PKK heran,
drohte ihm selbst Verfolgung und seinem Verein das Verbot. CDU,
Verfassungsschutz, die Innenbehörde hatten ihn immer im Blick. Nahm er zu
viel Distanz ein, hätte er nicht nur sein politisches Ziel verfehlt,
sondern die Öcalan-treue Basis ebenso vergrätzt wie die PKK-Führung. Ein
politischer Drahtseilakt.
Koc stürzte nicht ab. 2011 wurde er Vorsitzender des bundesweiten
Kurden-Dachverbandes Yek-Kom, 2016 Vize-Vorsitzender des europäischen
Kurden-Verbandes KCD-E.
Was, glaubt er, war für die Kurden in Deutschland politisch zu gewinnen? In
einem Land wo das Wort „Kurde“ für viele zeitweise fast wie ein Synonym f�…
„Terrorist“ klang?
„Natürlich konnten wir allein nichts ausrichten,“ sagt Koc. Aber allein
waren sie ja auch nicht. Da war zum Beispiel die „Kampagne zur Anerkennung
der kurdischen Identität“, die er gestartet hatte. 60.000 Unterschriften,
auch viele nicht-kurdische Organisationen, Petitionsausschuss, Koc durfte
im Bundestag reden. 2012 war das. „Wir wollen, dass kurdische Migranten
gleiche Rechte haben“, sagte Koc.
## Verbotene Buchstaben
Lange hatte die Türkei versucht, alles Kurdische zu verbieten, die Sprache
eingeschlossen. Die Konsulate in Deutschland hatten deswegen immer wieder
Briefe an die deutschen Standesämter geschrieben. Darin stand, dass
Buchstaben X, W und Q in türkischen Vor- und Familiennamen nicht verwendet
werden dürfen. Die drei Buchstaben kommen im kurdischen, nicht aber im
türkischen Alphabet vor, in der Türkei waren sie lange verboten.
Wenn kurdische Eltern in Deutschland Kinder bekommen und einen Namen wie
„Wâlet“ („Land“ auf Kurdisch) in die Geburtsurkunde eintragen lassen
wollten, lehnten die Standesämter oft ab. Denn die Türkei verweigerte
solchen Kindern seinerzeit schlichtweg die Staatsangehörigkeit. Heute ist
das anders. „Nach unsere Kampagne hat der deutsche Staat diese Buchstaben
akzeptiert“, sagt Koc. Solche Erfolge seien es, die ihn weitermachen
ließen, all die Jahre.
Er mache sich keine Illusionen, sagt er heute: „Deutschland und die Türkei
haben 200 Jahre gute Beziehungen, sie sind politisch, wirtschaftlich,
militärisch sehr eng.“ Aber manchmal bekommt diese Beziehung eben kleine
Risse, politische Spielräume entstehen. Das sind die Momente, für die
Kurden bereit sein müssen.
Wie 2014, als der IS vorrückte und die Kurden plötzlich zu Partnern der
Westens im Kampf gegen den Dschihad wurden – und sie auch auf ein Ende des
PKK-Verbots hofften, wenn auch bislang vergeblich.
## „Schicksalstag“ 16. April
Und so macht Koc weiter, auch mit öffentlichen Auftritten, etwa bei der
Konferenz der irakischen Jesidinnen in Berlin, bei der auch der deutsche
Botschafter im Nordirak war. Solche Treffen sind wichtig. Hat die Polizei
ihm Personenschutz angeboten? „Nein“, sagt Koc.
Für Koc steht fest: Es war der türkische Staat, der hinter den
Anschlagsplänen gegen ihn steckt. Noch durfte er in die Akten der Ermittler
keinen Einblick nehmen. Aber wenn es Erkenntnisse in diese Richtung gäbe,
böte das enormen politischen Sprengstoff – erst recht vor dem Referendum in
der Türkei am 16. April. Dies sei der Schicksalstag, glaubt Koc, für die
Türken wie für die Kurden. „Wenn ein ‚Nein‘ herauskommt, dann kann diese
Diktatur nicht mehr so weitermachen. Dann verliert sie.“
Den gesamten Schwerpunkt zum Thema „Kurden in Norddeutschland“ lesen Sie in
der gedruckten taz.nord am Wochenende oder [1][hier].
24 Mar 2017
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## AUTOREN
Christian Jakob
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