# taz.de -- Selbstfahrende Transportmittel: Freie Fahrt für befreite Bürger | |
> Digitalisierung ist doof? Nein. Sie ist eine Chance. Die einzigartige | |
> Chance, das eigene Auto überflüssig zu machen. Ein Zukunftsszenario. | |
Bild: Sieht doch ganz nett aus, so ein autonom fahrender Bus | |
In Wirklichkeit ist es doch so: Kaum jemand verspürt das innere Bedürfnis, | |
sich an einem Sitz festzugurten, die Arme nach vorn zu strecken und, in | |
dieser Position verharrend, nur ab und an mal mit den Füßen nach unten | |
tippen zu dürfen oder den Kopf ruckartig zur Seite zu drehen. | |
Nein, Autofahren ist nichts, was wie die Erfüllung eines genuin | |
menschlichen Bedürfnisses wirkt. Auch wenn es natürlich Menschen gibt, die | |
am Steuer eine an anderer Stelle fehlende Freiheit kompensieren – | |
eigentlich ist es eher ein Mittel zum Zweck, um andere Bedürfnisse zu | |
erfüllen. Von A nach B kommen. Möglichst schnell. Möglichst wenig der | |
Unbill des Wetters ausgesetzt. Und vielleicht auch noch, ohne dabei den | |
Eindruck zu gewinnen, man befände sich in einem Experiment, bei dem | |
getestet wird, wie viele Menschen man ohne bleibende Schäden auf wie wenig | |
Quadratmeter unterbringen kann. | |
Seit dem Einbau des Verbrennnungmotors in einen Untersatz mit Rädern ist | |
das Problem des Von-A-nach-B-Kommens nicht massenkompatibler gelöst worden | |
als mit dem Privatauto. Es wurde schneller, dicker und gepanzerter, die | |
Insassen immer besser geschützt, alles drumherum dafür immer verwundbarer | |
und so die Kluft zwischen innen und außen immer größer. Doch nun gibt es | |
eine Chance. Die Chance, diese Kluft zu schließen, die Fortbewegung | |
komplett neu aufzustellen und dabei das noch Unvorstellbare umzusetzen: | |
einen Verkehr ohne Privatautos. | |
Den ersten Schock verarbeitet? Gut. Dann gehen wir jetzt in die Details und | |
arbeiten uns langsam vor, von einfach nach schwierig. Stufe 1: Menschen von | |
A nach B bringen. Menschen sind, was den Transport angeht, in vielerlei | |
Hinsicht unkomplizierter als Waren. Sie können sich in der Regel selbst für | |
ein paar Meter fortbewegen, werden selten geklaut, und es gibt keine | |
Kühlkette, zu deren Einhaltung man verpflichtet wäre. Sie können außerdem | |
selbst kommunizieren, wo sie hinwollen. Zum Beispiel: Per App ein selbst | |
fahrendes Auto rufen. Eines von einer ganzen Flotte, die durch die Stadt | |
fahren, elektrisch und mit Ökostrom angetrieben, per Induktion unterwegs | |
geladen und rund um die Uhr einsatzbereit. | |
„Autonome Shuttles“ nennt der Verkehrsforscher Andreas Knie diese | |
Fahrzeuge. Er sagt: Sie kommen früher, als wir uns das derzeit vorstellen. | |
„Wir gehen davon aus, dass es innerhalb der nächsten drei Jahre die ersten | |
solcher Systeme auf ausgewählten Trassen gibt.“ Und in zehn, vielleicht | |
fünfzehn Jahren in ganz regulärem Betrieb. | |
## Das System muss brillant sein | |
Wissenschaftler des Berkeley Lab kamen 2015 zu dem Ergebnis: So eine | |
elektrisch angetriebene Shuttle-Flotte würde im Vergleich zu dem | |
entsprechenden Verkehrsaufkommen von Privatfahrzeugen mit | |
Verbrennungsmotoren rund 90 Prozent der Emissionen einsparen. Das gehe | |
unter anderem auf eine bessere Auslastung und einen steigenden Anteil von | |
erneuerbaren Energien im Strommix zurück. Zusätzliche Effekte, wie, dass | |
