# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Berlin: Auch Grüne behindern Integration | |
> Mehrere Bezirke weigern sich, Geflüchteten einen Wohnberechtigungsschein | |
> auszustellen. Auch eine grüne Stadträtin stellt sich quer. | |
Bild: Bonjour Tristesse: Container-Heim für Flüchtlinge in Buckow | |
Sollen anerkannte Geflüchtete einen Wohnberechtigungsschein (WBS) erhalten, | |
um eine öffentlich geförderte, preiswerte Mietwohnung bekommen? Ja, sagt | |
Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag. Ja, sagen auch die meisten Bezirke, die | |
über Anträge auf einen WBS entscheiden. Ja, sagt die Senatskanzlei in einem | |
Rundschreiben an die Bezirke vom Dezember. | |
Juristisch ist das aber nicht eindeutig geregelt. Es liegt im Ermessen der | |
Bezirke, den WBS zu erteilen oder ihn zu verweigern. Und so verweigern ihn | |
die AfD-Stadträte in Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf sowie ein | |
CDU-Hardliner in Charlottenburg-Wilmersdorf. Aber auch die grüne Stadträtin | |
für Bürgerdienste, Christiane Heiß, aus Tempelhof-Schöneberg. Geflüchtete, | |
für die ihr Bezirk zuständig ist, erhalten in der Regel keinen WBS. | |
Den Betroffenen wird der WBS verweigert, wenn sie nur einen sogenannten | |
subsidiären Schutzstatus haben, was derzeit auch immer Flüchtlinge aus | |
Syrien und Eritrea betrifft. Konkret bedeutet das, dass sie zunächst nur | |
eine Aufenthaltsberechtigung von einem statt drei Jahren bekommen. Zudem | |
wird für zwei Jahre die Möglichkeit des Familiennachzugs ausgesetzt. | |
Aber auch Asylsuchenden mit einem hohen Schutzstatus wird der WBS teils | |
verweigert. Zum Beispiel, wenn die Ausländerbehörde es noch nicht geschafft | |
hat, ihnen eine elektronische Aufenthaltserlaubnis auszustellen. Das dauert | |
in Berlin nach Erfahrungen von Flüchtlingsinitiativen derzeit mindestens | |
ein Jahr. Während dieser Zeit können anerkannte Asylberechtigte ihr | |
Aufenthaltsrecht nicht nachweisen. Sie haben in solchen Fällen in | |
Marzahn-Hellersdorf, Reinickendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und eben | |
auch in Tempelhof-Schöneberg keine Chance auf eine geförderte Wohnung. | |
Die Recherchen der taz um die grüne Stadträtin Christiane Heiß haben Wirbel | |
unter den Grünen ausgelöst. Der Abgeordneten Canan Bayram zufolge haben | |
verschiedene Grüne, „unter anderen Landeschef Werner Graf“, letzte Woche | |
mit Heiß über das Thema gesprochen. Gegenüber der taz äußerte sich Heiß | |
unterschiedlich. | |
Zunächst zweifelte sie daran, ob Betroffene mit einem WBS große Aussichten | |
hätten, in Besitz einer geförderten Mietwohnung zu kommen. Nach den | |
Gesprächen mit ihrer Partei zog sich Heiß dann auf eine juristische | |
Argumentation zurück: „Die Erteilung eines WBS setzt einen rechtlich | |
verfestigten Aufenthaltsstatus voraus.“ Heiß beruft sich dabei auf eine | |
Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts. | |
Der Rechtsprechung wegen bedürfe es „einer Klärung durch den Senat | |
beziehungsweise die Ausländerbehörde. Solange die Ausländerbehörde | |
Geflüchteten keine elektronische Aufenthaltserlaubnis ausgestellt hat, ist | |
das Bezirksamt nicht in der Lage, die Situation rechtssicher zu | |
beurteilen.“ Nach den Gesprächen mit ihren Parteifreunden fügte Heiß hinzu: | |
Wenn der Senat den Bezirksämtern einen Ausführungserlass im Geiste der | |
Koalitionsvereinbarung gebe, würde sie sich nicht länger sperren. Ein | |
solcher Erlass ist bei Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) in Arbeit – | |
aber er liegt noch nicht vor. | |
Ein Einlenken von Heiß würde sicher auch die Grünen im Nachbarbezirk | |
Charlottenburg-Wilmersdorf freuen. Dort bereitet die Fraktion einen | |
Beschluss im Bezirksparlament vor, der den CDU-Stadtrat Arne Herz zwingen | |
soll, den betroffenen Geflüchteten einen WBS auszustellen. Der | |
Bezirksverordnete Christoph Wapler sagt: „Stadtrat Arne Herz hat uns | |
natürlich aufs Butterbrot geschmiert, dass er da nicht nur in Gesellschaft | |
von zwei AfD-Stadträten agiert, sondern auch in Gesellschaft einer Grünen.“ | |
Auch in Marzahn-Hellersdorf soll es einen solchen Beschluss geben – | |
selbstverständlich mit den Grünen. | |
Die integrationspolitische Sprecherin der Grünen, Canan Bayram, äußert sich | |
diplomatisch zu Christiane Heiß. „Wir haben die Erwartung geäußert, dass | |
sich eine grüne Stadträtin an den Koalitionsvertrag hält. Dass sie hier zu | |
ihrer Absicherung eine klare Anweisung der Landesebene fordert, scheint mir | |
juristisch sauber. Als Abgeordnete der Koalition erwarte ich jetzt, dass | |
die Ausländerbehörde zügig elektronische Aufenthaltserlaubnisse ausstellt | |
und dass Katrin Lompscher ihren Erlass erstellt. Dann wäre das Problem vom | |
Tisch.“ | |
Auch der Flüchtlingsrat kritisiert seit Langem die Verzögerung bei der | |
Erstellung der Aufenthaltserlaubnisse. „Wir fordern Innensenator Andreas | |
Geisel auf, anerkannten Flüchtlingen umgehend die ihnen nach dem | |
Aufenthaltsgesetz zustehende Aufenthaltserlaubnis auszustellen“ sagt dessen | |
Sprecher, Georg Classen. Die Verzögerung sei rechtswidrig. So hätten | |
anerkannte Asylberechtigte nicht nur bei der Wohnungssuche Probleme, | |
sondern auch bei der Jobsuche, dem Familiennachzug und beim Zugang zu | |
Integrationskursen. | |
21 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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