selbst fahrende Autos dichter auffahren können, vorausschauender fahren und | |
dadurch wiederum der Verbrauch sinke, seien dabei noch gar nicht | |
eingerechnet. | |
Die Shuttles sind natürlich nur ein Teil: Die bestehende Systeme von Bus | |
und Bahn ein weiterer, und dazu kommt ein dichtes Netz an Fahrrad- und | |
Lastenradverleihstationen. Allerdings wird es nicht reichen, auf | |
Leihsysteme und Shuttles zu verweisen. Zu viel Faulheit, zu viel Winter. | |
Das System muss gut sein. Nein, brillant. Die Fahrzeuge nah und verfügbar, | |
die Nutzung komfortabel und über eine Telefonzentrale auch für | |
Smartphone-Skeptiker möglich und die Dienste zahlbar auch mit | |
Prepaid-Tarifen, damit die Mobilitäts- nicht gleich zur | |
Überwachungsgesellschaft wird. Ein System, so gut also, dass es | |
komplizierter wäre, das eigene Auto zwei Straßen weiter zu suchen oder aus | |
der Tiefgarage zu holen. | |
Die Shuttles sind übrigens nicht nur für Städte, sondern genauso für | |
Vororte und ländliche Gegenden interessant, wo Jugendliche am liebsten | |
schon mit 16 ihren Führerschein machen würden, um nicht mehr auf Schulbus | |
oder Elterntaxi angewiesen zu sein. Die selbst fahrenden Autos machen | |
regelmäßige Anbindungen auch da möglich, wo öffentlicher Nahverkehr | |
momentan mit dem Argument zu hoher Kosten bei zu wenig Fahrgästen | |
wegrationalisiert oder gar nicht erst angeboten wird. | |
„Vorreiter werden aber Städte und Ballungsräume sein, da ist der | |
Bedeutungsverlust des Autos als etwas, das man besitzt, stärker“, sagt | |
Siegfried Behrendt vom Institut für Zukunftsstudien und | |
Technologiebewertung. | |
Aber es gibt ja auch Situationen, die werden vor allem in der Stadt zum | |
Problem, wie in Stufe 2: Pakete zum Empfänger bringen. | |
## Transport ist billig | |
Eine Straße. Drei Fahrzeuge nebeneinander, in zweiter und dritter Spur. | |
Eins gelb, eins braun, eins weiß mit Blau. Ihre Fahrer alle im gleichen | |
Haus mit dem gleichen Ziel: Pakete zustellen. Kommt keiner mehr durch, aber | |
Hauptsache die Sendungen kommen an. Das zeigt, wie es nicht geht. Wie es | |
geht: Transportwege verkürzen, alternative Verkehrsmittel einbeziehen, die | |
verbleibenden Wege effizienter Planen und die Auslastung der Fahrzeuge | |
verbessern. Und warum sollten eigentlich die selbst fahrenden Shuttles nur | |
Menschen transportieren? | |
Komplizierter wird es, wenn nicht nur das neue Smartphone geliefert, | |
sondern der komplette Supermarkt bestückt werden muss. Daher auf Stufe 3: | |
Läden beliefern. | |
Transport ist billig. „Solange der Transport beim Warenwert nicht mal 3 | |
Prozent ausmacht, wird alles einfach hin und her gefahren“, sagt Knie. Nun | |
müssen Lieferungen in Zukunft nicht unbezahlbar werden, es reicht, wenn der | |
Transport, wie er aktuell ist – Lkws mit Verbrennungsmotoren, die auch | |
schon mal halb leer kreuz und quer durch die Gegend fahren – teurer wird. | |
So teuer, dass es sich lohnt, die Logistik effizienter zu gestalten. | |
Allein damit ließe sich laut Knie die Hälfte der Fahrten vermeiden. Er | |
warnt jedenfalls davor, zu viel Hoffnung auf Drohnen zu setzen. „Das, was | |
wir heute auf der Straße haben, wollen wir sicher nicht noch einmal in der | |
Luft.“ | |
Die Letzten, die noch versuchen werden, das eigene Auto so lange wie | |
möglich zu erhalten, das werden wohl – nein, nicht die Techniker vom ADAC, | |
die werden immer etwas zum reparieren finden – die Handwerker sein. Stufe 4 | |
ist daher der Kleintransportverkehr. Vielleicht kommt die moderne, | |
privatautofreie Umwelt da tatsächlich an ihre Grenzen. Vielleicht aber auch | |
nur unser derzeitiges Denken. | |
Werkzeuge, die in Sharing-Stationen allen zur Verfügung stehen, modulare | |
Transportboxen, die, innerhalb von Sekunden an Shuttles angehängt, | |
Sperriges transportieren, und vielleicht doch die ein oder andere Drohne, | |
mit der dringend Benötigtes sehr schnell zum Einsatzort gebracht werden | |
kann – warum sollte all das nicht gehen? | |
Und wenn wir jetzt schon beim Denken des Unvorstellbaren sind – bereit für | |
Stufe 5? Bekanntes über den Haufen werfen. | |
## Platz statt Parkplatz | |
Es gibt das ein oder andere Konzept, das, obwohl heute ganz | |
selbstverständlich, überflüssig würde. Ampeln zum Beispiel. Die vernetzten | |
Fahrzeuge brauchen sie nicht. Sie können sich schließlich untereinander | |
verständigen, wer an einer unübersichtlichen Kreuzungssituation zuerst | |
fährt. Und da Blaulicht immer Vorfahrt hat und die Software ansonsten | |
selbstverständlich auf besonders rücksichtsvolles Fahren hin programmiert | |
wird, haben nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer sowieso Vorrang. Eine | |
großzügigere Verteilung von Zebrastreifen könnte dazu beitragen, das | |
Restkonfliktpotenzial auszuräumen. | |
Oder Parkplätze. Wenn niemand mehr sein Auto am Straßenrand abstellen muss, | |
wird Platz frei. Nehmen wir eine Nebenstraße, bestehend aus Gehweg, | |
Parkspur (längs), in der Mitte Platz für knapp zwei Autos nebeneinander, | |
noch eine Parkspur (quer), wieder Gehweg. Einmal nachmessen ergibt: | |
Sechseinhalb von gut zwanzig Metern Breite stehen für Parkplätze zur | |
Verfügung. Pro Kilometer Straße ist das ein knappes Fußballfeld voll mit | |
geparkten Autos. | |
Was man damit alles machen kann! Grünflächen. Spuren für Straßenbahnen. | |
Reihenweise Boxsäcke für den alternativen Aggressionsabbau. Einen riesigen | |
Kletternetzspielplatz. Ein paar hundert der gehypten Micro-Häuser – die | |
Wohnform der Zukunft für Minimalisten – die sogar auf einen Parkstreifen | |
passen. Auch etwas Platz für Gärten bliebe da noch. Und das selbst dann, | |
wenn ein kleiner Teil der ehemaligen Autoparkplätze für die Verleihstellen | |
von Fahrrad- und Lastenrädern verwendet wird. | |
Auch Warten wird unnötig. Warten darauf, dass die Ampel grün wird, darauf, | |
dass der Querverkehr durch ist, darauf, dass der Stau sich auflöst oder die | |
Unfallstelle geräumt ist. Fußgänger müssen nicht mehr warten, um die Straße | |
zu queren, da die vorausschauenden selbst fahrenden Autos rechtzeitig | |
verlangsamen, ohne anhalten zu müssen. Und durch ein deutlich geringeres | |
Verkehrsaufkommen wird schon zäh fließender Verkehr zu etwas, das man nur | |
noch in Dokumentarfilmen sieht. Genauso wie Unfälle. | |
„Was?“, werden die Jungen fragen, wenn sie diese Dokumentationen sehen. | |
„Ihr habt damals durchschnittlich 38 Stunden im Jahr im Stau verwartet? Und | |
jährlich eine Zahl an Menschen umgebracht, die fast der Einwohnerzahl einer | |
Kleinstadt entspricht?“ | |
„Ja“, werden die Alten sagen. Und denken: Früher war eben doch nicht alles | |
besser. | |
18 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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